Holger, damit ihr meinen Standpunkt erkennt, so möchte ich euch erklären was ich mit all dem meinte, was ich hier schrieb.Die personale Phase der Bewusstseinsentwicklung
Diese Phase insgesamt ist bisher am besten erforscht, und sie entspricht weitgehend den Erfahrungen des durchschnittlichen Menschen heute. Es lassen sich drei Unterphasen deutlicher voneinander abgrenzen:
Die magische Phase
Die mythische Phase
Die rationale Phase
Diese Abgrenzung ist aber vor allem eine logische. Im alltäglichen Leben und in der Bewusstseinsentwicklung treten diese Bewusstseinszustände häufig sehr vermischt, vielfältig wechselnd und auch gleichzeitig nebeneinander auf. Diese Phasen haben gemeinsam, dass sie mit einer zunehmenden Differenzierung, Unterscheidung der Polaritäten wie Innen und Außen, Subjekt und Objekt verbunden sind. Erst in der dritten großen Phase - der integrativen, transpersonalen Phase-, in der sich Bewusstsein selbst reflektieren und seine Abwehrvorgänge zu durchschauen beginnt, kommt es wieder zu einer Integration der getrennten Aspekte und zu einer ganzheitlichen Erlebnisweise, die schließlich in der mystischen Einheitserfahrung gipfelt.
Die magische Phase der Bewusstseinsentwicklung
Auf der magischen Bewusstseinsebene beginnen die ersten deutlichen polarisierenden Unterscheidungen, z. B. zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Ich und Welt. Allerdings wird diese Unterscheidung durch zahlreiche Überlagerungen erschwert, durch die das Erleben der Innen- und Außenwelt immer wieder miteinander verschmilzt. Zum einen gelingt es dem magisch erlebenden Menschen nicht, bestimmte Seiten seines Wesens als zu sich gehörig zu erkennen. Dabei kann es sich um tabuisierte, angstbesetzte Eigenschaften von ihm handeln oder auch um starke Affekte und Triebe, die so autonom sind, dass er sie nicht genügend kontrollieren kann. Diese (noch) nicht integrierten oder abgespaltenen Seiten erscheinen ihm als Wesenheiten, Dämonen, Geister, die sich seiner bemächtigen. Zum anderen aber erlebt er bestimmte Vorgänge seiner Umwelt nicht als von ihm unabhängig und autonom, sondern als auf ihn bezogen. Er verfällt immer wieder in einen »egozentrischen« Standpunkt, er glaubt, alles drehe sich um ihn - was in gewisser Hinsicht ja stimmt Er glaubt, alle möglichen Leute würden dauernd an ihn denken und sich mit ihm beschäftigen und er könne die Welt mit der Kraft seiner Vorstellungen und Gedanken direkt beeinflussen.Auch der moderne Mensch lebt noch in weit größerem Ausmaß in magischen Vorstellungen und Beziehungen, als ihm bewusst ist. Es lässt sich leicht zeigen, dass wir überall dort, wo wir unbekannten, unverständlichen oder auch besonders emotional belastenden, bedrohlichen Situationen gegenüberstehen, wo unsere wunden Punkte (Komplexe) berührt werden und wir uns hilflos fühlen, sehr schnell auf magische Bewältigungsstrategien zurückgreifen. Wir denken und erleben meist nur in unseren ruhigsten, entspanntesten und klarsten Momenten rational, »vernünftig« und »reif«. Sobald wir in Spannung, Stress und Angst geraten, greifen wir in mehr oder weniger starkem Ausmaß auf magisch-symbolisches Denken zurück und verwenden magische Techniken der Daseinsbewältigung. Wir fühlen uns dann schnell vom bösen Schicksal oder den bösen Gedanken anderer Menschen »verfolgt«. Wir erflehen uns himmlischen Beistand oder zelebrieren magische Rituale, wir wollen Kontakt mit Verstorbene und höheren Geistern aufnehmen, lassen uns ein Horoskop erstellen, überprüfen die aktuelle Gestirnstellnation, gehen zu Handlesern, Wahrsagern und befragen Orakel.
Die mythische Phase der Bewusstseinsentwicklung.
Der mythische Mensch ist nicht mehr überwiegend egozentrisch, sondern soziozentrich orientiert, d.h., seine Gruppe und das eigene Gesellschafts- und Glaubenssystem mit den entsprechenden Führungspersönlichkeiten stehen im Mittelpunkt. Er identifiziert sich mit ihnen und den kollektiven Werten. Gruppenfremde Menschen werden als bedrohlich und feindselig empfunden. In kollektiven Massenbewegungen (großen Sportveranstaltungen, Demonstrationen, Kundgebungen), die in bezug auf den individuellen Menschen oft eine stark gleichmachende Wirkung haben, lassen sich die Elemente des mythologischen Bewusstseins (z.B. stark Emotionalisierung, hohe Identifizierung mit der eigenen Gruppe, dagegen Bekämpfung und Verteufelung der anderen, fremden) immer wieder beobachten. Wie schwierig und mühsam es auch für uns noch ist, die mythische Bewusstseinsebene zu überwinden, erfährt jeder, der versucht, seine eigenen religiösen Glaubensüberzeugungen zu hinterfragen, die in der Regel einem magisch- mythischen Vorstellungssystem entstammen. Die Autorität und Unfehlbarkeit des Papstes oder den Offenbarungs- und Wahrheitscharakter der Heiligen Schrift zu bezweifeln ist für viele ein Sakrileg, das mit schweren Ängsten und Schuldgefühlen bezahlt werden muss.
Der Beginn der mythischen Phase wird in der Menschheitsgeschichte etwa mit dem Beginn des Ackerbaus auf 7000- 5000 vor Christus datiert. Das Leben ordnet sich in der Gemeinschaft nach dem zyklischen Verlauf der Jahreszeiten, es werden Blutopfer gebracht, um die Fruchtbarkeit der Erde und den Fortbestand des Lebens zu sichern. In den Mythen treten aber auch die ersten Heldengestalten auf, die sich aus dem Bereich des Mutterarchetyps und der Situation des kollektiv Eingebundenen herauslösen und Mut zur individuellen Entwicklung haben.
Die rationelle Phase der Bewusstseinsentwicklung
Die Phase des rationalen Bewusstseins setzt etwa 2500 vor Christus ein, gekennzeichnet vom Beginn der abendländischen Philosophie und der patriarchalen Kultur.
Historisch und entwicklungsmäßig gesehen wart es zunächst ein immenser Fortschritt für die Menschheit, sich aus dem magischen und mythischen Denken mit all seinen Vorurteilen, dem Aberglauben, der Machtausübung und Gewalttätigkeit, der Angst und dem Zwang zu befreien und sich an den Prinzipien der Vernunft, Logik und der wissenschaftlichen Überprüfbarkeit zu orientieren. Erst die Fähigkeit, einen relativ unpersönlichen, unparteiischen, auch über eigene Gruppengrenzen hinweg reichenden Standpunkt einnehmen zu können, ermöglichte letztlich die Konstituierung der Menschenrechte, dem höchsten verbindlichen moralischen Wertesystem, über das wir heute verfügen. Ebenso wurde die Demokratie auf diesem Boden möglich und die Entwicklung der Wissenschaft, einer in vielerlei Hinsicht idealen Institution, weil sie international und methodisch wertneutral angelegt ist und sich der Freiheit und Unabhängigkeit des Denkens und dem Wohl der Menschheit verpflichtet fühlt.Die Entwicklung des rationalen und damit von subjektiven, emotionalen Einflüssen relativ unabhängigen Denkens ist eine evolutionäre Errungenschaft, die den Menschen erst wirklich zum Menschen macht. Diese Fähigkeit ist die Grundlage von Weisheit, Gerechtigkeit und Toleranz und eines beginnenden globalen Denkens, das über seine eigenen Grenzen hinauszuschauen vermag. Überall dort, wo sie nicht vorhanden ist, herrschen Angst, Zwang, Gewalt.
Die Mechanismen der Bewusstseinsbildung (Unterscheidung, Polarisierung, Abwehr der unbewussten und emotionalen Komponenten, Reduktion der Vielfalt) haben aber in dieser Phase eine starke Neigung, sich zu verselbständigen und zu verabsolutieren. Zu sehr noch ist man fasziniert von den enormen Möglichkeiten, die das freie Denken verspricht. Man glaubt, den Schlüssel zu allen Geheimnissen des Lebens und dessen Kontrolle in der Hand zu haben. Sehr komplexe und vielschichtige Phänomene des menschlichen Lebens, die sich nicht auf einen einfachen logischen Nenner bringen lassen, werden auf einige wenige Faktoren reduziert. In der Psychologie kennt man den Begriff Rationalisierung als Bezeichnung für einen sehr häufig angewendeten Abwehrmechanismus, mit dem unbequeme, peinliche, angsterzeugende Aspekte der Persönlichkeit so erklärt werden, dass sie ihren irritierenden, das Selbstwertgefühl störenden Charakter verlieren. Man interpretiert sich die Ereignisse so, dass sie ins eigene System passen. Das geschieht nicht nur im Kleinen, sondern auch im Großen der religiösen, politischen und wissenschaftlichen Systeme: Das Unpassende, das das System aus dem Gleichgewicht bringen könnte, wird als nicht vorhanden wegerklärt.
Die integrale - transpersonale Phase der Bewusstseinsentwicklung
In dieser Phase wird der Einseitigkeits- und Abwehrcharakter der rationalen Phase überwunden. Das Denken kann sich selbst betrachten, in Frage stellen und seine eigenen typischen Begrenzungen erkennen (Erkenntnis- und Wissenschaftskritik). Das Denken wird nunmehr zu einer von mehreren bewusst eingesetzt Funktionen und Hilfsmitteln auf dem Wege zu einem vertieften oder erweiterten Bewusstsein
Ein solches Bewusstsein vermag das wissenschaftliche Denken und all die anderen Prinzipien zu versöhnen. Natur- und Geisteswissenschaften, Philosophie, Psychologie, Kunst, Religion, Liebe und alltägliches Leben sind nicht mehr sich ausschließende oder anfeindende Bereiche, sondern werden als zur Erlebensgesamtheit des Menschen zugehörig verstanden und gefördert. Im integralen Bewusstsein werden die verschiedenen Polaritäten des Daseins wieder in ihrer inneren Abhängigkeit voneinander und als Einheit gesehen. Die Spannung der im Bewusstsein als unterschiedlich erlebten Polaritäten kann aus dieser Einsicht heraus positiv ausgehalten werden, ja als Lebensmotor und Grundlage schöpferischen Tuns sogar genossen werden. Unterschiedliche Aspekte des Lebens können gleichzeitig und gleichberechtigt nebeneinander bestehen, und zugleich kann das Verbindende und Übergreifende erahnt werden. Die Komplexität des Lebens wird zugelassen. Es kann zu einer neuen Harmonie der Polaritäten kommen, nicht einer Harmonie des Gleichen und Gleichartigen, sondern einer Kontrast-Harmonie.In diesem Zulassen des Komplexen und Vielschichtigen des Daseins wird auch der egozentrische Standpunkt des Menschen notwendigerweise relativiert. Der Mensch kann sich immer mehr mit dem Gesamt des Lebens, das er ist und repräsentiert und das in ihm zum Ausdruck kommt, identifizieren. Körper, Seele und Geist werden als Einheit erlebt, und diese wiederum werden auch als Ausdruck überpersönlicher, transpersonaler Aspekte empfunden. Ken Wilber rechnet das integrale Bewusstsein aus systematischen Gründen noch nicht ganz zur transpersonalen Phase, sieht es aber auch als einen Übergang dorthin. Er beschreibt weitere transpersonale Phasen der Bewusstseinsentwicklung, die aber zunehmend unanschaulich werden und deren Gemeinsamkeit in der immer subtiler werdenden Erfahrung der Einheitswirklichkeit liegt.
Schattenaspekte des Obengenannten
Die wesentlichen Schattenseiten das sind seine Neigung zur Vereinfachung und Reduktion von komplexen Zusammenhängen und die Abspaltung und Abwertung des »Unteren«, der Erde und der Materie (vgl. Ausführungen im BIOS-Kapitel). Daraus entstehen häufig idealisierte Schemata und Ordnungshierarchien, die logisch und theoretisch einleuchtend erscheinen, aber praktisch nicht lebbar sind. Menschen orientieren sich dann nach Glaubenssätzen, Dogmen, Modellen und Methoden, die sie in ein geistiges Gefängnis sperren und den natürlichen Zugang zu ihrer körper-seelischen Ganzheit zerstören. Die verschiedenen Religionen und Philosophien legen von der Gewalt, die damit verbunden sein kann, erschütterndes Zeugnis ab.
Das Leben spielt sich auf vielen Ebenen gleichzeitig ab, nicht nur auf der geistigen. Die höchsten Einsichten und die höchsten Formen des Bewusstseins lassen sich meist nur kurzfristig und in sonstigen günstigen Situationen aufrechterhalten (Rückzug, Ruhe, guter Gesundheitszustand, Ausgeschlafensein, sichere Lebens- Grundsituation, förderlicher gesellschaftlicher Hintergrund). Viele sogenannte geistige Führer, Meister und Gurus predigen ihren Schülern eine illusionäre Lebensform, die sie nur deshalb vorleben können, weil ihre Schüler und Förderer sie finanziell unterstützen und ihnen die Anstrengungen und Konflikte des normalen Berufs-, Partnerschafts- und Elterndaseins abnehmen. Auf diese Weise können sie sich natürlich leicht so tun, als sei ihre Lebensform tatsächlich realisierbar.Entsprechend der dem LOGOS typischen Eigenheit, sich selbst als das Höchste zu betrachten, werden die geistigen Aspekte der Individuation häufig überbewertet und ihre konkrete Verwirklichung vernachlässigt. Das erkennende Bewusstsein ist als Vorreiter und Motivator für unsere Entwicklung von entscheidender Bedeutung, weil uns durch dieses erst die Ganzheit und das Wunder des Lebens bewusst werden. Die wichtigsten Fortschritte der Menschheit wurden aber von Menschen, die mitten im Leben standen, geleistet und nicht von weltabgewandten, dem rein Geistigen zugewandten Einsiedlern. Die geistige Einsicht in die All- Einheit muss sich verwirklichen in den anderen Aspekten, in der Liebe, in der alltäglichen Lebendigkeit, in der schöpferischen Tat.