Mittwoch, der 20. Maerz 2002, 21:49 Uhr
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HEINZ
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@Das Volk ist doof, aber gerissen. Der Wahnsinn ist, sie laufen jedem Weltverbesserer, Demagogen und Propheten hinterher, selbst viele der Hochstudierten, die auch wieder alles besser wissen wollen. Da bilde ich mir lieber meine eigene Meinung lebe mich selbst! Gruß Heinz Menschenrechte als Spielball der Machtpolitik, Inseln als Wegwerfland der Spaßkultur und die Alternative, die & 8211; noch & 8211; niemand praktiziert. Ein Essay von Till BastianDas zwanzigste Jahrhundert unserer Zeitrechnung ist »Jahrhundert des Todes« genannt worden & 8211; der damalige israelische Staatspräsident Ezer Weizmann hat diese Formulierung im Januar 1996 bei seiner Rede im Bundestag benutzt. Gerät das neue Jahrhundert, auf dessen erstes Zeit-Prozent wir jetzt zurückblicken, womöglich zu einem Saeculum der Heuchelei?Heuchelei ist ja nicht einfach Lüge, meist hebt sie einen Teilaspekt der Wahrheit übermäßig hervor und übertreibt ihn dann so sehr, dass alles andere & 8211; möglicherweise Wichtigere &8211; in den Hintergrund gedrängt wird. So begann die neue Ära der Heuchelei schon mit den Millenniumsfeiern Ende 1999. Erinnern wir Schnelllebigen uns noch, wie in jener Nacht & 8211; man hatte eigens die Datumsgrenze geändert &8211; Tänzer auf den Kiribati-Inseln das neue Zeitalter begrüßten, beobachtet von Fernsehkameras aus aller Welt? Die peinliche Pointe dabei ist, dass man auf jenen Inseln das Ende des Jahrhunderts & 8211; wann immer es begonnen haben mag &8211; nicht mehr wird feiern können, denn durch den Treibhauseffekt und den von ihm bedingten Anstieg des Meeresspiegels wird Kiribati im Jahr 2099 weitgehend im Pazifischen Ozean verschwunden sein & 8211; gleichsam als Wegwerfland der Industriegesellschaft und ihrer allumfassenden Spaßkultur.Zwei Jahre später, im Herbst 2001, ging es ganz ähnlich weiter. Natürlich ist tausenden von US-Bürgern am 11. September Schreckliches widerfahren. Aber haben denn alle Redner, die so wortreich die Solidarität der Welt mit Amerika beschwören & 8211; auch der deutsche Bundeskanzler & 8211;, schon vergessen, dass die Regierung dieser USA nur wenige Monate zuvor dem Rest der Welt (nicht nur den Menschen in Kiribati) ihrerseits jede Solidarität aufgekündigt hatte, als George W. Bush bei seinem Deutschlandbesuch Gastgeber Gerhard Schröder klar sagte: Für ihn gibt es eine Reduzierung der US-Schadstoffemissionen nur dann, wenn sie der US-Wirtschaft nicht schadet. Was kümmert es ihn, was andernorts passiert?Und dies gilt nicht zum ersten Mal. Denken wir einmal fünf Jahrzehnte zurück, ins Jahr 1951, als eine national-bürgerliche Regierung unter Mohammed Mossadegh in Persien die von internationalen Konzernen dominierte Erdölindustrie zu verstaatlichen wagte und wenig später, unter führender Beteiligung des US-Geheimdienstes CIA, aus dem Amt geputscht wurde. Damals begann die Ära des US-Lieblings Rezah Pahlevi, der sich mit blutigen Machenschaften an der Macht hielt, bevor das Volk ihn schließlich verjagte. Gegen die neu begründete »Islamische Republik« war dann jedes Mittel willkommen, auch ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg des Nachbardiktators Saddam Hussein. Der avancierte bald zum neuen US-Favoriten dieser Region, wohl ausgestattet mit Geld und Waffen; es wurde ihm sogar nachgesehen, dass er die kurdische Bevölkerung im eigenen Land mit Giftgas traktierte. Erst als Hussein in die Hand biss, die ihn zuvor gefüttert hatte, wurde er fallen gelassen & 8211; seine Verachtung für Völker- wie Menschenrechte hatte nichts dergleichen bewirkt.Man könnte auf solche Reminiszenzen mit einem weiteren zynischen, aber ebenfalls treffenden Satz reagieren: »Wer glaubt, gegen Fundamentalisten sei jedes Mittel recht, ist selber einer.« Wozu noch anzumerken wäre, dass das heute so beliebte Fundamentalisten-Etikett ursprünglich geprägt worden war, um bibeltreue Protestanten in den USA zu kennzeichnen & 8211; Menschen also, deren Denken auch das Weltbild des George W. Bush prägt. Ist der Satz »America first« denn kein Fundamentalismus? Ist er nicht die ökonomische Fortschreibung des bewährten Mottos »Right or wrong &8211; my country«?Vom politischen Establishment wie von der Medienwelt wird viel getan, um diese Sicht der Dinge zu verunklaren. Dazu gehört die Beschwörung »westlicher Werte« (als hätte diese »Wertegemeinschaft« Präsident Bush zu einer verantwortungsvollen Klimapolitik motivieren können), dazu gehört die Konstruktion von Scheinalternativen. Zivilisation und Barbarei sind es gewiss nicht, zwischen denen wir gegenwärtig zu wählen hätten, auch wenn uns das heute tausendmal verkündet wird & 8211; eher stehen Aufklärung und Religion zur Debatte; dabei geht es um die finstere Variante der Religion. Aber auch hier fällt bei Gegnern, die jetzt gemeinsam an der Spirale aus Gewalt und Vergeltung drehen, eine seltsame Ambivalenz ins Auge, die hier wie dort mit viel Heuchelei verkleistert wird. Da sind auf der einen Seite die Attentäter &8211; sehr zivilisierte Menschen, polyglott, weltgewandt, mit akademischem Abschluss, befähigt zur virtuosen Handhabung moderner Technik. Was entsetzt, ist ihre Bereitschaft zu äußerster Rücksichtslosigkeit im Namen der »letzten Dinge«. Und auf Seiten der Terrorgegner springt das religiöse Idiom ins Auge: Vom »Kampf gegen das Böse« haben der Protestant Bush, der Katholik Chirac und der Orthodoxe Putin unisono gesprochen, vor allem dem US-Präsidenten gehen Vokabeln wie »Kreuzzug« und »Ausrottung« leicht von den Lippen.Unvorhersehbar war dieser »Clash« ja nicht. 1990 habe ich in einer Studie über »Naturzerstörung und Kriegsgefahr«, gefertigt für die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs, geschrieben: »Zeiten wachsender Not und Verelendung und offenkundiger Ausweglosigkeit für Millionen Menschen in einer immer ungerechteren Welt sind ein idealer Nährboden für Schwarmgeister, Eiferer, Fanatiker und Terroristen. Wer sich allerdings bloß vordergründig über deren Worte und Taten empört, ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, inwieweit er selber die Entstehung eines solchen gewaltschwangeren Klimas herbeigeführt oder zumindest geduldet hat & 8211; der setzt sich vor der Geschichte doppelt ins Unrecht.« Alles andere ist Heuchelei, wäre heute erstens hinzuzufügen &8211; und zweitens, dass solche Worte ungehört verhallt sind, ebenso wie alle Warnungen vor Attacken auf Atomkraftwerke, vor Bio- und Nuklearterrorismus, derenwegen unsereiner jahrelang als Panikmacher und Bedenkenträger verlacht worden ist. Heute wird man als »friedensbewegtes Feigenblatt« hie und da zu Fernsehgesprächsrunden eingeladen, und Politiker von CDU und SPD beugen sich gewichtig nach vorne und fragen ernst: »Und was ist denn ihre Alternative?«Alternative & 8211; das wäre vor allem, dass es nie so weit hätte kommen dürfen. Der Ruf nach Alternativen, nachdem man selber das Kind in den Brunnen gestoßen (sprich: die Taliban oder Saddam Hussein hochgerüstet) hat, ist Teil jener umfassenden Heuchelei, die das öffentliche Leben immer stärker infiziert. Medizinern ist wohl vertraut, dass es Krankheiten gibt, die, einmal ausgebrochen, nicht mehr geheilt, sondern allenfalls gelindert und verlangsamt werden können &8211; etwa Aids. Alles kommt darauf an, ihre Entstehung zu verhindern. Von diesem Präventivdenken, auch in der Medizin derzeit nicht allzu populär, ist die Politik weiter entfernt als je zuvor. Wenn jetzt Konferenzen über Alternativen zur Militärintervention organisiert werden, dann lässt sich dazu vor allem eines sagen: Lange suchen muss man nicht nach dem, was getan werden muss & 8211; man muss es »nur« tun. Prävention als Alternative zum Dreinschlagen, das wäre im Grunde all das, was schon vor zehn Jahren, nach dem Ende des »Kalten Krieges«, allenthalben gefordert worden ist &8211; Stichwort »Friedensdividende«. Geschehen ist wenig bis nichts. Und wenn nicht das Richtige geschieht, entwickelt sich alles in die falsche Richtung. Wir haben zehn Jahre versäumt & 8211; und jetzt heucheln wir uns darüber hinweg. Sich für die Zukunft einzusetzen heißt deshalb in erster Linie: Sich für den Präventionsgedanken einsetzen &8211; überall und ohne faule Kompromisse. Ihn immer wieder einklagen von den Verantwortlichen auf allen Ebenen (auch von sich selbst). Er ist der beste, niemals veraltende Prüfstein zur Entlarvung jener Heucheleien aller Art, von denen wir & 8211; leider – noch einige erwarten dürfen.Quelle: Publik-Forum, Nr.5+2002+17.03.2002
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