Kultur: News
 31. Mai 2004 · Kultur: Die Definition von Kunst


"Splatter movies, offshoots of the horror film genre, aim not to scare their audiences, necessarily, nor to drive them to the edges of their seats in suspense, but to mortify them with scenes of explicit gore. In splatter movies, mutilation is indeed the message."
(John McCarty: Splatter Movies - Breaking the Last Taboo of the Screen)

Am 20. Januar 2004 erreichte die behördliche Kriminalisierung von Filmen in Deutschland mit der Beschlagnahmung von Herschell Gordon Lewis' BLOOD FEAST (USA 1963), wegen Verstoßes gegen den Paragraphen 131 des Strafgesetzbuches, durch das Amtsgericht Karlsruhe einen weiteren traurigen Höhepunkt. Bemerkenswert ist nicht nur die Tatsache, daß der Film bereits über 40 Jahre alt ist und aus heutiger Sicht die Gewaltästhetik in BLOOD FEAST eigentlich nur mehr als amateurhaft bezeichnet werden kann. Auch der Beschlagnahmungsbeschluß weicht von der bisherigen Praxis ab und argumentiert nicht mehr gegen die inkriminierten Szenen, sondern listet diese nur noch deskriptiv auf.

Filmgeschichtlich genießt BLOOD FEAST eine Sonderstellung. Der Film besitzt in filmwissenschaftlichen Kreisen den Ruf eines Wegbereiters des modernen Horrorfilms und gilt als Begründer des "Splatterfilms".

Der Verein Medialog e.V. hat Herschell Gordon Lewis von der Beschlagnahmung seines Films in Kenntnis gesetzt. Der Regisseur zeigt sich in einer Stellungnahme sehr betroffen über den Gerichtsbeschluß:


"I am distressed to learn that a court in Karlsruhe has banned BLOOD FEAST some forty years after the film's release.
This intrusion into the ability of individuals to decide what they choose to watch is unacceptable in any civilised society. It is especially nonsensical to impose such a restriction so many years after the film has been seen and enjoyed by tens of thousands of individuals.
As many filmographies attest, BLOOD FEAST has a historical position in the history of motion pictures. I urge all concerned citizens to make every possible legal move to oppose and overturn this unwarranted constraint."

Um diesen Film einem interessierten Publikum wieder zugänglich zu machen, hat Medialog e.V. eine Online-Petition gegen das Verbot von BLOOD FEAST ins Leben gerufen. Die Unterschriftenaktion läuft bis zum 01. August 2004. Das Ergebnis wird dem Medienausschuß und dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages überreicht. (C.B.)

Ein Exklusivinterview von Der Humanist mit Stefan Höltgen, dem 2. Vorsitzenden von Medialog e.V.

Könnten Sie bitte einmal kurz Medialog e.V. vorstellen und erläutern, welche Ziele der Verein verfolgt?

Medialog e.V. ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern, Journalisten und Filmfreunden. Der Verein wurde im Januar dieses Jahres gegründet. Sinn und Zweck ist grob gesagt "die Förderung von Medienkompetenz". Das umfasst ein breites Themenspektrum von medienpädagogischen Fragen über Kritik an einseitiger Berichterstattung über Medien, Kritik an der Beschränkung des Zugangs zu Medien und natürlich auch Teilnahme an der öffentlichen Diskussion über Medien, ihre Möglichkeiten und Wirkungen. Wir setzen dabei voraus, dass grundsätzlich ein rationaler, aufgeklärter Umgang mit Medien besser ist als Reglementierung und Verteufelung. Doch für diesen aufgeklärten Umgang müssen die Grundlagen geschaffen werden und politische, soziale, ökonomische und psychische Schranken überwunden werden. Wir haben uns vorgenommen daran zu arbeiten.

Die Beschlagnahmung von Lewis' Klassiker des Splatterfilms durch ein deutsches Amtsgericht hat weltweit Reaktionen hervorgerufen. Medialog sammelt Unterschriften, um auf politischer Ebene zu protestieren. Betrachtet man sich die Beschlagnahmungspraxis in Deutschland seit den 1980er Jahren, wie schätzen Sie den Erfolg für eine Aufhebung des Verbotes ein?

Wir wollen nicht das Verbot des Filmes aufheben; wir wollen die Grundlage, auf der Kunst verboten werden kann, ändern. Deswegen streiten wir auch nicht juristisch gegen die Beschlagnahmung, sondern auf der legislativen Ebene. Wir denken, dass der Paragraph 131 des Strafgesetzbuches in vielerlei Hinsicht "überdehnt" ausgelegt wird, wenn es um solche Fragen wie "Gewaltverherrlichung" geht. Uns scheint, dass die diffusen und oftmals unbegründeten Ängste, die in der Bevölkerung angenommen werden, in solchen Gerichtsverfahren ihre Entsprechung im Verbot von Medien finden. Dabei sind diese Verbote - aufgrund weltweiter Bezugsmöglichkeiten solcher Filme - nicht nur Makulatur, sondern verhindern eigentlich genau das, was sie erreichen wollen, dass nämlich eine breite Diskussion über den Sinn von Gewaltdarstellung stattfinden kann. Das ist die einzige Möglichkeit auf Dauer mit gewaltdarstellenden Inhalten umzugehen.

Also geht es in erster Linie dem Verein gar nicht gegen das Verbot dieses speziellen Filmes, sondern gegen die Praxis im allgemeinen, Filme unter dem Vorwand eines Jugendschutzes aus dem Verkehr zu ziehen und somit eine Kunstrezeption für Erwachsene zu verhindern?

Der Paragraph 131 hat ja nichts mit Jugendschutz zu tun. Hier wird der Film Gegenstand einer Straftat und derjenige, der ihn produziert hat oder vertreibt, wird wegen "Verbreitung gewaltverherrlichender Schriften" inkriminiert. Das ist ein unhaltbarer Zustand, zumal die Filme dabei nur aus der Perspektive eines einzigen Aspektes bewertet werden: "Wieviel Gewalt wird da gezeigt?" Weder finden in den Gerichten filmhistorische noch medienkulturelle Diskussionen statt ... sonst wäre nämlich keiner der Filme auf der Liste verboten.

(Das Interview führte Christian Barduhn)

Online-Petition
Medialog e.V.

 14. Mai 2004 · Kultur: Filmtip

Arte zeigt heute um 20:40 Uhr das britische Fernsehdrama SÜNDERINNEN (SINNERS, 2002) der Regisseurin Aisling Walsh. Ihr Film gewann auf dem Shanghai TV-Festival fünf Auszeichnungen, darunter den Preis für die beste Regie.

Irland 1963: Als die 17-jährige Waise Anne Marie schwanger wird, wird sie von ihrer Tante und dem örtlichen Hilfspfarrer prompt ins Kloster eingewiesen. Dort, in der als "Magdalenen-Heim" bekannten Zwangsarbeitsanstalt findet sie sich mit anderen jungen Frauen wieder, die auf ähnliche Weise die strikten moralischen Regeln des erzkatholischen Irlands übertreten haben. Kaum angekommen wird sie ihrer Identität beraubt - ab sofort heißt sie Theresa - und muss mit den anderen Frauen als Wäscherin schuften. Als weitere Strafe wird ihr ihr Kind gleich nach der Geburt abgenommen und zur Adoption freigegeben. Ihr eigenes Schicksal liegt nun in den Händen ihrer Familie, die allein über ihre Entlassung aus dem Heim entscheiden kann. Schnell freundet sich Theresa jedoch mit Kitty, einer ehemaligen Lehrerin an und gemeinsam träumen sie von einem Leben in der Freiheit. Doch die Bedingungen im Kloster sind hart: Sexueller Missbrauch durch die Priester, Schläge und harte Strafen sind an der Tagesordnung. Als Kitty sich umbringt, beschließt Anne Marie sich zur Wehr zu setzen und zu fliehen...

(C.B.)

[Quelle: www.arte-tv.com]

 28. September 2003 · Kultur: Traumfabrik Kommunismus

An der Frankfurter Buchmesse vom 08. - 13. Oktober 2003 wird Rußland erstmalig als Gastland teilnehmen. Parallel dazu bietet die Schirn Kunsthalle in Frankfurt eine Ausstellung über die sowjetische Kunst der Stalinzeit.

Auszug aus der Pressemitteilung:

Die umfassende Ausstellung "Traumfabrik Kommunismus", die vom 24. September 2003 bis 4. Januar 2004 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt gezeigt wird, widmet sich dem im Westen immer noch wenig bekannten Kosmos der sowjetischen Kunst der Stalinzeit. Als zentralistisch organisierte Massenkultur bediente diese sich der Mechanismen und Strategien der Werbung, um ihre hocheffektiven Propagandabilder zu verbreiten. Dabei weist der stalinistische Sozialistische Realismus eine offensichtliche Ähnlichkeit mit der gleichzeitigen amerikanischen Massenkultur auf. Die Verwandtschaft zwischen der westlich-kommerziellen und der sowjetisch-ideologischen Massenkultur lässt sich vor allem daran erkennen, dass für beide Systeme die Werbung stilbildend war und sich an alle Menschen gleichermaßen gerichtet hat. Mit dem Unterschied, dass im Westen für unterschiedliche Produkte, im stalinistischen Russland mit seinem totalitären und auf Unterdrückung basierenden Staatsapparat jedoch nur für ein einziges - den Kommunismus - geworben wurde.

Mehr Informationen: Schirn Kunsthalle

[C.B.]

 21. September 2003 · Kultur: Opus Magnum

Über den Film HEAT von Michael Mann.

Neil McCauley ist kein gewöhnlicher Verbrecher. Er ist die fleischgewordene Präzision. Perfekter Haarschnitt, perfekt gestutzter Bart, perfekt sitzender Anzug. Mit der gleichen präzisen Perfektion plant er seine Überfälle und Einbrüche. Seine Philosophie ist, sich an nichts zu hängen, daß man nicht nach 30 Sekunden problemlos wieder verlassen kann. Dies gilt für seine kriminellen Aktivitäten wie für sein Privatleben. Doch seine Achillesferse ist die Einsamkeit. Mehr...

C.B.

 12. September 2003 · Kultur: Johnny Cash R.I.P.

I hurt myself today
To see if I still feel
I focus on the pain
The only thing that's real
The needle tears a hole
The old familiar sting
Try to kill it all away
But I remember everything

What have I become?
My sweetest friend
Everyone I know
Goes away in the end
You could have it all
My empire of dirt
I will let you down
I will make you hurt

I wear this crown of thorns
Upon my liar's chair
Full of broken thoughts
I cannot repair
Beneath the stain of time
The feeling disappears
You are someone else
I am still right here

What have I become?
My sweetest friend
Everyone I know
Goes away in the end
You could have it all
My empire of dirt
I will let you down
I will make you hurt

If I could start again
A million miles away
I would keep myself
I would find a way

(Johnny Cash: Hurt)

1932-2003

(C.B.)

 20. Mai 2003 · Kultur: Fernsehsendung: Glaube als Selbstbetrug?

Glaube - Lebenshilfe oder Selbstbetrug?

So heißt die nächste Sendung des Nachtcafés im SWR am Freitag, 23. Mai, 22.00 Uhr. Die Sendung wird am darauffolgenden Samstag um 8.45 Uhr wiederholt.

"Was hat der Mensch davon, wenn er glaubt? Gemeinschaft, Rückhalt, Lebenssinn - Religionen helfen Menschen ihr Leben zu meistern. Doch der Glaube kann auch krank machen. Im Name des Glaubens werden Kriege geführt und Menschen getötet. Führt der Glaube vielleicht doch nur in die Irre? Oder gibt es über den Gebrauchswert der Religionen hinaus einen höheren Sinn im kosmischen Ganzen?" so kündigt der SWR die Sendung an.

In Pressemitteilung des SWR zur Sendung heißt es: "Immerhin: Die Kirchenoberen registrieren wieder ein größeres Interesse an religiösen Themen. Von mehr Menschen wird wieder der kirchliche Segen zur Hochzeit gewünscht, und geistlicher Beistand hilft vielen Menschen aus Lebenskrisen heraus." Anhand von Zahlen lässt sich das jedoch nicht bestätigen. 1996 ließen sich noch 161.000 Paare kirchlich trauen, das waren schon nur noch knapp 38% aller Hochzeiten in Deutschland. Bis zum Jahr 2000 sank die Zahl auf 134.000 (32% aller Trauungen). Neuere Zahlen liegen nur von der Katholischen Kirche für das Jahr 2001 vor. Da sanken die kirchlichen Trauungen besonders drastisch um über 10.000 in einem Jahr!

Eingeladen zur Sendung ist u.a. der Psychologe und Buchautor Prof. Dr. Franz Buggle. Buggle ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) e.V.

In seinem Buch "Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann" demonstriert Buggle durch Zitate, dass die Bibel ein zutiefst gewaltätig-inhumanes Buch ist, völlig ungeeignet als Grundlage einer heute verantwortbaren Ethik. Das Buch, das seit langem vergriffen ist, wird im November 2003 vom Alibri-Verlag neu aufgelegt (ca. 450 Seiten, kartoniert, ca. Euro 25, ISBN 3-932710-77-0). (H.J.)

==> mehr zur Sendung

 27. April 2003 · Kultur: Update: Veranstaltungshinweise

Der Humanist: Veranstaltungen und Aktionen

 19. Februar 2003 · Kultur: Die unbarmherzigen Brüder und Schwestern

In einigen deutschen Kinos läuft zur Zeit der Film "Die unbarmherzigen Schwestern", der im September letzten Jahres in Venedig den Goldenen Löwen erhielt. In dem Film geht es um die sogenannten Madalenen-Heime, gegründet in Irland im 19. Jahrhundert. Interniert wurden dort, meist auf Veranlassung der Eltern, junge Mädchen, die sich "promisken" Verhaltens schuldig gemacht hatten – zunächst vor allem Prostituierte, dann zunehmend Vergewaltigungsopfer, Mädchen, die zu viel mit anderen Jungen flirteten, Mädchen, die ungewollt schwanger wurden. In den Heimen, die von katholischen Nonnen betrieben wurden, mussten die Mädchen 364 Tage im Jahr rund um die Uhr Wäsche waschen – von Priestern oder den umliegenden Gemeinden. Die Frauen erhielten nichts, wurden wie Sklaven behandelt, aufs Härteste körperlich bestraft, sexuell missbraucht. Das letzte Magdalenen-Heim wurde 1996 geschlossen. "Geschlossen wurden sie wegen der immer besseren automatischen Waschmaschinen. Als die Wäschereien nicht mehr profitabel waren, brauchte man keine Sünderinnen mehr", erklärt Frances Finnegan, die mit " Do Penance or Perish: A Study of Magdalene Asylums in Ireland" (256 S., Congrave Press) die umfassendste Studie zu den Magdalenen-Klöstern erarbeitet hat. Über 30.000 Frauen wurden in den Heimen misshandelt, manche blieben nur Wochen, andere ihr ganzes Leben.

Filmemacher Peter Mullan kam auf die Idee, nachdem er die britische Dokumentation "Sex in a Cold Climate" im Fernsehen gesehen hatte. Darin wird das Schicksal verschiedener Frauen erzählt, die in den Heimen landeten. Martha Cooney z.B. wurde als 14jährige eingewiesen, nachdem ihr Cousin sie sexuell belästigt hatte. Vier Jahre lang musste sie im Heim schuften.

Auf ihrer Lebensgeschichte beruht wohl die Figur der Margaret in Peter Mullans Film. Margaret wird 1964 auf einer Hochzeit vergewaltigt; als sie davon erzählt und sich die Tat herumspricht, sieht ihr Vater keine andere Möglichkeit, als sie aufgrund der "Schande" ins Heim einzuweisen. Dort trifft sie zusammen mit Rose und der schönen Bernadette ein. Gleich nach der Ankunft werden die Mädchen in braune, sackartige Uniformen gesteckt. Reden dürfen sie nur, wenn sie gefragt werden, auch das Reden untereinander ist strengstens verboten. Körperliche Leiden werden aus Angst vor Repressalien verheimlicht. Als Bestrafung drohen Prügel oder die demütigende Kopfrasur. "Dienstälteste" Zwangsarbeiterinnen werden von den Nonnen klug als Überwacher eingesetzt.

Peter Mullans Film enthält viele schockierende und überraschende Momente und verfällt dabei nicht in die Klischees eines Gefängnisfilms. Im Gegenteil zeichnet er ein realistisches Bild davon, wie die Psyche eines Menschen sich unter den Bedingungen schwerster Misshandlungen verändern kann. Die vorgebliche Rolle der Kirchenfrauen - die "Moral" aufrechtzuerhalten - verkehrt sich ins exakte Gegenteil: Die Opfer der sadistischen Nonnen verfallen zunehmend in Apathie und Wahnsinn. Am faszinierendsten ist Bernadette, die sich den Misshandlungen ihrer Peiniger von Beginn an widersetzt.

Dabei muss man dem Film fast schon Verharmlosung vorwerfen. Die Gewalt wird selten explizit gezeigt, obwohl sich der Zuschauer das Leid der Mädchen besser ausmalen kann, als ihm lieb ist. Mullan: "Ich hörte einige furchtbare Geschichten, Geschichten die weit schlimmer als die im Film dargestellten Ereignisse sind." Doch der Regisseur, der auch das Drehbuch schrieb und eine kleine Rolle im Film spielt, wollte sich nicht dem Vorwurf der Übertreibung aussetzen.

Dennoch folgte die Schelte durch die katholische Kirche der Veröffentlichung des Films auf dem Fuße. Von einer Distanzierung oder Entschuldigung für die in den Heimen begangenen Verbrechen keine Spur: Der Film sei eine antiklerikale Provokation, nur darauf ausgelegt, den Priesterstand weiter zu diskriminieren. Auch Anti-Werbeanzeigen wurden geschaltet. Für Mullan kommt die Kritik wie gerufen, bescherte sie dem Film doch zusätzliche Publicity. Für ihn, der lange vor dem 11. September das Taliban-Regime in Afghanistan kritisierte, war die Behandlung der Frauen durch die irischen Theokraten keinen Deut besser.

Dabei zeigen die Ereignisse in Irland vor allem eines: Wo Religion herrscht, ist Finsternis, ist Gewalt und sexuelle Unterdrückung. Zu behaupten, Religion sei etwas Wunderbares, wenn sie nicht so fundamentalistisch wie in Afghanistan ist, heißt lediglich, dass man das gleiche Gift in niedrigerer Dosis schluckt. Besonders schockierend ist, dass der Einfluss der Kleriker ausreichte, um diese Vorkommnisse außerhalb Irlands geheim zu halten, ein Land, das schon lange zur europäischen "Wertegemeinschaft" gehört. Das wirft Fragen auf – was passiert in katholischen Jugendheimen in Bayern? Wie sieht es in klerikal dominierten Regionen in Italien noch heute aus? Welchen Einfluss haben Extremsekten wie Opus Dei und Engelswerk?

Während Mullans Film läuft, ist der nächste große Skandal bereits im Gange. In Kanada häufen sich Klagen gegen Kirchen, die im Regierungsauftrag Missionsschulen für die eingeborenen Indianer betrieben haben. Den Kindern, die dort zwangsinterniert wurden, drohten massivste körperliche Misshandlungen, aber auch extreme Unterernährung und damit oft ein früher Tod. In welches Land man auch schaut – je größer der Einfluss der Religion ist, desto schlimmer geht es den Opfern.

Links

 8. Dezember 2002 · Kultur: M.S. Salomon: Stollbergs Inferno

"Das Christentum hat sich seine Sonderstellung als ‚dümmste Religion’ redlich verdient!"

Stollbergs Inferno, Alibri VerlagSo äußert sich zumindest M.S. Salomon, der verantwortliche Redakteur der religionskritischen Zeitschrift MIZ (Materialien und Informationen zur Zeit). Von ihm erscheint dieser Tage ein Roman, der das Potential hat, die Gemüter der Republik nachhaltig zu erregen.

Die Erzählung handelt von einem Religionskritiker namens Jan Stollberg, der während einer Vorlesung über "Wissenschaft und Aberglaube" einen Herzinfarkt erleidet, worauf er sich zu seinem maßlosen Erstaunen in der christlichen Vorhölle wiederfindet. Wie er sind dort alle Philosophen gefangen, die aufklärerisches Gedankengut vertreten haben. Der unmittelbar bevorstehende Abtransport Ludwig Feuerbachs zur "Himmlischen Rampe" – dort werden ausselektierten Todsünder den ewigen Flammen übergeben – wird für die gepeinigten Gefangenen zum Anlass, die höllischen Zustände nicht länger nur zu interpretieren, sondern sie zu verändern. Sie planen den Aufstand gegen die Diktatur Gottes...

"Stollbergs Inferno" erscheint im Alibri Verlag und ist ein spannender und erbarmungslos konsequenter philosophischer Roman, der den Lesern in den Dialogen der gefangenen Philosophen die Erkenntnisse der großen Denker der Menschheit auf unterhaltsame, aber nie verniedlichende Weise näher bringt. In gewisser Weise kann das Buch als "Sophies Welt für Erwachsene" gelesen werden – nicht nur wegen Stollbergs amouröser Abenteuer in der "Vorhölle der Unkeuschen", sondern vor allem, weil es hier um die brennenden "letzten Fragen" geht, um den Kampf mit dem Absurden, dem in letzter Instanz wohl vergeblichen Versuch, der endlichen menschlichen Existenz dauerhaften Sinn zu verleihen.

humanist.de führte ein Interview mit dem Autor.

[mehr...]

(H.J.)

 20. November 2002 · Kultur: Rudolf Augstein: Des Possenspiels IV. Teil

... es ist kein Staatsakt, es ist ein Gottesdienst ... es ist ein Staatsakt, es ist kein Gottesdienst ... es ist ...

Das Spiel geht weiter.

Gestern also verkündeten die Nordelbische Landeskirche und Hauptpastor Adolphsen in einer offiziellen Erklärung zum Streitthema: "Kein Staatsakt, sondern Gottesdienst!"

Da das nun aber bedeutet, dass der verstorbene Rudolf Augstein als Ehrenbürger der Staat Hamburg nun gar keinen Staatsakt erhalten würde - was ja völlig unüblich ist -, fragten wir noch einmal nach. Und erhielten heute die überraschende Antwort von Senatssprecher Schnee:

"Es ist und bleibt ein Staatsakt - kein Gottesdienst."

Da der Senat die Trauerfeier ausrichtet, muss es der Senatssprecher doch wohl am besten wissen. Und die Kirche? Will sie klammheimlich aus einem Staatsakt einen Gottesdienst machen?

Ist es denn üblich, dass bei einem Staatsakt gepredigt wird? Noch dazu zu Ehren eines Nichtgläubigen und Christentumskritikers? Das fragten wir natürlich auch den Senatssprecher und bekamen eine noch überraschendere Antwort:

"Im Programmablauf sind 'Reden' aufgeführt. Einer der Redner ist Pastor Adolphsen. Wenn ein Priester spricht, ist das noch lange keine Predigt."

So will man die Sache also nun drehen, damit der zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtete Staat fein aus dem Schneider ist. Aber so einfach geht's nicht. Selbst wenn man gutgläubig annimmt, dass der Priester nicht predigt, sondern redet, was in einer Kirche ja recht ungewöhnlich ist: Der Hauptpastor selbst hat in seiner gestrigen Presseerklärung, die er über epd verbreiten ließ, anderes behauptet. Es folgen einige Zitate vom 19.11.02 (epd), die nachweisen, dass Adolphsen sehr wohl eindeutig predigen und nicht nur reden will:

"Der offizielle Abschied von Augstein soll am 25. November (11 Uhr) im Hamburger Michel stattfinden. Hier werden auch Bundespräsident Johannes Rau und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) erwartet. Die Predigt hält Michel-Hauptpastor Helge Adolphsen."

"Die ‚Anfrage an den Michel‘ sei vom Hamburger Senat ergangen, sagte Hauptpastor Helge Adolphsen dem epd in Hamburg. Er werde auch die Predigt halten."

"Überdies würde nur der erste Teil der Trauerfeier gottesdienstlichen Charakter haben."

Zur Erinnerung: Die WELT berichtete bereits am 13.11.02 mit Verweis auf ein Gespräch mit Adolphsen: "In seiner Predigt werde er vor allem auf die christliche Sicht über Sterben, Tod und Auferstehung eingehen."

Dem Senat ist zu raten, den Hauptpastor Adolphsen rechtzeitig bis Montag darüber aufzuklären, dass er nur reden, aber nicht predigen darf. Ob dies gelungen ist, kann die gespannte Öffentlichkeit vor der Kirche auf Video verfolgen, denn gestern, nach Verschicken des Protestbriefes der Konfessionslosenverbände, wurde plötzlich bekannt gegeben, dass die Öffentlichkeit aufgrund zahlreicher geladener Gäste von der Michel-Feier ausgeschlossen sei.

Was ist es nun? Ein Staatsakt? Ein Gottesdienst? Man wird das Gefühl nicht los: es soll wohl beides sein: Ein STAATSGOTTESDIENSTAKT. Es gibt eine Staatskirche... (H.J.)

==>Offener Brief der Verbände der Konfessionsfreien an den Hamburger Senat

Die epd-Meldungen der Nordelbischen Kirche und des Hauptpastors Adolphsen vom 19.11.02 können auf der Website der Landeskirche unter "NEWS" nachgelesen werden.

(Lesen Sie auch die ersten drei Teile des Possenspiels um die Trauerfeier des Rudolf Augstein in unseren News vom 13., 18. und 19. November 2002.)

 19. November 2002 · Kultur: Trauerfeier für Augstein: Des Possenspiels III. Teil

... es ist ein Staatakt, es ist kein Gottesdienst ... es ist kein Staatsakt, es ist ein Gottesdienst... es ist...

Es könnte eine unendliche Geschichte werden.

Heute nun sahen sich die Nordelbische Landeskirche und Hauptpastor Adolphsen von der Michaelis-Kirche veranlasst, eine Presseerklärung abzugeben. Während die Nordelbische Kirche uns noch vor vier Tagen mitteilte: "Es handelt sich bei der Trauerfeier für Rudolf Augstein nicht um eine kirchliche Trauerfeier, sondern um einen Staatsakt, für den die Kirche St. Michaelis als größte Kirche Hamburgs zur Verfügung gestellt wurde", trägt die heutige epd-Pressemeldung die Überschrift: "Kein Staatsakt, sondern Gottesdienst".

Ein Gottesdienst - mit Predigt - also zu Ehren des Kirchenkritikers, Atheisten und Konfessionslosen, der nicht in den "Schoß der Kirche" zurück wollte. Auf der Website der Nordelbischen Kirche heißt es zwar: "In jedem Fall ist der Wille des Verstorbenen zu achten und zu respektieren. In der Regel möchte derjenige, der aus der Kirche ausgetreten ist, auch nicht kirchlich bestattet werden", aber wen schert’s, wenn die Publicity winkt. Und der letzte Sieg über den Abtrünnigen und Gegner.

Da passte es gut, dass Familie und Verlag die Trauerfeier ausdrücklich gewünscht hätten. Das wäre Voraussetzung gewesen, teilt die Kirche mit. "Gemäß den 'Richtlinien für gottesdienstliches Handeln' der Vereinigten Ev.-Luth. Kirche Deutschlands (VELKD) seien grundsätzlich 'Gottesdienste aus Anlass der Beerdigung Ausgetretener' möglich", heißt es nun von der Nordelbischen Kirche. Und sie schreibt gleichzeitig auf ihrer Website: "Das ist grundsätzlich nicht möglich. Wer aus der Kirche austritt, erklärt damit auch, dass er auf eine kirchliche Trauerfeier verzichtet."

Die Anfrage für den Michel sei vom Hamburger Senat ausgegangen, teilte der Pfarrer mit. Ein staatliches, weltanschaulich neutrales Organ fragt für einen Gottesdienst an, der laut kirchlicher Presseerklärung "ausdrücklich kein Staatsakt sei"?

Übrigens: Noch gestern schrieb der Senatssprecher Christian Schnee in einer Mail: "Der Wunsch, den Staatsakt in St. Michaelis abzuhalten, ging von der Familie Augstein aus."

Ach ... doch ein Staatsakt? Genau genommen soll das Ganze zweigeteilt werden: Der erste Teil mit gottesdienstlichem Charakter, danach erst würden offizielle Ansprachen folgen.

Man rettet, was noch zu retten ist... Aber ist wirklich noch etwas an diesem Possenspiel zu retten. Die in privatem Rahmen gehaltene Beerdigung des konfessionslosen Kirchenkritikers Augstein fand bereits heute auf Sylt statt, im "engsten Familienkreis" mit über 100 Teilnehmern. Rudolf Augstein wurde in einer evangelischen Kirche vom Ortspfarrer ausgesegnet. "Auch nach jedem großen Unglück würde nach Kirche gerufen: Christen seien 'Protestleute gegen den Tod'", rechtfertigt sich der Pastor.

Es stimmt, nach jedem großen Unglück ruft auch der weltanschaulich neutrale Staat nach den Priestern und lässt Trauerfeiern grundsätzlich christlich abhalten. Obwohl nach einer neuesten Umfrage vom Gallup-Institut die Institution Kirche in Deutschland auf den allerletzten von 17 Plätzen in der Vertrauensfrage kam. 74 % der Deutschen vertrauen der Kirche wenig bis gar nicht! Über ein Drittel der Deutschen gehört keiner der beiden großen Kirchen an, im Bundesland Hamburg sind dies sogar 56 % (Angaben der EKD und DBK).

Falls Rudolf Augstein keine gegenteilige Verfügung hinterlassen hat, muss die Entscheidung der Familie für eine christliche Beerdigung akzeptiert werden, auch wenn sie unverständlich ist. Aber die offizielle (und nicht private) Trauerfeier am 25. November in Hamburg, ausgerichtet vom Senat, soll ausdrücklich für den Ehrenbürger der Stadt – zu seinen Ehren –, und nicht als Trost für die offensichtlich christlich eingestellte Familie stattfinden. Und spätestens hier hätte dem Lebenswerk und der Weltanschauung Augsteins mehr Respekt entgegengebracht werden müssen!

Die Kirche erwartet zur Trauerfeier am nächsten Dienstag bis zu 1000 Spiegel-Mitarbeiter. Wir werden sehen, ob sie nach dem Genuss des Gottesdienstes so geläutert seien werden, dass in Zukunft kirchen- und religionskritische Artikel im Spiegel zur Seltenheit werden. Es ist ja bald Weihnachten... (H.J.)

==> Offener Brief der Verbände der Konfessionsfreien an den Hamburger Senat

(Lesen Sie auch die Teile I und II des Possenspiels, 13. und 18. November 2002.)

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