Die USA haben auf den Terror angemessen reagiert
Die "Achse des Bösen" ist ein Problem der internationalen Sicherheit. Aus Angst vor der eigenen radikalen Linken flüchtet sich Europa in den Anti-Amerikanismus Von Henry Kissinger
Niemand kann sich erinnern, dass in der jüngeren Vergangenheit ein US-Präsident so scharfe Reaktionen vor allem in Europa ausgelöst hätte wie George W. Bush mit seiner Äußerung über die "Achse des Bösen". Auffallend wenig von dieser Lawine des Missfallens zielt auf die Substanz dieser Bush-Bemerkung. In den Brennpunkt werden die möglichen Motive des Präsidenten gerückt: die bevorstehenden Kongresswahlen (so der britische Außenminister), der amerikanische Imperialismus (so der Chef-Außenpolitiker der EU), vereinfachtes Denken (so der französische Außenminister), der Trend hin zu Isolationismus und Hegemoniestreben (so deutsche Zeitungen).
In Wahrheit hat der Präsident ein Problem angesprochen, das von zentraler Bedeutung für die internationale Sicherheit ist, nämlich die Berührungspunkte zwischen großen, gut organisierten Terrororganisationen (wie Al Qaida), Staaten, die Terrorismus ausgeübt oder gefördert haben (wie Iran und Nordkorea) und Staaten, die Massenvernichtungswaffen entwickelt oder (wie im Fall Irak) auch eingesetzt haben.
Bis zum 11. September haben die USA und ihre Verbündeten jede militärische Aktion so lange vermieden, bis terroristische Anschläge tatsächlich stattgefunden hatten. Zurückhaltung wurde geübt wie seinerzeit, als noch das Prinzip der gegenseitigen Abschreckung zwischen den atomaren Supermächten galt. Man ging davon aus, dass rational denkende politische Führer nichts unternehmen würden, was zur Vernichtung ihres eigenen Landes führen könnte.
Wenn aber Massenvernichtungswaffen in die Hände von Staatsführern gelangen, die sie gegen ihre Nachbarn oder gar ihr eigenes Volk einsetzen (wie Irak) oder die den politischen Mord auf ihre Fahnen geschrieben haben oder die Hunderttausende einfach verhungern lassen (wie Nordkorea) oder die terroristische Gruppen und Geiselnehmer unterstützen (wie Iran), dann ist solche Zurückhaltung nicht mehr angebracht. Vor allem dann nicht mehr, wenn Selbstmord-Attentäter Blutbäder anrichten. Gegen Länder, in denen die geheime Zusammenarbeit mit Terroristen jederzeit möglich ist, müssen präventive Maßnahmen ins Auge gefasst werden.
Ganz offensichtlich muss mit den drei Staaten, die der Präsident nannte, entsprechend ihrer Haltung umgegangen werden. Der Irak stellt die größte Herausforderung dar. Gegen den Iran bedarf es einer feinfühligeren Politik. Nordkorea ist zwar innenpolitisch mit dem Irak vergleichbar, hat aber in jüngster Zeit zumindest ansatzweise ein Einlenken erkennen lassen.
Ein diplomatisches Vorgehen wird am wenigsten Wirkung gegenüber dem Irak zeitigen, am erfolgreichsten könnte es mit Blick auf den Iran sein. Deshalb hat Außenminister Powell auch angedeutet, dass die USA keine militärischen Aktionen gegen den Iran und Nordkorea beabsichtigen. Letztendlich aber wird jede Politik daran gemessen werden müssen, inwieweit sie dazu beiträgt, das Risiko unserer globalen Sicherheit zu minimieren.
Die NATO, seit einer Generation der Grundpfeiler für die Sicherheit ihrer Mitglieder, dürfte sich dieser Erkenntnis nicht verschließen. Dass über unsere Art des Kampfes gegen den Terror gestritten wird, ist auch aus dem fundamentalen Wandel in der Innenpolitik vieler europäischer Staaten zu erklären. Während des Kalten Krieges opponierte fast stets die Linke gegen die US-Politik, Unterstützung fand Washington bei den (meist konservativen) Regierungen. Heute werden die Mitte-Links-Regierungen in Europa von den linken Flügeln der sie tragenden Parteien mit anti-amerikanischen Parolen unter Beschuss genommen. Wohl auch deshalb, weil die Enttäuschung darüber groß ist, dass diese Mitte-Links-Regierungen meist eine eher konservative Wirtschaftspolitik betreiben. Und weil die Regierungen ihren radikalen linken Flügeln nicht noch Wasser auf die Mühlen schütten wollen, schweigen sie zu den anti-amerikanischen Umtrieben oder stimmen gar noch in den Chor mit ein.
Der Generationswechsel trägt zu dieser Entwicklung bei. Die erste Generation der europäischen Führer in der Atlantischen Allianz hatte ihre Erfahrungen noch in einer Zeit gemacht, als Europa Zentrum der Weltpolitik war. Diese Politiker standen allerdings an der Spitze von Nationen, die durch den Weltkrieg verarmt und ausgeblutet waren. Sie verstanden, dass das Bündnis ihre letzte Chance für eine annehmbare Zukunft war, wenn sie nicht eine unsichere Neutralität in Kauf nehmen wollten, wie sie einige linke Gruppierungen anstrebten. Für die eher konservativen Staatslenker von damals war Neutralität denn auch kein Thema.
Hinsichtlich der heutigen Bedrohungen existiert kein solcher Konsens. Attacken auf Amerika, es habe sich der Gewalt verschrieben, sehe nur sich selbst und handle rein emotional - genau die Slogans aus der Zeit des Kalten Krieges - gehören inzwischen zum Standard-Repertoire europäischer Intellektueller und Medien, und sie werden von den Regierungen nur kraftlos zurückgewiesen.
Der Trend "weg von Amerika" verstärkt sich noch, weil für die europäischen Regierungen seit mehr als einer Dekade das dominierende außenpolitische Interesse der Vollendung der Europäischen Union gilt - eine historische Aufgabe, von deren Lösung die USA definitiv ausgeschlossen sind. Viele europäische Führer suchen die europäische Identität in der Abgrenzung und häufig sogar in der Opposition zu Amerika. Europa konzentriert sich auf die legalistischen, bürokratischen und konstitutionellen Vereinbarungen, die ausgehandelt werden müssen, um mehr als zwanzig Nationen mit außerordentlich unterschiedlicher Geschichte, Sprache und gelegentlich auch Kultur zu integrieren. Gleichzeitig feiern die Amerikaner die Unvergleichlichkeit ihrer gewachsenen Institutionen und erklären sie als verbindlich für den Rest der Welt.
Die tiefe Kluft, die sich auf dem Gebiet militärischer Macht zwischen Europa und den USA geöffnet hat, macht die Zukunfts-Perspektive nicht freundlicher. Die militärische Überlegenheit, welche die USA über den Rest der Welt gewonnen haben, ist in der Geschichte ohne Beispiel. Weder heute noch in absehbarer Zukunft wird kein Land und keine Gruppe von Ländern in der Lage sein, die USA militärisch herauszufordern. Weil sie sich anderweitig keine Chance ausrechnen, verführt diese Tatsache die Gegner Amerikas nun dazu, uns unterhalb der konventionellen Schwelle, also durch terroristische Aktionen, anzugreifen.
Natürlich ist man sich diesseits und jenseits des Atlantiks bei der Bewertung und Lösung der aus diesen Angriffen erwachsenden Probleme nicht einig. Aber die politischen Führer hier wie dort sollten sich immer daran erinnern, wie wichtig es ist, dass Demokratien auf Dauer in einer aufgewühlten Welt zusammenstehen. Die Vereinigten Staaten schulden ihren Verbündeten klare Informationen über das, was sie planen, und sie müssen den Bündnispartnern sagen, welche Ziele sie letztendlich erreichen wollen.
Wenn die Staatslenker unserer Verbündeten gute Beziehungen zu uns aufrechterhalten wollen, dann müssen sie dafür sorgen, dass die USA nicht länger als Karikatur dargestellt werden - als Karikatur eines schießwütigen, alles verschlingen Kolosses. Die europäischen Spitzenpolitiker sollten eines wissen: Eine nachdenkliche amerikanische Führung hat längst begriffen, dass die Durchsetzung einer internationalen Ordnung dem Charakter anderer Nationen zutiefst widerspricht. Eine solche Politik führt in die Isolation und stärkt die Kräfte des Anti-Imperialismus. Es kann nicht im langfristigen Interesse Washingtons liegen, jedes Problem zur Nagelprobe für die eigene Stärke zu machen.
Der Grundzug unserer Außenpolitik bestand immer in einem - zugegebenermaßen oft etwas naiven - Festhalten an der Kraft unserer Ideale. Militärische Gewalt haben wir stets nur eingesetzt gegen Aggressionen von außen. Der vorherrschende Gedanke amerikanischer Außenpolitik war immer die Umsetzung militärischer Macht zur Herstellung von Konsens. Wer das nicht nachvollziehen kann, dem gebührt eine entsprechende Antwort.
Sehen die Europäer Gefahren so wie wir? Oder teilen sie unsere Ansicht und sind nur gegen militärische Mittel, um sich zu wehren? Und wenn sie sich nicht wehren wollen, was ist dann die Alternative? Wenn "engagement", also Einmischung, psychologisch im Sinne einer Befriedung des Feindes definiert wird, dann können wir dafür gleich ein anderes Wort einsetzen: Das Wort lautet "appeasement", also traditionelles Stillhalten.
Welchen Wandel hat denn diplomatisches "Einmischen" bewirkt? Was wurde denn zum Beispiel durch den Besuch des britischen Außenministers in Teheran erreicht? Nichts. Londons für den Posten im Iran vorgesehener Botschafter wurde abgelehnt. Und hat sich durch den Besuch einer EU-Delegation denn wirklich etwas geändert in der Haltung Pjöngjangs gegenüber dem Rest der Welt?
Natürlich gibt es diplomatischen Spielraum, wenn man es mit Regierungen wie jenen in Iran oder Nordkorea zu tun hat. Aber wir müssen uns grundsätzlich entscheiden, welchen Weg wir beschreiten wollen. Im Kern geht es doch darum, in diesen Ländern die moderaten Kräfte in den bestehenden Strukturen zu stärken, zum Beispiel jene, die sich im Iran um Präsident Mohammad Chatami geschart haben. Zwar ist es auch wichtig, mit den Ayatollahs in Kontakt zu bleiben, aber das darf doch nicht dazu führen, ihre Position noch zu stärken. Wir müssen immer die Kraft behalten, demokratischen Kräften unsere Hand zu reichen.
Wie auch immer wir das Problem von Massenvernichtungswaffen in den Händen jener Staaten lösen, die George W. Bush als so genannte "Achse des Bösen" bezeichnete: Noch wichtiger ist es, langfristig ein System aufzubauen, das den Erwerb atomarer, biologischer und chemischer Waffen durch weitere Staaten unmöglich macht. Wenn die zivilisierte Welt überleben soll, müssen wir uns so schnell wie möglich bemühen. Das aber kann Amerika nicht allein leisten.
Deshalb verschmilzt in diesem Punkt die Bedrohung durch den Terrorismus mit der Herausforderung der internationalen Weltordnung. Es ist eine Herausforderung an unsere Führungskraft und Weitsicht. Die Regierung Bush hat in dieser Hinsicht den brutalen Angriff auf Amerika vom 11. September angemessen beantwortet.