Gibsons grausame Special-Effect-Orgie
Von Marc Pitzke, New York
In seinem blutigen Jesus-Film "Die Passion Christi", der gestern in den USA anlief, spielt Mel Gibson mit dem Feuer des Antisemitismus. Der Leidensweg Jesu verkommt dabei zum lauten Horror- und Action-Spektakel. Die Kinogänger sind schockiert - und fasziniert zugleich.
AP
Regisseur Gibson am Set von "The passion of the christ": "Die Leute bis an den Rand treiben"
Los Angeles - Manchmal sagt die Reaktion des Publikums mehr aus über einen Film als das, was tatsächlich auf der Leinwand geschieht. So einen Moment gibt es gegen Ende von Mel Gibsons kontroversem Jesus-Film "Die Passion Christi". Nachdem der Gottessohn am Kreuze stirbt, nach einer unvorstellbaren, grausamen, in blutrünstigem Detail rekonstruierten Tortur, taucht unvermittelt das Antlitz Satans auf, zur triumphalen Fratze verzerrt. Satan lacht, ein klischeehaftes Monsterlachen, und die Kamera schießt senkrecht nach oben zurück, wie bei einem Special-Effect im "Herr der Ringe".
Die Zuschauer johlen, grölen, klatschen.
Ob Oscar-Preisträger Gibson ("Braveheart") diese seltsame Reaktion provozieren wollte, weiß niemand. Fest steht, dass die amerikanischen Kinogänger - zumindest die lautstarke Mehrheit am gestrigen Weltpremierentag in den "Magic Johnson Theaters" in Los Angeles - Gibsons Brutalo-Version der letzten zwölf Stunden Christi als Action-Film verstehen; gut gewürzt mit Horror, Spuk und dem obligatorischen Hollywood-Kitsch. Und Regisseur Gibson setzt alle cineastischen Mittel ein, um diesen Eindruck zu bestärken: Trockennebel, Donnerhall und, wenn es mal besonders eklig wird, Zeitlupe. Der Mann versteht sein Handwerk, immerhin.
Doch sind es nicht die Spezialeffekte, die die Leute an diesem verregneten Abend hier in der Stadt der Engel immer tiefer in ihren Sitzen versinken lassen, schaudernd, wimmernd, schluchzend. Es ist das beispiellose Gräuel, diese ohne gnädige Schnitte präsentierte Blutrünstigkeit, die von der Leinwand spritzt und David Denby, den renommierten Filmkritiker des "New Yorker", angeekelt zu dem Urteil kommen lässt, "Passion" sei "einer der grausamsten Filme der Kinogeschichte" - "ein krank machender Todestrip".
Doch diese Warnung schreckt die Kinogänger nicht ab. Im Gegenteil: Die seit Wochen tobende US-Debatte, ob "The Passion of the Christ" diffamierend-antisemitisch sei oder vielmehr ein erhebendes Meisterwerk, hat ihre Neugier nur geweckt - ganz nach Wunsch Gibsons, der diese Debatte durch gut platzierte Dementis mitgesteuert hat. Zu Tausenden drängeln sie sich in den Mega-Kinopalast des schwarzen Ex-Basketball-Stars Magic Johnson, wo "Passion" gleich auf drei verschiedenen Großleinwänden anläuft. Nicht schlecht für einen Film, der anfangs keinen Vertrieb fand.
Es scheint zunächst ein Kinoabend wie jeder andere. Das Publikum besteht überwiegend aus jungen Schwarzen und Latinos, denn Johnson hat das Haus bewusst als eine Art Wirtschaftsförderung in den Minderheiten-Stadtteil Crenshaw bauen lassen, im armen Brachland zwischen Downtown und Culver City. 15 Einzelkinos gibt es in diesem laut-grellen Vergnügungspark der Zuckerwatten-Kultur; "Passion" konkurriert da unter anderem mit dem Rührstück "Against the Ropes" und den Dumpfkomödien "Confessions of a Teenage Drama Queen", "Eurotrip" und "Barbershop 2".
Hohe Messe im Kinosaal
Die 127 Minuten lange Reise von Getsemane nach Golgotha, die Mel Gibson mit 30 Millionen Dollar aus eigener Tasche finanziert hat, gibt es an diesem Abend mit einem Zusatz-Sonderangebot: zwei Dollar Rabatt für die "Super Value Bucket Combo", ein Pappeimer Popcorn mit zwei Colas, drei Dollar Rabatt für den Hot Dog im Taco-Bett. Damit sich der Magen später noch besser rumdreht.
Dass es nicht das übliche Fress-Erlebnis werden würde, hätten sich die Zuschauer denken können. Ein erstes Omen ist Pastor Earl Middleton, ein redseliger Schwarzer, der seinen Klapptisch in der Lobby aufgebaut hat. Middleton, Chef der Food For Faith Fellowship ("Kirche für Leute, die sonst nicht zur Kirche gehen"), spendet den Kinogängern Seelentrost und beantwortet Fragen. Zum Beispiel, ob wirklich nur "die Juden für Jesus' Tod verantwortlich waren" - ein Vorwurf, den ja viele in Gibsons Film sehen. Middletons Antwort: "Nein, die gesamte Menschheit ist verantwortlich." Zugleich verteilt der Pastor Werbebroschüren für seine Gospel-Kirche, die beweise, "dass auch Christen Spaß haben können".
Ein zweites Omen für den grotesken Spaß, der droht, ist der Kartenabreißer. "Gott ist gut!", ruft der Teenager jedem Besucher entgegen. "Gott ist gut!" Und wie die Schäfchen in die hohe Messe ziehen: ins Dunkel des Kinosaals, Kinder im Schlepptau, Babys sogar, die sie sich lachend hin- und herreichen.
"Nervtötendes Spektakel"
Das Lachen erstirbt schnell. Der Film beginnt wie Michael Jacksons "Thriller"-Video: Vollmond, Nebelschwaden, bläuliches Licht, dürres Gesträuch - Getsemane. Dass Gibson "Passion" in den Ur-Sprachen Aramäisch und Latein drehte, obwohl die damaligen Römer Griechisch sprachen, und mit Untertiteln versah - allein das ist sonst "Kassengift" in den USA - ist schnell vergessen. Wen interessiert der Dialog noch, wo es gleich die ersten Action-Szenen hagelt, das erste Blut sprudelt, Jesus' Gefangennahme nach dem Judaskuss (Zeitlupe) und das gewaltsame Abschlagen eines Römer-Ohrs durch Petrus (Zeitlupe).
Und das ist der Beginn einer atemlosen Orgie aus Gewalt, Blut, rohem Menschenfleisch und immer neuer Formen der Folter, für den Protagonisten wie für die Zuschauer. Ein mittelalterliches Passionsspiel, digital aufbereitet. "Der Film scheint weniger aus Liebe geboren denn aus Elend", schreibt Kritiker A. O. Scott in der "New York Times" angewidert. Es bleibe "ein nervtötendes und schmerzhaftes Spektakel, das am Ende auch ein deprimierendes ist."
Wiederauferstehung als Fußnote
Doch vor die leise Depression setzt Gibson lange Passagen lauter Qual. Neun endlose, morbide Minuten dauert allein Jesus' Auspeitschung, inszeniert und lebensecht dargestellt, mit Nahaufnahmen und einem sadistischen Genuss, den Gibson schon in den Schlachtszenen seines Oscar-Werks "Braveheart" so schamlos unter Beweis gestellt hat.
Das Publikum kauert und zuckt unter der Wucht der Haut zerfetzenden Schläge, viele beginnen zu schluchzen, einige verlassen hustend den Saal. Dabei weiß doch jeder, wie es ausgeht. Die kleinen Kinder starren stumm auf die Leinwand hoch, "Mami, was ist denn das?", fragt ein Junge in der dritten Reihe, doch Mami heult.
So sieht er also aus, der düster-konservative Katholizismus, den Gibson persönlich ja so vehement praktiziert und als dessen Ausdruck er "Passion" propagiert: Schuld, Sünde, Sühne. Die anderen Leitmotive der Bibel - Vergebung, Liebe und Hoffnung - kommen in "Passion" nicht vor. Oder nur in kurzen, sentimentalen Rückblenden auf das Wirken Christi, samt Panflöten-Musik und hellem Weichzeichner, Visionen einer anderen, ätherischen Welt. Selbst die Wiederauferstehung ist nur eine Fußnote, lieblos und fast widerwillig ans Ende des Films gekleistert. Das wahre Leben, so scheint Gibson sagen zu wollen, ist hart, grausam, erbarmungslos - und unverzeihbar.
Bekiffter Party-Boy mit zu viel Mascara
Wer Gibsons Werdegang kennt, versteht diese Weltanschauung - und versteht "Passion". Nach einer Zeit tiefster Depression fand er selbst Zuflucht und Rettung in jenem strengen Glauben, wie er vor den Reformen des zweiten Vatikanischen Konzils herrschte. Die negiert Gibson seither. Der Sohn Gottes starb für unsere Sünden, und folglich setzt sich Gibson hier zum Ziel, dem Publikum diese (eigenen) Sünden entgegen zu schleudern - Computer-verstärkt und in Nahaufnahme -, so dass jede Narbe, jede Blutlache, jeder brechender Knochen auf dem Kreuzweg überlebensgroß zu spüren ist. Wunder der modernen Kinotechnik.
Katholisch allemal, im engen Sinne jedenfalls, doch antisemitisch? Viel haben sie in den USA über Gibsons "hidden agenda" spekuliert, auch sein Vater hat ja gerade erst wieder den Holocaust geleugnet, und das nicht zum ersten Mal. Gibsons Darstellung des jüdischen Mobs, der die Kreuzigung von Christi erzwingt, könne einen "latenten Antisemitismus anfachen", fürchtet Abraham Foxman, der Direktor Anti-Defamation League, die zu Mahnwachen und Gebeten aufgerufen hat.
Gibson streitet das ab, und jeder Kinogänger mag dazu seine eigene Meinung finden. Auf jeden Fall aber geraten dem Regisseur die wichtigen Nebenrollen und auch die Statisten zu Karikaturen, zu Stereotypen, die auf alten Vorurteilen herumhämmern, antisemitisch oder nicht. Der jüdische Pöbel ist ein Fellini-eskes Kirmesvolk mit Glubschaugen, Pontius Pilatus dagegen der von Gewissensbissen geplagte, heimliche Held und nicht der brutale Despot, als den ihn die Geschichte darstellt. Herodes ist ein bekiffter Partyboy mit zu viel Mascara, an dem sich Peter Ustinovs Nero aus "Quo Vadis" ein Vorbild hätte nehmen können.
Göttlicher Regen-Effekt
Am Ende sind die Sinne taub, der Blick wendet sich immer wieder wütend von der Leinwand ab, zu viel Schock, zu viel Ekel. Und dann siegt auch noch Satan, zumindest kriegt er als einziger Szenenapplaus. Das will was heißen.
"Wie war's?", fragt Pastor Middleton jovial, als die Gemarterten an ihm vorbei ins Freie wanken. Manche schnüffeln, andere kichern hysterisch. Draußen geht gerade ein massiver Regen nieder. Es ist einer jener Güsse, die Sturzbäche über die gehweglosen Straßen von Los Angeles jagen und die Freeways zu selbstmörderischen Aquaplaning-Rennbahnen machen. Mel Gibson hätte diesen göttlichen Special Effect nicht besser inszenieren können.