Unser Gehirn ist ein Abbild des
Universums. Beide entstehen und
funktionieren auf dieselbe Weise,
sagt der australische Physiker
Reginald T. Cahill. Was bedeutet
das? Cahills Theorie beginnt mit
einer einfachen Formel und
kommt zu verblüffenden
Resultaten Seit es eine Naturwissenschaft
in unserem Sinne gibt, haben sich
Wissenschaftler auch mit philosophischen Fragen auseinander
gesetzt. Einige dieser Fragen lauten: Was ist Realität? Was ist
Kausalität? Woher kommt die Welt? Wie können wir die
Wirklichkeit beschreiben? Gibt es einen tiefsten Grund der Welt?
Werden wir je Einsteins Traum verwirklichen und eine
»Weltformel« finden?
Es gibt noch einige spezielle Fragen:
- Was ist Materie?
- Warum hat der Raum genau drei Dimensionen?
- Wie entsteht der »Pfeil der Zeit«? Wir wissen, dass die Zeit
von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft fließt
und keinesfalls umgedreht werden kann. Doch in keiner einzigen
physikalischen Formel kommt dieser Zeitfluss vor – alle Formeln
sind, wie der Physiker sagt, »zeitsymmetrisch«, d. h.
Vergangenheit und Zukunft sind absolut gleichwertig und von
der Formel her nicht unterscheidbar.
- Welches sind die Grundbausteine der Welt?
- Wird - Warum können wir die Wirklichkeit erkennen,
wenigstens teilweise? Schließlich erhalten wir ein Bild der
Wirklichkeit nur über unsere Sinneseindrücke, und die
bestehen aus elektrischen Impulsen. Wie können wir daraus
die Realität konstruieren – und stimmt diese Konstruktion
tatsächlich mit der Wirklichkeit überein?
Und schließlich die Frage: Woher kommt das Bewusstsein?
Die bisherigen physikalischen Systeme, und seien sie noch so
ungewöhnlich, konnten diese Fragen nicht beantworten. Der
Raum wird stets als dreidimensional vo-rausgesetzt, sonst
wären die Naturgesetze anders. Gibt es in einer Theorie – wie
in der »String-Theorie« – tatsächlich mehr als drei
Raumdimensionen, werden die überzähligen Dimensionen
schamhaft versteckt, indem man sie auf unmessbar kleinem
Raum zusammenrollt.
Die letzten Bausteine der Welt waren einst die Atome, dann
die Elementarteilchen, dann die Quarks, jetzt vielleicht die
»Präonen« usw.
Und die Zeit erscheint in allen physikalischen Gleichungen so,
dass ein Prozess genauso gut von der Zukunft in die
Vergangenheit ablaufen könnte – was, wie wir ja schon im
Alltag bemerken, absolut unmöglich ist. Auch der Zufall hat in
der Physik nichts zu suchen. Finden wir ihn dennoch in einer
physikalischen Formel, wird dies als Notlösung betrachtet,
weil zu viele Elemente – beispielsweise unzählige Atome –
vorhanden sind und diese Vielzahl nicht exakt beschrieben
werden kann. Und Fragen nach Phänomenen wie
Be-wusstsein oder gar außersinnliche Wahrnehmung gehören
nach Meinung der Physiker nicht in die Physik, sondern in die
Psychologie oder Esoterik.
Stimmt alles nicht, behauptet ein australischer Physiker. Er
hat eine Theorie entwickelt, die alle oben angeführten Fragen
– und noch ein paar andere aus der Quantenphysik – nicht nur
klärt und erklärt, sondern darüber hinaus auch eine von
Voraussetzungen freie Physik liefert, aus der sich die
Dimensionen des Raums ebenso natürlich ergeben wie die
augenblickliche Verständigung weit entfernter
Elementarteilchen (»Quantenkorrelation«). Hat der Physiker
Reginald T. Cahill von der Flinders University in Adelaide
(Australien) den Stein der Weisen gefunden? Das wird die
Zukunft zeigen. Immerhin, seine Ideen sind so
bemerkenswert, dass sie Grund zum Nachdenken geben und
vielleicht sogar eine neue Ära der physikalischen Forschung
einleiten.
Cahill hat seiner Theorie verschiedene Namen gegeben,
darunter Prozessphysik (weil er in erster Linie Prozesse, also
dynamische Entwicklungen, betrachtet); he-raklitische Physik
(weil er sich auf den Ausspruch des griechischen Philosophen
Heraklit (550 – 480 v. Chr.) stützt, der erklärte, alles sei im
Fluss und es sei ein Wunder, dass es überhaupt stabile Dinge
gäbe); Monadenphysik (nach der Monadenlehre des
deutschen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 –
1716)); und sogar Münchhausen-Physik (weil sich aus seinen
Formeln die Welt selbst am eigenen Schopf in die Existenz
zieht). Doch auch der Mathematiker Kurt Gödel (1906 –
1978) gehört zu den Vätern der neuen Theorie, denn dessen
bahnbrechende mathematische Erkenntnisse sind Grundlage
dafür, dass auch das Bewusstein in seinen Formeln vorkommt.
Beginnen wir mit einer einfachen Frage: Warum können wir
die Welt überhaupt erkennen? Die Antwort der Philosophen:
weil unser Gehirn so aufgebaut ist, dass es der Welt ähnelt.
Die Strukturen der Wirklichkeit spiegeln sich offenbar in den
Strukturen der Hirnvorgänge. Cahill findet zu dieser
Vermutung eine überraschende Wende: Er dreht die Sache
um. Wenn das Gehirn so aufgebaut ist wie die Welt, dann ist
ja wohl auch die Welt so aufgebaut wie das Gehirn. Das
bedeutet: Hat man ein gutes Modell des Gehirns, dann kann
man damit auch die Welt beschreiben.
Das derzeit beliebteste Modell für Gehirnvorgänge ist ein
neuronales Netz. Es besteht aus »Knoten«, das sind die
Elementarteilchen des Netzes (im Hirn: einzelne
Nervenzellen) – und aus den Beziehungen zwischen diesen
Knoten. Zwei Nervenzellen können einander verstärken
(Beziehungswert = 1), sie können einander behindern
(Beziehungswert = -1), oder sie haben nichts miteinander zu
tun (Beziehungswert = 0). Ein neuronales Netz entfaltet sich
schrittweise, und nach jedem Schritt gibt es neue
Beziehungen, wobei viele auch wieder verschwinden. Wie
dynamisch sich ein neuronales Netz entfalten kann, zeigt der
Zustand im Gehirn eines Embryos: Nervenzellen vermehren
sich, wachsen zueinander, manche bilden Komplexe, manche
isolieren sich, manche werden zu Inhibitoren (Hemmer) und
blockieren Nachbarzellen, d. h. sie unterdrücken die
Weiterleitung von Nervenimpulsen, was durchaus sinnvoll
sein kann. Ein solcher Inhibitor ist beispielsweise in Ihrer
Wohnung vorhanden: Die ganz gewöhnliche elektrische
Sicherung blockiert, zu Ihrem Vorteil, Ströme, die zu stark
sind und Ihre Geräte beschädigen könnten.
In Cahills Modell ist die Zeit als Prozess im Sinne eines
Erlebens vorhanden. Die Vergangenheit besteht aus den
bisher gewachsenen Strukturen. Die Gegenwart ist der
Augenblick, von dem aus eine neue Runde des Wachstums und
der neuen Beziehungen startet. Die Zukunft ist unbestimmt
und nicht vorausberechenbar. Das klingt vertraut. Aber auf
eines wollte sich Cahill nicht festlegen: die Grundbestandteile
seines Netzes. Er wollte diese unbestimmt lassen, und so
musste er sie, mathematisch gesprochen, »verstecken« – sie
sollten in seinen Formeln gar nicht auftauchen. Doch wie geht
das? Wenn wir ein Haus erforschen, kommen wir zuletzt doch
auf seine Grundbestandteile, beispielsweise Ziegel. Wie kann
man ein Haus ohne Ziegel beschreiben?
Eine neue Entdeckung der Mathematiker macht es möglich.
Der IBM-Angestellte Benoit Mandelbrot entdeckte bzw.
benannte diese Gebilde – er nannte sie Fraktale. Ein Beispiel
ist das Abbild des Mündungsdeltas eines Flusses. Dieses
besteht aus Flüssen und Nebenflüssen und
Nebennebenflüssen und ... ad infinitum. Wenn Sie die Flüsse
als Beziehungen betrachten, gibt es keine Grundelemente, nur
Flussverläufe. Und wenn Sie sich so ein Bild anschauen,
wissen Sie nicht, aus welcher Höhe es gemacht wurde – das
Flussdelta ist auf jeder Ebene »selbstähnlich«. Ob ein
Flussdelta aus dem Weltraum oder von ganz nah fotografiert
wurde, es sieht im Prinzip immer gleich aus. Wir sehen nur
ein Geflecht von Verzweigungen – genau das, was Cahill
wollte.
Cahill baute also sein Netzwerk der Realität aus
unbestimmten Grundbestandteilen auf, die er
»Pseudo-Objekte« nannte, manchmal aber auch »Monaden«,
benannt nach der Monadenlehre von Gottfried Wilhelm
Leibniz. Cahills Monaden wurden, nach dem Start, selbst zu
Netzwerken, deren Monaden wiederum Netzwerke
darstellten, deren Monaden wiederum ... ad infinitum. Das
Netzwerk zieht sich sozusagen am eigenen Schopf aus dem
Sumpf der Nicht-Existenz – daher auch der Name
»Münchhausen-Physik« (englisch »bootstrap« =
Stiefelschnalle).
Aus Gründen, die wir später erklären, verwendete Cahill auch
ein Zufallselement als wesentlichen Bestandteil seines
Netzwerks, ein so genanntes »Rauschen«. Als er ein solches
Netzwerk im Computer simulierte (allein durch Formeln ist es
nicht vorausberechenbar!), ergab sich automatisch eine
verblüffende Eigenschaft: Die Anzahl der Knoten steigt mit
dem Quadrat des Abstands (in doppelter Entfernung gibt es
also viermal so viele Knoten). So etwas ist nur in einem
dreidimensionalen Raum möglich. Die Dreidimensionalität
unserer Welt, in allen physikalischen Theorien
vo-rausgesetzt, ergibt sich bei Cahill aus den Formeln, ist also
eine Folge seiner Welt, keine Voraussetzung.
Cahill fand eine weitere verblüffende Tatsache: Nicht alle
diese fraktalen Strukturen füllen den Raum vollständig aus.
Einige verharren störrisch in ihren eigenen Mustern, die der
Raum als »Defekte« empfindet, als Störungen oder
Verwerfungen. Und genau diese unangepassten Gebilde
machen das aus, was wir »Materie« nennen. Mit anderen
Worten: Materie – also unsere Realität – ist eine Störung der
reinen ursprünglichen Welt – ein Gedanke, den wir in vielen
Religionen finden!
Bei der Simulation im Computer ergaben sich vielfältige
Beziehungs-Strukturen. Wenn wir diese Entwicklung
menschlich beschreiben, sah es etwa so aus: Manche
Monaden (= Knoten) streckten zö-gernd ihre Arme aus,
fanden befreundete Monaden und bildeten mit ihnen eine
kleine Gemeinschaft. Andere Monaden fanden Gefallen daran
und schlossen sich an. So bildeten sich Netzwerke, die lange
Zeit Bestand hatten. Andere Netzwerke entstanden und
vergingen, konkurrierten mit vorhandenen Strukturen oder
kooperierten mit ihnen. Mitglieder dieser
Freundschaftsbeziehungen erkannten einander, besaßen eine
Art Gedächtnis, und wenn’s dem einen schlecht ging, fühlten
andere mit. Genau das ist, wieder in die Physik übertragen,
die Grundlage der »Quantenkorrelation«: Zwei Teilchen, die
zur selben Zeit aus demselben Atom entstanden sind, sind
durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden, egal, wie
weit sie sich räumlich voneinander entfernt haben.
Der aufmerksame Leser wird erkannt haben, dass Cahills
System sich sehr weit von der Physik entfernt und einer ganz
anderen Wissenschaft angenähert hat – der Evolutionslehre.
So sieht Cahill auch seine Theorie: Das Weltall ist nicht, es
entsteht, seine Strukturen kommen und vergehen, wachsen
und verschwinden. Das gilt auch für Naturgesetze: Auch sie
bilden sich erst im Lauf der Zeit. Ein »Urknall« ist nicht mehr
nötig, das Universum braucht nur sich selbst, um aus dem
Sumpf des Nichts in die Freiheit der Existenz zu gelangen.
Alles entsteht ganz langsam und allmählich.
Und wie kommt Bewusstsein in diese Welt der fraktalen
Beziehungen? Auch hier verblüfft Cahill: Das Bewusstsein ist
in seinen Formeln bereits enthalten – es wird durch nichts
anderes erzeugt als durch das Unberechenbare,
Unvorhersehbare, das, was sich jeder Formel verweigert und
keinerlei Muster erkennen lässt. Physiker nennen solche
unangenehmen Begleiterscheinungen ihres geordneten
Kosmos »Rauschen«. Wie das möglich wird, ist eine längere
Geschichte. Sie beginnt mit dem österreichischen
Mathematiker Kurt Gö-del. 1931 gelang ihm eine
sensationelle Entdeckung: Selbst die einfachsten
mathematischen Theorien sind unvollständig in dem Sinn,
dass es dort Formeln gibt, die garantiert stimmen, aber in der
Theorie auf keinen Fall bewiesen werden können. Bis dahin
waren Mathematiker überzeugt: Eine mathematische Aussage
ist wahr, oder sie ist falsch. Doch selbst die einfache Lehre
von den ganzen Zahlen – die Arithmetik – enthält
mathematische Aussagen, die innerhalb der Arithmetik nicht
beweisbar sind. Gödel nannte solche Bereiche in den
Mathematik »gesetzlos«.
Gödel gelang sein komplizierter Beweis dadurch, dass er
Aussagen über Zahlen mithilfe von Zahlen formulierte. Genau
das, so Cahill, ist die Grundlage des Bewusstseins – die
Selbstbezüglichkeit. Der Mensch denkt über sich selber nach,
das Gehirn betrachtet seine eigene Funktionsweise, die
Sprache be-schreibt die eigene Grammatik. René Descartes
(1596 – 1650) brachte es auf den Punkt: »Ich denke, also
bin ich.« Das ist für Descartes die einzige Sicherheit, die wir
haben, sie entsteht durch Reflexion über sich selbst. Und weil
sich genau aus dieser Reflexion, aus dieser
Selbstbezüglichkeit, auch die »Gödel’sche Gesetzlosigkeit«
ergibt – wir wissen nicht mehr, ob eine Aussage wahr oder
falsch ist oder je bewiesen werden kann –, kommt nach Cahill
das Bewusstsein eben durch diese Ungesetzlichkeit in die
Welt. Folglich nennt er den Teil in seiner Formel, der das
Bewusstsein beschreibt, »selbstbezügliches Rauschen« – ein
anderer Name für »Gödel’sche Gesetzlosigkeit«.
Ohne diese Gesetzlosigkeit, so Cahills Erkenntnis bei der
Simulation seines Systems, käme das Univerum bald zu einem
Ende, zu einer festen Form, die sich nicht mehr verändert, zu
dem von einigen Autoren propagierten »Big Crash« oder dem
Ende des Universums in Eis und erstarrter Kälte. Doch so ist
die Welt nicht beschaffen. Im Gegenteil, sie entwickelt sich
immer weiter, immer höher, hin zu einer Stufe, da selbst die
unbelebte Materie Bewusstein zeigt. Und Cahill selbst spricht
einmal von einer »Physik des Be-wussteins«. »Das
Universum« schreibt er, »besitzt eine Vitalität, die Physikern
bisher verborgen geblieben ist.«
Wirklich erstaunlich: Zu der gleichen Erkenntnis kam zum
Beispiel der französische Jesuitenpater und Paläontologe
Pierre Teilhard de Chardin (1881 – 1955). Er beschrieb das
grandiose Bild einer kosmischen Evolution, eines lebenden
Universums. Ziel dieser Evolution ist eine immer größere
Verflechtung aller Lebensformen und eine Höherentwicklung
des Bewusstseins – nicht nur des Menschen, sondern des
gesamten Universums. Der deutsche Biologe Ernst Haeckel
(1834 -– 1919) hatte gemeint, jedes Atom besäße bereits
eine »Kristallseele«, und der französische Physiker Jean
Charon betrachtete gar die Elektronen als Träger einer Art
von Elementarbewusstsein.
So ergibt sich aus Cahills Formeln ein verblüffendes Bild der
Welt, das uns auch im Alltag betrifft. Die Welt – das
unendliche Universum ebenso wie unsere persönliche
Wirklichkeit – entsteht aus dem Nichts ganz allmählich durch
Nachdenken über sich selbst, durch Begegnung mit anderen,
durch das Knüpfen von Beziehungen, von Freundschaften und
Sympathien. Wer allein bleibt, stirbt; wer sich aber mit
anderen verbündet, schafft Strukturen, die erhalten bleiben
und weit über diese Gemeinschaft hinaus wirken – und deren
Mitglieder auch über große Entfernungen von Raum und Zeit
in Verbindung bleiben.
Wer religiös ist, kann diese Erkenntnis ausbauen. Es gibt so
etwas wie eine unsterbliche Seele einer jeden Monade,
vorausgesetzt, sie ist nicht allein, und ihre Fäden reichen über
die Grenzen der Materie hinweg in den Kosmos hinein. Was
auch bedeutet, dass genau dieses Nachdenken über sich
selbst – vielleicht in Verbindung mit dem Gedankenaustausch
Gleichgesinnter – neue Strukturen schafft und somit die Welt
entscheidend verändert. Ob zum Guten oder zum Schlechten,
das hängt von unseren Gedanken ab.
Und als wesentliche Erkenntnis ergibt sich: Nur wer lebendig
ist, gestaltet die Zukunft als eine Welt, die lebenswert ist, ob
für Quarks, für Menschen oder für Galaxien-Superhaufen mit
Bewusstsein.
Autor(in): Peter Ripota