Moderne Laienmönche brechen mit den alten Symbolen und Strukturen der Religionen. Eine Rede eines anglo-indischen Mystikers an seine Schüler. Von Bede GriffithsKontemplation ist in erster Linie die Kunst, die Sinne ruhig zu stellen. Der Körper wird ruhig, der Verstand wird ruhig, und so kommt das tiefere Bewusstsein zum Vorschein. Es ermöglicht die Erfahrung der Einheit, die jenseits der Vielheit, der Welt ringsum, jenseits des Verstandes und des Denkens liegt. Man gelangt dabei zu dem einen Punkt im Innern.
Das ist die Urform des Mönchs im Innern, den man dann entdeckt, die innere Wirklichkeit. Danach suchen wir in der Kontemplation.Aber, meine lieben Schüler, ihr müsst tagtäglich daran arbeiten. Wenn ihr euch einen Tag lang darum bemüht und es dann eine Woche wieder vernachlässigt, dann funktioniert es nicht. Es muss nämlich langsam aufgebaut werden. Bis es aufgebaut ist, dauert es wirklich Wochen, Monate, für manche Menschen Jahre, aber es wächst. Ihr müsst es wachsen lassen, bis ihr euer Bewusstsein allmählich beherrscht und sich mehr und mehr die Bewusstheit des Geistes, des Ewigen einstellt. Es ist die spirituelle Reise.
Und damit befassen sich viele Menschen heutzutage.Das also ist mit einem Laienmönch und einer Weihe zum Laienmönch gemeint. Man weiht sein Leben Gott, um die Wirklichkeit Gottes im eigenen Leben, in der Welt zu entdecken und sein ganzes Leben auf diese Gegenwart auszurichten, ohne dabei die Pflichten des Alltags, seine Arbeit, zu vernachlässigen. Man ist zwar noch mit diesen Dingen beschäftigt, aber der Bezugspunkt für alles muss die eine Wahrheit, die eine Wirklichkeit sein. Die meisten Menschen müssen dies jeden Morgen und jeden Abend immer wieder neu vollziehen.
Man kann nicht den ganzen Tag lang mit Worten und Gedanken beten, aber man kann sich in jedem Augenblick des Tages der Gegenwart Gottes bewusst sein. Das ist der Ruf, den die Menschen heute hören.Dabei gibt es noch einen anderen interessanten Aspekt. Seit dem zweiten Jahrhundert wurden in der ganzen Kirche die Priester und die Sakramente zur Hauptsache. Die meisten Christen, besonders die Katholiken, identifizieren die Kirche mit den Priestern und Sakramenten, besonders der Eucharistie, der Taufe und der Ehe. Die Sakramente gehören jedoch zur Welt der Zeichen, die Wirklichkeit liegt aber jenseits der Zeichen.
Auch die Kirche selbst befindet sich jenseits all dieser Zeichen. Die ewige Kirche liegt jenseits aller Geistlichen und aller Sakramente und wurde von Jesus gegründet. Heute entdecken wir aber, dass er nicht die institutionelle Kirche gegründet hat.Wenn ihr heute eine ernst zu nehmende Untersuchung über das Neue Testament lest, ist vollkommen klar, dass die Priester und die Sakramente erst am Ende des ersten und am Anfang des zweiten Jahrhunderts aufgetaucht sind. Im ersten Jahrhundert gab es keine Priester, keine Bischöfe, keine Sakramente, kein Dogma. Jesus selbst war kein Priester, auch die Apostel waren keine Priester.
Im Lauf des Jahrhunderts wurden diese Leute manchmal Presbyter, Älteste, Bischöfe oder Aufseher genannt. Es gab aber keinen einzelnen Mann an der Spitze, es gab nur »Gruppenführer« in der Kirche. Das änderte sich allmählich, und diese Presbyter und Bischöfe breiteten sich in der Kirche aus, allerdings erst gegen Ende des ersten Jahrhunderts. Schließlich schob sich im zweiten Jahrhundert ein Bischof an die Spitze. Dann folgte der Papst als einer dieser Bischöfe, der sich in Rom etablierte. Das alles ist also erst eine Entwicklung des zweiten Jahrhunderts. Jesus selbst war jedenfalls kein Priester. Er war ein wandernder Sannyasin (Heiliger) mit einer Schülerschar, wie man sie in Indien immer wieder sieht. Aber es gab keine Priester und keine Sakramente oder etwas Derartiges.
Jesus predigte nur das Reich Gottes. Er und seine Schüler wanderten damals in Palästina umher und wollten auch anderen von dieser Vision des Reichs Gottes erzählen. Nach Jesus breiteten seine Schüler diese Botschaft vom Reich weiter aus und hielten gemeinsam eine heilige Mahlzeit. Ursprünglich war die Eucharistie eine heilige Mahlzeit, die sie gemeinsam einnahmen. Dann begannen sich eigene Gebräuche und Traditionen zu entwickeln, was ganz natürlich und normal ist, wenn sich eine Gemeinschaft konsolidiert. Jesus hat die Kirche nicht gegründet. Es ist wirklich wichtig, sich das klar zu machen.
Alle Strukturen der Kirche entstanden erst später. Er gründete nur, was man die »eschatologische« Kirche nennt, die Kirche am Ende der Zeiten, die Kirche, die die letztendliche Erfüllung der Menschheit ist.Natürlich kann man nicht im Geist allein leben. Der Mensch braucht auch alltägliches Leben, das er organisieren muss.
Er braucht Rituale. So kam es dann eben zu all diesen Dingen. Man benötigt auch Beamte, um das alles zu organisieren und zu leiten. Das Problem besteht aber darin, dass, wie bei allen Kirchen und allen Religionen, die Geistlichen und die Sakramente begannen, zur Hauptsache zu werden. Viele Menschen leben jetzt in dieser Welt der Geistlichen und Sakramente, der Welt der äußeren Religion. Die Religion wird zu einer äußerlichen Angelegenheit, und das tiefere Bewusstsein von der Gegenwart Gottes verschwindet immer mehr. Viele Menschen versuchen dann natürlich auf verschiedene Arten, das Innere noch zu bewahren, aber es gibt immer Wege durchzubrechen.
In allen Religionen besteht das Problem, dass sie die Tendenz haben, in den ursprünglichen Gesetzen, Regeln, Ritualen und Dogmen zu erstarren. So entsteht dann eine Struktur, an der man sich festklammern kann. Aber sie ist etwas Geschaffenes, nicht das Ungeschaffene. Das Ungeschaffene ist immer gegenwärtig, aber man konzentriert sich dann auf das Geschaffene. Wir alle sind gerufen, über die Sakramente und Zeichen und Dogmen hinauszugehen.
Das heißt nicht, dass ihr sie zurückweisen sollt, ihr könnt sie ruhig behalten. Aber ihr müsst durch sie hindurchbrechen zu dem, was sie verkörpern. Sie verkörpern die Wirklichkeit. Ihr müsst durch die Zeichen und die Symbole zur Wirklichkeit hindurchbrechen, ob es sich bei den Zeichen nun um die Eucharistie oder das Dogma von der Fleischwerdung Gottes oder sonst etwas handelt. Ihr müsst durch all diese Zeichen hindurchbrechen und die göttliche Wirklichkeit entdecken, die sich euch in diesen Zeichen vergegenwärtigt.Das ist Kontemplation, und das bedeutet die Weihe zum Laienmönch: hinter die Zeichen und Symbole der Religion zu dringen, vorzudringen zur Wirklichkeit, zur einen Wahrheit, zum einen Selbst, das sich in diesen unterschiedlichen Formen ausdrückt und in den unterschiedlichen Religionen variiert. Dieses eine Selbst liegt in jedem von uns. Die Tiefe unseres Selbst ist eine Wirklichkeit, ein Wort. In jedem Mensch ist der Geist gegenwärtig, das müssen wir entdecken. Das ist das Ziel der menschlichen Existenz und das Ziel der spirituellen Reise. Es kommt darauf an, diese verborgene Gegenwart im Herzen und im eigenen Wesen zu entdecken, die eine Wirklichkeit jenseits von Worten und Zeichen.So also sehe ich heute diesen Ruf, und wie gesagt, in jedem Teil der Welt vernehmen ihn die Menschen. Das ist das Außergewöhnliche, und so entstehen heute religiöse Bewegungen. Es gab in der Geschichte immer wieder solche religiösen, spirituellen Bewegungen, und für mich ist das die große spirituelle Bewegung der heutigen Zeit. Die Menschen brechen durch die Ebene der Zeichen hindurch, wo die Dogmen ihre Bedeutung verloren haben. All diese Dogmen hängen von Symbolen ab, und Symbole können ihre Bedeutung verlieren.Für uns als Christen stellt der »Himmel« ein großes Problem dar. Wir haben uns immer den »Vater im Himmel« vorgestellt. »Himmel« bedeutet dabei die blaue Kuppel über uns, und Gott befindet sich dort droben im Himmel. Die meisten Menschen hatten damit überhaupt keine Schwierigkeiten, denn sie wussten nichts über den Himmel; ein solcher Glaube war vollkommen normal. Jetzt ist diese Vorstellung völlig unmöglich geworden. Es gibt keinen Gott dort oben. Raumschiffe mit Astronauten sind hinaufgeflogen und haben dort oben keinen Gott gefunden. Sich Gott im »Himmel« zu denken, ist jetzt absurd, dieses Symbol hat seine Bedeutung verloren, und wir müssen andere Symbole finden.Was die Menschen heute finden, ist nicht ein Gott dort oben, sondern ein Gott im Herzen. Das hat für die meisten Menschen die tiefe Bedeutung, dass das Göttliche, dass Gott im Herzen ist, im innersten Zentrum des Wesens; das heißt, Gott ist in eurem Wesen und im Wesen des ganzen Universums, im Herzen aller Dinge.Ihr seht also, dass sich ein radikaler Wandel auf der Welt vollzieht, in der ganzen Welt der Religion. Ich glaube, diese spirituelle Bewegung entstand, um auf dieses Bedürfnis des heutigen Menschen zu antworten. Die Menschen können viele der alten Symbole und Strukturen und Organisationen nicht mehr akzeptieren, denn sie befriedigen ihr tiefstes Bedürfnis nicht mehr. Sie suchen deshalb nach einer tieferen Wirklichkeit dahinter und nach Möglichkeiten, sie auszudrücken.Ich hoffe also, ihr alle versteht, worum es geht, und die Tatsache, dass ihr aus allen Teilen der Welt hierher gekommen seid, ist ein Zeichen dafür, dass es überall passiert. Menschen kommen aus allen Richtungen hierher, auf der Suche nach dieser inneren Wirklichkeit, der Erfahrung Gottes, der Erfahrung des Selbst, der Selbstverwirklichung und wie die Namen alle heißen, die wir einer Wirklichkeit geben, die man nicht benennen kann. Sie ist die eine Wirklichkeit jenseits aller Worte und allen Denkens, und sie gibt allem seinen Sinn.Die Schwierigkeit dabei besteht darin, dass diese Wirklichkeit der Sinn aller Dinge ist, aber man kann ihr keine Bezeichnung geben. Selbst die Bezeichnung »Gott« ist in heutigen Zeiten sehr dubios geworden. Viele Menschen können heute das Wort »Gott« nicht mehr benutzen. Es ist so korrumpiert und hat so viele verschiedene Bedeutungen, dass man sehr häufig am besten darauf verzichtet. Das gilt natürlich für all diese Symbole, ob es sich um Gott oder Brahman oder Atman oder Tao oder Nirvana handelt. Sie alle haben eine tiefe Bedeutung. Ihr könnt hinter die äußere Fassade, die äußere Form blicken und die Wirklichkeit entdecken, die sie in euch wachrufen, euch zeigen wollen. Das also ist das Ziel unseres Zusammenseins heute.Ein Ashram (in Indien ein Ort religiöser Schulung) wie dieser hier ist genau dazu da, Menschen, die diese Suche durchführen und diese Wirklichkeit in ihrem Leben entdecken können, eine Umgebung zu bieten. Diese Wirklichkeit wird für jeden wieder anders sein. Wir haben alle unseren eigenen Hintergrund, unsere eigenen Symbole und Sprache usw. Und wir alle müssen durch diese verschiedenen Symbole und Dinge hindurchbrechen, um die Wirklichkeit dahinter zu entdecken. Die Wirklichkeit liegt in der Tiefe des Herzens. Das meint die Urform des Mönchs in uns, und das ist die Bedeutung eines Laienmönchs oder einer Laiennonne, der oder die sich der Suche nach Gott weiht, der Suche nach der inneren Wirklichkeit in der Welt des eigenen Selbst.
Aus: Bede Griffiths: Göttliche Gegenwart. Otto Müller Verlag, Salzburg 2002, herausgegeben von Roland Ropers, Präsident der Internationalen Gandhi & Griffiths-GesellschaftBede Griffiths war ein aus der anglikanischen Kirche zum römischen Katholizismus konvertierter Benediktinermönch. Er studierte in Oxford Literaturwissenschaft und leitete später 25 Jahre einen Ashram in Südindien, ein Begegnungszentrum der Religion. Er starb 1993. Die hier wiedergegebene Rede hielt Griffths anlässlich der Weihe seines Schülers Roland Ropers zum Laienmönch (Oblate der Benediktiner