Kultur: News
 15. März 2000 · Kultur: Moderne Reliquien

"Judge not lest ye be judged
What a beautiful refrain" – REM, New Test Leper

Bei einer Wohltätigkeitsversteigerung im Internet hat eine beim Frühstück übrig gelassene Toastscheibe der Boygroup 'N Sync einen Preis von 1.025 Dollar erzielt. Einem MTV-Bericht zufolge hat die 19-jährige Kathy Summers diesen Betrag während einer Internet-Auktion geboten und den Zuschlag bekommen. [dpa, 14.13.]

Bleibt abzuwarten, ob bald auch die Vorhäute der Backstreet Boys verscherbelt werden. Vielleicht sollte die Kirche mal versuchen, das Evangelium per Boygroup in die Teenager-Hirne zu hämmern. Jesus & the Disciples, featuring Ex-Virgin Mary. Oder so. (EMÖ)

 10. März 2000 · Kultur: Medientipps & mehr: Update

Vorschau der TV- und Radiotipps bis zum 17. März, aktuelle Hinweise im Diskussionsforum.

Der Sonntag steht ganz im Zeichen des lange angekündigten großen Bußaktes "Mea Culpa". U.a. berichten Phoenix (11.30 Uhr) und der SWR (16.30 Uhr) darüber, wenn Papst Johannes Paul II. die katholische Kirche zur größten Verbrecherorganisation aller Zeiten erklärt ... Nein, so wird er es natürlich nicht ausdrücken, aber die Summe der Verbrechen, die er aufzählt, soll gewaltig sein.

Und damit das Schuldbekenntnis auch nicht etwa falsch verstanden wird, hat eine vatikanische Kommission um Kardinal Ratzinger wenige Tage vor der Papst-Bitte um Vergebung eine "Interpretationshilfe" herausgegeben. Das Dokument bietet denn auch eine theologische Analyse, wer überhaupt ein Schuldbekenntnis für jene Christen, die in der Geschichte gefehlt haben, sprechen darf - der Papst und eventuell Ortsbischöfe, also nur die Hierarchie. Nicht, dass so ein kleiner Pfarrer meint, er dürfte jetzt auch die Verbrechen von der Kanzel herunter bekennen! Außerdem erklärt das Dokument, welche Bedeutung das Schuldbekenntnis für das katholische Kirchenverständnis hat oder auch nicht hat: Dass nämlich die Kirche aus theologischer Sicht unverändert eine heilige Institution ist, auch wenn sich deren "Söhne und Töchter" versündigt haben. Die Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Sittenfragen werde durch Fehlverhalten in der Kirche nicht in Frage gestellt. Rom warnt gar vor einer Inflation der Entschuldigungen. Ein "Zerrbild der Kirchengeschichte als einer einzigen chronique scandaleuse" sei unbedingt zu vermeiden.

Und wenn man schon Schuld bekennt, warnt man auch gleich vor einem Missbrauch. Der drohe vor allem durch "Kirchenhasser" oder die Massenmedien, "die oft die Aufmerksamkeit auf Nebensächliches lenken und den Blick auf die zentrale Botschaft des kirchlichen Bekenntnisses zur historischer Schuld verstellen". Nicht zu übersehen sei, "dass sich manche Gläubige von dem kirchlichen Schuldbekenntnis vor den Kopf gestoßen fühlen... andere beobachten mit Sorge, dass das Schuldbekenntnis der Kirche sehr einseitig bleiben könnte und eingefleischte Kirchenhasser es als Bestätigung ihrer Vorurteile und als Waffe antichristlicher Propaganda missbrauchen". - Was heißt hier eigentlich "Vorurteile". Schließlich ist alles historisch erwiesen. Oder warum hat sonst der Papst dieses Bekenntnis nötig?

Aber wirkliche Aufklärung wird nicht geboten. Während manche Opfer rehabilitiert werden - einige wurden gar nachträglich heilig gesprochen und so von der Kirche vereinnahmt, Tote können sich ja nicht mehr wehren -, werden andere weiter für schuldig gehalten; im Falle des Jesuskritikers und als Ketzer verbrannten Philosophen Giordano Bruno (1548-1600) etwa wird der Vatikan von seinem Verdammungsurteil nicht abrücken. Und: Die wirklich Schuldigen der Kirche bleiben unverurteilt. Im Klartext: Konkrete Verantwortlichkeiten bleiben verschleiert, kein Mitglied der Hierarchie oder ein Papst wird beim Namen genannt.

So macht die Kirche auch in der Gegenwart weiter wie bisher. Zu nennen sei z.B. die menschenverachtende Sexualpolitik und das Mitwirken beim Massenmord in Ruanda. Und mit dem Besitz der früheren Opfer wirtschaftet die Heilige Kirche weiter und mehrt ihre Reichtümer. Ist der Ruf einmal ruiniert, sündigt's sich gänzlich ungeniert... Im nächsten Heiligen Jahr kann man ja wieder beichten. (H.J.)

[Quellen: Nordwest-Zeitung, 02.03.00, Stuttgarter Zeitung, 05.03.00]

 10. März 2000 · Kultur: Corpus Christi: Weitere Vorstellung am Montag

Nachtrag zu den Veranstaltungstipps: Irrtümerlicherweise bezeichnete ich die "Corpus Christi"-Vorstellung vom 28. Februar, die unter Polizeischutz vonstatten ging, als vorerst letzte. Fest im Spielplan des Staatstheaters Heilbronn vorgesehen ist aber auch, neben dem Termin am 13. April, noch eine am Aufführung des von Fanatikern angegriffenen Stücks am Montag, 13. März, 19.30 Uhr.

Nun treffen auch wieder neue Drohungen im Theater ein. Eine neugegründete "Hamas-Organisation" behauptet waffentechnisch hochgerüstet zu sein und eine Fernlenkrakete in Position gebracht zu haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, geht aber nicht davon aus, dass hinter dieser Drohung tatsächlich eine muslimische Gruppe steckt. Die Versuche der Gegner des Stückes werden offensichtlich immer abstruser.

Am Sonntag, den 2.4.2000 soll im Foyer des Heilbronner Theaters eine Matinee stattfinden, bei der einige dieser Briefe verlesen werden. Sicher geeignet, um sich einen Einblick in die Gedankenwelt radikaler Christen zu machen. Auszüge sind bereits auf der unten genannten Homepage des Schauspielers Percy Brauch zu lesen. (H.J.)

[Quelle: www.percybrauch.de]

 8. März 2000 · Kultur: Veranstaltungshinweise: Update

Seit November läuft am Staatstheater Heilbronn das Stück "Corpus Christi" des amerikanischen Dramatikers Terrence McNally. Von Anfang an haben fundamentalistische, bibeltreue Christen Front gegen das Theater und die Schauspieler gemacht - oft ohne das Stück überhaupt angesehen zu haben. Erzählt wird die Geschichte von Jesus Christus im modernen Rahmen einer schwulen Gemeinschaft im heutigen Amerika.

Die Schauspieler boten Diskussionsrunden an, aber die Fundamentalisten zogen Drohungen vor; der Oberbürgermeister und der Intendant müssen mit Morddrohungen leben. Das Theater wurde mit Briefen überschüttet. Religiöse Fanatiker aus dem ganzen Bundesgebiet fordern die Absetzung von "Corpus Christi", das übrigens aufgrund der Medienresonanz immer ausverkauft ist und somit weitere Aufführungen in den Spielplan aufgenommen wurden. Die Gegner des Stückes hatten also das Gegenteil erreicht.

Am 24. Februar kam die Auseinandersetzung um "Corpus Christi" zu einem unrühmlichen Höhepunkt. Es ging eine anonyme Bombendrohung gegen das Theater bei der Polizei ein und die laufende Vorstellung musste abgebrochen werden. "Es ist traurig, dass es zu dieser tumben Form der Gewaltausübung kam, erschütternd, dass radikale Menschen unter dem Deckmantel 'Christentum' zu solchen freiheitsfeindlichen Mitteln greifen. Uns bleibt in meinen Augen nur eines: Weiterspielen! Solchen Kräften darf nicht nachgegeben werden." So äußert sich der Schauspieler Percy Brauch.

Die nächste und vorerst letzte Aufführung am 28. Februar ging unter massivem Polizeischutz über die Bühne. Die Zuschauer ließen sich aber nicht abschrecken. Es wird noch eine Vorstellung am 13.04.2000, und, wenn die Nachfrage so hoch bleibt, eine weitere im Mai stattfinden.

Weitere Informationen zu den Vorgängen um "Corpus Christi" finden sich nicht nur in unseren Veranstaltungstipps, sondern auch auf der Homepage des Schauspielers Percy Brauch. Aufgrund der extremen Zuspitzung der Situation in den letzten Tagen bittet Percy Brauch alle Interessierten, sich mit dem Schauspielteam solidarisch zu zeigen und ihm diesbezüglich eine Mail zu schicken: mail@percybrauch.de.

Genaue Uhrzeiten und Veranstaltungsorte dieser und anderer Hinweise finden sich in unseren Veranstaltungstipps. (H.J. )

 6. März 2000 · Kultur: Historische Tradition?

Alle Jahre wieder versuchen am Rosenmontag sogenannte Gänsereiter im Ruhrgebiet (Bochum/Wattenscheid) vom Pferderücken aus einen mit Mayonnaise und Schmierseife eingeriebenen Gänsehals zu greifen und den Kopf der Gans abzureißen. Wem dieses gelingt, der ist für ein Jahr "Gänsereiter-König".

Dieses grausige Schauspiel, gegen das TierrechtlerInnen seit Jahren protestieren, wird der Bevölkerung, die johlend am Rand der Reiterstrecke steht, als Tradition verkauft. Was nicht erzählt wird: Dass das Gänsereiten ein Musterbeispiel für die Verrohung des Menschen ist, für die Verhöhnung von Lebewesen. Hier wird Gewalt gegen Tiere verharmlost und ein primitives Gauditum auf der Basis von Lebensverachtung gepflegt. Sogar Kinder werden zu dieser widerwärtigen Unsitte herangezogen. Was sollen sie von diesem Brauchtum lernen - ausser die Achtung vor mitfühlenden Lebewesen zu verlieren?
Die Gänsereiter rechtfertigen ihr Treiben damit, daß die Gans später gegessen wird. Abgesehen davon, daß das Töten eines Tieres, um es aufzuessen, bei manchen Menschen (Vegetariern) aus ethischen Gründen nicht zu rechtfertigen ist, ist die Ernährung kein Freibrief für die vorherige Leichenfledderei. Es geht nicht darum, den Menschen ihren Spass zu nehmen. Aber wenn Männer ihre Kraft und Geschicklichkeit messen wollen, dann müssen dafür nicht "unschuldige" Tiere ihren Kopf hinhalten. (H.F.)

[www.tierbefreier.de]

 3. März 2000 · Kultur: Das Fernsehen als Volksaufklärer

Während noch alles über die kulturellen Konsequenzen des jüngsten holländischen TV-Käse-Exports Big Brother grübelt, stellen wir bereits jetzt die zu erwartenden Nachahmungstäter vor. In den letzten 100 Tagen haben wir 10 TV-Produzenten in ein finsteres Verlies eingeschlossen und sie gebeten, uns neue Entwürfe für zukunftige Medien-Großereignisse à la BB zu liefern. Die Ergebnisse:


Big Mother: 10 Kinder im Vorschulalter und eine alleinerziehende Mutter müssen es auf 50 qm miteinander aushalten. Ohne Kindergeld. Ohne Babysitter. Ohne erzieherische Maßnahmen. Es winkt eine Gratis-Einweisung in die Psychiatrie.

Big Father: Wie sieht es im Alltag der typischen sizilianischen "Familie" aus? Der Gewinner erhält einen hohen Posten in der nächsten Regierung, die Verlierer kommen mit einem Todeskuß davon. Alternatives Sendekonzept: 10 Kardinäle müssen unter der Aufsicht eines Papstes ihre sexuellen Triebe kontrollieren (gilt als unrealisierbar). Sowie: Live-Übertragung aus dem Beichtstuhl (Untertitel: "Die erschreckenden Bekenntnisse verdorbener junger Mädchen").

Big Blather: Die einzige Talkshow-Moderatoren-WG im deutschen Fernsehen. Mit Dolby-Surround-Sound für sinnentleertes Gelaber aus allen Richtungen. Leider ließen sich keine Teilnehmer mehr finden, nachdem Ricky Harris angekündigt hatte, er werde auf jeden Fall dabei sein.

Big Bother: Zehn Durchschnittsmenschen müssen sich die komplette Wiederholung der Lindenstraße anschauen. Wer als letzter umfällt, bekommt alle Folgen auf Video.

Big Brothel: Zehn ausgewählte Nutten und Hugo Egon Balder als Zuhälter. Live aus der Herbertstraße in Hamburg. Nur im Pay-TV. Nicht zu verwechseln mit Big Blothel, der chinesischen Version von BB.

Big Dozer: Der Alltag auf einer typischen deutschen Baustelle. Werden sich die deutschen Standortverteidiger gegen gewiefte ausländische Billiglohnarbeiter zur Wehr setzen können? Im Internet gibt es die 24h-Live-Übertragung aus dem Dixie-Klo.

Big Blowjob: Vier Präsidentschaftsanwärter und eine Praktikantin – kann das gut gehen? Aus Jugendschutzgründen ist eine Genehmigung unwahrscheinlich.

Big Sister: Ein "kleiner Scheißer" und zehn hinterhältige große Schwestern, die sich lustige Streiche ausdenken. Darf wegen besonderer seelischer Grausamkeit nur vormittags ausgestrahlt werden.

Big Dada: Big Brother meets Teletubbies. Die Quizshow für TV-Geschädigte (die einzige Show, die von einem spechenden Staubsauger moderiert wird). Der Gewinner kriegt Pinke-Pinke, für die Verlierer heißt es Winke-Winke.

Nach eingehender Prüfung haben wir beschlossen, bis auf weiteres keinen der TV-Produzenten freizulassen. Außerdem haben wir die Zahl der Wärter vorsichtshalber verdoppelt. (EMÖ)

 3. März 2000 · Kultur: Medientipps & mehr: Update

Vorschau der TV- und Radiotipps bis zum 10. März, aktuelle Hinweise im Diskussionsforum.

Am Dienstag widmet sich ARTE um 20.45 Uhr mit der Dokumentation "Schnitt ins Leben - Afrikanerinnen bekämpfen ein Ritual" der menschenverachtenden Genitalverstümmelung an jungen Mädchen und Frauen.

Seit die Medien dieses Thema vermehrt aufgreifen und viele Organisationen die alte Tradition bekämpfen, können erste Erfolge verzeichnet werden. So konnte im Senegal durch Aufklärungskampagnen und Bildungsprogramme, gefördert u.a. von Unicef, erreicht werden, dass 300 Dörfer in einer gemeinsamen Erklärung Abschied von der Beschneidung nahmen.

Zur Sendung: Weibliche Beschneidung, Verstümmelung der Genitalien - und das nicht nur im 'finsteren Afrika' und anderen entlegenen Gegenden der Dritten Welt. An über 2 Millionen Mädchen weltweit wird jährlich das blutige Ritual vollzogen; Amnesty international schätzt die Zahl der Opfer auf rund 135 Millionen. Doch was hilft die Empörung den Betroffenen? "Wir wollen nicht als Opfer gelten, wir wollen uns selbst vertreten", sagt Virginia Wangare-Greiner, die in Frankfurt/M. mit anderen zusammen MAISHA gegründet hat; einen Verein von Afrikanerinnen für Afrikanerinnen. "Wir afrikanischen Frauen müssen uns selbst wehren", weiß auch Maguette M'Bow, eine Senegalesin, die mit ihren Töchtern in Paris lebt.

Weitere Links zum Thema bietet die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) auf ihrer Homepage. (H.J.)

 25. Februar 2000 · Kultur: Medientipps & mehr: Update

Vorschau der TV- und Radiotipps bis zum 3. März, aktuelle Hinweise im Diskussionsforum.

Am Donnerstag bringt ARTE ab 20.45 Uhr einen Themenabend zum "Abschied vom Gottesstaat - Iran heute". Gut zwei Jahrzehnte ist es her, dass die Islamische Revolution unter Führung Ayatollah Khomeinis die persische Monarchie hinwegfegte. Fortan hatten die Mullahs das Sagen in Teheran. Nach dem eindrucksvoll hohen Sieg der Reformkräfte bei den letzten Wahlen hoffen viele auf eine stärkere Trennung von Staat und Religion. Zu viel darf man allerdings nicht erwarten, denn auch die Gemäßigten sind Geistliche.

Aufgrund der Verhältnisse im Iran kam es kürzlich in Deutschland zu schockierendem Verhalten in der Nürnberger Ausländerbehörde: Die 39-jährige Laleh Saadat hat eine Illusion verloren. Als sie vor drei Jahren aus dem Iran nach Deutschland flüchtete, hatte sie die Hoffnung auf ein "selbstbestimmtes, menschenwürdiges Leben als Frau". Nun hat sie auch diese Hoffnung verloren. Verantwortlich dafür macht sie die Nürnberger Ausländerbehörde, die von ihr und vier anderen iranischen Frauen ein Passfoto mit Schleier verlangt. Dabei hatte Laleh Saadat, die im Iran drei Jahre wegen politischer Betätigung im Gefängnis saß und trotzdem keine Anerkennung als politischer Flüchtling in Deutschland fand, noch Glück. Sie wurde nicht, wie Anfang November ihre 28-jährige Freundin Roya Mosayebi, mit Polizeigewalt zu diesem Foto gezwungen. Nachdem dieser Fall bekannt geworden war - die Frau erlitt erhebliche Körperverletzungen -, hatte das Ausländeramt Nürnberg erst einmal davon Abstand genommen, den anderen Frauen die gleiche Prozedur zuzumuten.

Für die Abschiebung in den Iran ist ein Heimreiseschein erforderlich, ausgestellt von der iranischen Auslandsvertretung. Dort werden jedoch nur Lichtbilder von Kopftuch tragenden Frauen akzeptiert. In Bremen ist ein Fall bekannt geworden, wo Passfotos unverschleierter Frauen am Computer nachbearbeitet wurden, dass sie anschließend ein Kopftuch aufhatten.

Für Laleh Saadat bedeutet der Schleier ein Symbol für die Unterdrückung der Frauen im Iran. "Wir haben dort nicht einmal die primitivsten Rechte für ein Leben in Menschenwürde." Laleh Saadat und Roya Mosayebi, die nie wieder ein Kopftuch tragen wollen, brachten ihren Fall vor das Verwaltungsgericht Ansbach. Das sollte die Fotoaktion für unrechtmäßig erklären, weil das Tragen eines Kopftuches im Iran ein religiöses Gebot sei und die Stadt Nürnberg mit ihrer Anordnung gegen die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit verstoßen habe. Doch die Richter wiesen ihre Klage zurück. Begründung: In islamischen Ländern sei der Kopftuchzwang keine religiöse Regelung, sondern ein "ordnungsrechtliches Regelwerk", das jede iranische Staatsangehörige unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit verpflichte. (H.J.)

[Quelle: taz, 3.01.2000]

 18. Februar 2000 · Kultur: Medientipps & mehr: Update

Vorschau der TV- und Radiotipps bis zum 25. Februar, aktuelle Hinweise im Diskussionsforum.

Am 22. Februar 2000 wäre Luis Buñuel, der Begründer des cinematografischen Surrealismus, 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass zeigt das Fernsehen einige seiner sehenswerten Filme:

Am Sonntag beschäftigt sich die Sendung "ML Mona Lisa" (ZDF, 18.15 Uhr) mit dem brisanten Thema "Wo warst du, mein Gott? - Sexueller Missbrauch durch Geistliche": Das Phänomen der sexuellen Misshandlung durch Geistliche kommt weltweit vor - brandmarkt und zerstört allzu oft die betroffenen Familien. Denn einen Bischof oder auch nur einen Pfarrer solch einer Tat zu beschuldigen, ist tabu! In den USA wurden in den letzten Jahren hunderte katholischer Priester des sexuellen Missbrauchs an Kindern beschuldigt, hohe Entschädigungen gefordert. Aber welche Konsequenzen, außer einer Versetzung, haben sie wirklich zu befürchten? Die Sendugn fragt: Werden durch das Zölibat, durch die Tabuisierung von Sexualität perverse Neigungen bei Priestern geradezu hervorgerufen? Macht sie das Fehlen von menschlicher Nähe zu Tätern an unschuldigen Kindern? "ML Mona Lisa" bricht das Tabu und wagt sich in eine Welt der doppelten Moral.

In diesem Zusammenhang sei an die umfangreiche sexuelle und körperliche Misshandlung in irischen Heimen der Kirche erinnert, über die Der Humanist im September berichtete - noch einmal nachzulesen in den Medientipps. (H.J.)

 11. Februar 2000 · Kultur: Medientipps & mehr: Update

Vorschau der TV- und Radiotipps bis zum 18. Februar, aktuelle Hinweise im Diskussionsforum.

Am Freitag, 18. Februar, zeigt ARTE um 22.20 Uhr aus Anlass von 100 Jahren Schwulenbewegung eine Doku von Rosa von Praunheim, "Schwuler Mut". Dieser Film soll den mutigen Vorkämpfern der Schwulenbewegung ein Denkmal setzen. Am 15. Mai 1897 gründete der Sexualwissenschaftler Dr. Magnus Hirschfeld in Berlin das 'Wissenschaftlich humanitäre Komitee' zum Kampf gegen den Schwulenparagraphen 175, der übrigens erst 1994 in Deutschland gänzlich abgeschafft wurde.

Im Kampf um Gleichberechtigung gibt es leider immer wieder Rückschläge. In Großbritannien hat 1988 die Eiserne Lady und Pinochet-Freundin Margaret Thatcher ein Gesetz erlassen, das es Schulen und Stadtverwaltungen verbietet, homosexuelle und heterosexuelle Beziehungen auf eine Stufe zu stellen. Dieses Gesetz wollte Premierminister Blair jetzt endlich kippen, aber das Oberhaus hat ihm mit 210 gegen 165 Stimmen einen Strich durch die tolerante Rechnung gemacht: Beziehungen zwischen Homosexuellen dürfen im britischen Schulunterricht weiterhin nicht als gleichwertig dargestellt werden.

Der Abstimmungsniederlage ist eine Medienkampagne der konservativen Boulevardzeitungen vorausgegangen. Die "Sun" und die "Daily Mail" hetzten gegen ein Ende der Diskriminierung, natürlich nur "aus Sorge um unsere Kinder".

Stimmen aus Großbritannien dazu:

Peter Tatchell, Schwulenverband "OutRage!", nennt das Abstimmungsergebnis ein "Votum für fortgesetzte Zensur und Homophobie an unseren Schulen". Der Oppositionsführer William Hague dagegen weiß, was britische Bürger wollen: "Die große Mehrheit der Eltern im ganzen Land wird mit einem Seufzer der Erleichterung reagieren." Eine Umfrage in Schottland gibt ihm Recht: 80 Prozent sind für den Paragraphen. Und was halten die Religiösen von Gleichberechtigung, von toleranter Erziehung der Jugend? Natürlich gar nichts. Der katholische Kardinal Thomas Winning verglich die "militante homosexuelle Lobby" mit der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg. Und der britische Oberrabbi Jonathan Sacks warnte, Homosexualität sei "moralisch keineswegs gleichwertig". (H.J.)

[Quelle: dpa, 08.02.00]

 6. Februar 2000 · Kultur: Veranstaltungshinweise: Update

Vor 400 Jahren, am 17. Februar 1600, wurde der Philosoph, Schriftsteller, Wissenschaftler und Weltbürger Giordano Bruno von der römisch-katholischen Kirche in Rom als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Der italienische Renaissance-Philosoph, * 1545 in Nola, war bis 1576 Dominikaner-Mönch. Nach seiner Flucht aus dem Orden führte er ein ruheloses Wanderleben durch Frankreich, England und Deutschland, bis er in Venedig 1592 von der Inquisition verhaftet wurde.

Bruno war einer der großen Denker der Renaissance. Er erweiterte die kopernikanische Hypothese zur Weltanschauung ("Vom unendlichen All und den Welten" 1584) und vertrat einen metaphysischen Pantheismus, der für das moderne Lebensbild wegweisend wurde. Er vollzog die Trennung von Philosophie und Theologie und brach mit der römischen Kirche.

Die "Italian Union of Rationalist, Atheist and Agnostics (UAAR)" demonstriert vom 17. bis 19. Februar in Rom für Gedankenfreiheit und gegen fortwährende religiöse Fundamentalismen. Gleichgesinnte sind bei den geplanten Veranstaltungen willkommen.

Genaue Uhrzeiten und Veranstaltungsorte dieser und anderer Hinweise finden sich in unseren Veranstaltungstipps. (H.J.)

 5. Februar 2000 · Kultur: Der Amoklauf in die Postmoderne

"Du bist ein Schwein und Du bleibst es auch
Darum stirbst Du heute auf dem Bauch
Du bist ein Arsch so warst Du halt
Doch deine Reste sind jetzt kalt
Früher warst Du übergroß
in deiner Hose war viel los
Und nach der Arbeit wunderbar
Strichst Du mir gerne durch das Haar
Ich war zu klein und hab' es nicht begriffen
Hast deine Schiesser abgestriffen
So hast Du alles mir zerstört
Und meine Schreie nie gehört

Du fieses Schwein Du hast mich benutzt
Du hast an meinem Schlafanzug dein Ding geputzt
Behalt' es für dich denn es ist geheim
Summst Du es mir im Schlafe ein
Mutti hat's nicht mitgekriegt
Weil sowas sich halt gar nicht schickt
So passiert es immer schlimmer
in meinem kleinen Kinderzimmer
Doch heute aber bist Du tot
Zu lang gelabt an meiner Not
Denn deine Tage sind vorbei
Doch ich - ich werde nie mehr frei

Tötet alle Kinderschänder
In unser aller Herrenländer
Macht sie alle mausetot
Knarre raus [klick] und tot.
" – Alina, in Emma 6/96 vorgestellt unter dem Titel: "Rapperin Alina: endlich Klartext"

Ein angeblicher "Kinderschänder" aus Erfurt ist von drei Männern zu Hause überfallen und totgeprügelt worden. Der Mann war unschuldig, die Gerüchte waren von einem 38jährigen, der nun auch unter Anklage steht, gestreut wurden. [1]

Der Begriff Kinderschänder steht oben in Anführungszeichen, denn er impliziert, daß die Tat für das Opfer eine Schande sei, für die es sich zu schämen habe – so wie auch der Begriff des "Mißbrauchs" einen ordnungsgemäßen "Gebrauch" von Kindern nahelegt und deshalb zu vermeiden ist. Wenden wir uns aber dem eigentlichen Fall zu, so stellen wir fest, daß als Ergebnis der hysterischen Medienkampagne der letzten Jahre der Drang zur Selbstjustiz immer stärker wird, trotz bereits erheblich verschärfter Gesetze. Auch ein Jörg Haider kann mit Forderungen nach schärferen Gesetzen gegen Kindesmißhandler popularisieren – und sich dabei, wie er gestern in der ARD-Sendung "Farbe bekennen" (offensichtlich braun) erklärte, auf Tony Blair und Bill Clinton berufen, die gleiches getan haben.

Wenn es um Kinder geht, deren sexuelle Integrität verletzt wird, dann schaltet bei vielen Menschen offensichtlich der Verstand ab, das Gefühlssystem des Gehirns kontrolliert jede weitere Entscheidung, bis hin zu dem Beschluß, einen vermeintlichen Mißhandler brutal zu ermorden. Dabei ist im Zuge der erwähnten Medienkampagne die Definition von "Mißbrauch" mehr und mehr aufgeweicht worden – denkt man aber an den Begriff, so denkt man automatisch an das schlimmste denkbare Verbrechen, an Vergewaltigung oder gar Mord. Doch als Mißbrauch werden mittlerweile auch sexuelle Handlungen z.B. unter Geschwistern bezeichnet. Wie weit der Übereifer von Staatsanwälten und Polizisten teilweise geht, hat der Fall "Raoul" gezeigt, der alles andere als alleine steht. Doch dazu zu anderer Zeit mehr.

In der Sendung Akte 2000 vom 1. Februar wurden 2 Fälle präsentiert von Kindern im Alter von 10-11 Jahren, die ihre Schwestern in ein furchtbares Elend gestürzt haben sollen – dadurch, daß sie sich "über Jahre hinweg" sexuell an ihnen "vergangen" hätten (wobei in einem Fall nach Aussage der betreffenden Person keinerlei Gewalt angewandt wurde). Über Jahre hinweg ging auch die anschließende "Therapie", in der "Opfern" beigebracht wird, die "Täter" zu hassen und für alles verantwortlich zu machen, was ihnen in ihrem Leben an Übelkeiten widerfährt. Auch Raouls Schwester Sophie wäre in eine solche Therapieeinrichtung gekommen. Und solange sie den Mißbrauch nicht zugegeben hätte, befände sie sich "in denial", d.h. im Zustand der Verweigerung. Es steht außer Frage, daß Tausende Eltern, die die Akte-Sendung gesehen haben, danach ihren Kindern schärfere Restriktionen zum Umgang miteinander auferlegt haben. So wird Körperkontakt mehr und mehr tabuisiert, ganz im Gegensatz zu körperlicher Gewalt, die an vorderste Stelle tritt.

Am gleichen Tag wie die Akte-Sendung kam im ZDF (37 °) eine Dokumentation über Hooligans, "Fußball-Rowdys", die sich nach dem Spiel auf brutalste Weise zusammenschlagen. Davon bekommen sie, wie sie selbst sagen, "einen Kick". Kicks haben sie, wie der Filmbeitrag zeigte, vor allem als Kinder bekommen, von ihren Eltern und von Mitschülern. Einer der Brutalos hatte bereits als Kind von seinem Vater beigebracht bekommen, wie man "sich verteidigt" – und natürlich daß man als richtiger Mann kalt zu duschen hat. (Der Begriff des "Warmduschers", eine (post)moderner Bezeichnung für "Schwächlinge" und "Muttersöhnchen", zeigt auf eindrückliche Weise, in welche Richtung sich unsere Welt bewegt. Kalt geduscht hat man im Mittelalter – wenn überhaupt.)

Wissenschaftlich gesehen sind alle relevanten Fragen beantwortet. Der Entzug von Körperkontakt führt zu Gewalttätigkeit, und Gewalt erzeugt wiederum Gewalt. Kinder haben eine eigene Sexualität, die sie ausleben können müssen, um sich gesund zu entwickeln – das beinhaltet den engen, zärtlichen, gewaltfreien Körperkontakt zu Kindern wie zu Erwachsenen. Aber das Mittelalter hat in gewissen Bereichen, unter anderem in dem der Sexualität, nie wirklich aufgehört. Mit "sexuellem Mißbrauch" ist jedes Sexualtabu wieder einführbar, vom Sex unter Kindern (wobei diese teilweise, so im Bereich der Kinderpornographie, als "unter 18 Jahre" definiert sind) bis hin zur Masturbation (die am Ende des 19. Jahrhunderts als "Self-Abuse" bezeichnet wurde, als Selbstmißbrauch). Eine Gesellschaftsordnung, die auf Liebe und Zuwendung beruht, ist offensichtlich nicht im Interesse der Herrschenden. Durch die Tabuisierung von Sexualität aber wird genau das erzeugt, was man zu bekämpfen vorgibt: Haß und Gewalt, die vor allem gegen die Schwächsten der Gesellschaft gerichtet sind. (EMÖ)

[1] dpa, 4.2.00

 4. Februar 2000 · Kultur: Medientipps & mehr: Update

Vorschau der TV- und Radiotipps bis zum 11. Februar, aktuelle Hinweise im Diskussionsforum.

Am Mittwoch, den 9. Februar, startet ARTE, 20.45 Uhr, eine neue fünfteilige Doku-Reihe von Guido Knopp. Diesmal sind "Hitlers Kinder" das Thema. Jahr für Jahr wurde in Deutschland dem "Führer" ein ganzer Jahrgang "geschenkt". Zu seinem Geburtstag am 20. April wurden landesweit aus jungen zehnjährigen Deutschen Hitlerjungen: Eingeschworen auf Hitler und seinen Wahn.

Bereits 1935 war die Hälfte aller heranwachsenden Deutschen zwischen zehn und 18 Jahren in der Hitlerjugend organisiert. Erst viel später wurde die Mitgliedschaft wirklich zur Pflicht. Doch schon vorher gelang es nur wenigen, sich der fatalen Anziehungskraft der 'Partei- und Staatsjugend' zu entziehen - oder dem gesellschaftlichen Druck zu widerstehen. (H.J.)

 28. Januar 2000 · Kultur: Medientipps & mehr: Update

Vorschau der TV- und Radiotipps bis zum 4. Februar, aktuelle Hinweise im Diskussionsforum.

Am Sonntag, den 30. Januar, wiederholt Phoenix in der Reihe "Politische Morde" die Dokumentation über den "Mord am Bankier Gottes - Roberto Calvi und der Vatikan".

Mittlerweile ist auch das Buch zum Film erschienen: Heribert Blondiau/Udo Gümpel: Der Vatikan heiligt die Mittel. Mord am Bankier Gottes. Wer sich über die Hintergründe der weltgeschichtlichen Entwicklungen dieses Jahrhunderts ein Bild machen und sich über die finanziellen und politischen Aktivitäten des Vatikans informieren möchte, dem sei das von Blondiau und Gümpel vorgelegte Buch dringend empfohlen. (H.J.)

 24. Januar 2000 · Kultur: Medientipps & mehr: Update

Vorschau der TV- und Radiotipps bis zum 31. Januar, aktuelle Hinweise im Diskussionsforum.

Am Mittwoch, den 26. Januar, beginnt der Bayerische Rundfunk um 13.30 Uhr mit der Wiederholung der zwölfteiligen Doku-Reihe "Die Kreuzzüge" von Peter Milger. Am 27. November 1095 ruft Papst Urban II. zum ersten Kreuzzug auf. Als Ziel setzt er die Eroberung Jerusalems, das in den Händen der Mohammedaner war. Der Aufruf verbreitet sich in Windeseile in Europa und erweckt große Begeisterung. Als Erste brechen unter der Anführung von Wanderpredigern die Armen auf.

Die Reihe wird wöchentlich immer mittwochs ausgestrahlt. (H.J.)

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