Der Humanist: Der Menschheit verpflichtet

[Mitarbeiter gesucht / FAQ] [E-Mail] [Frame-freie Version]

 15. August 1999 · Religion: Wie wird man eine Heilige?

Mutter Teresa, von vielen schon zu Lebzeiten zur Heiligen verklärt, soll jetzt auch offiziell selig- und heiliggesprochen werden. In Kalkutta, ihrer alten Wirkungstätte, wurde in diesen Tagen der dazugehörige Prozess eingeleitet. Hierbei wird allen Ernstes untersucht werden, ob die Kanditin ein tugendhaftes Leben geführt und mindestens zwei Wunder vollbracht hat. Eines ist auf alle Fälle verwunderlich, die unkritische Verehrung, die ihr immer noch entgegengebracht wird. Zumal nicht nur der Vatikan sich für ihr Lebenswerk zwecks Heiligung interessiert, sondern auch schon mehrere Journalisten dunkle Flecken auf ihrem weißen Sari vorgefunden haben. Besonders markant und für Christen gewiß nicht untypisch ist die doppelte Moral, mit der die katholische Scheinheilige die Welt bewertet hat. So sprach sich Mutter Teresa bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen Ehescheidungen aus. Sofern es die breite Masse betraf. Im November 1995 mischte sie sich in einen Volksentscheid in Irland ein, bei dem die Iren über das Recht auf Ehescheidung abstimmen sollten. Teresa, die nicht aus Irland sondern aus Albanien stammte, hatte dazu aufgerufen, mit Nein zu stimmen. Aber trotz des klerikal-konservatieven Störfeuers hielt in Irland die Zivilisation und europäisches Recht Einzug, wenn auch das Ergebnis äußerst knapp war und nur 50,3 Prozent der Iren für ein Scheidungsrecht plädierten. Aber sie zeigte manchmal doch eine recht erstaunliche Flexiblität in ihren Ansichten und nur wenige Monate nach dem irischen Volksentscheid gab sie der amerikanischen Zeitschrift Ladies Home Journal ein Interview, wo sie sich zur bevorstehenden Scheidung von Prinz Charles und Lady Diana zu Wort meldete. Die konservative Katholikin, die mit Lady Di befreundet war, war voller Verständnis für die desolate Situation und sagte: „Es ist gut, wenn es vorbei ist. Keiner von beiden war wirklich glücklich.“

Auch zur Abtreibung fand sie deutliche Worte, so sagte sie, daß sie nie akzeptieren würde,  „Eltern, die abgetrieben haben, ein Kind zur Adoption anzuvertrauen“. Bei der Entgegennahme des Nobelpreises 1979 bezeichnetete sie den Schwangerschaftsabbruch als „die größte Bedrohung des Weltfriedens“. Mit diesen Ansichten gewann die katholische Nonne schnell das Vertrauen ihres obersten Chefs, Johannes Paul II. Dieser erkannte schnell die beiden innewohnende Seelenverwandtschaft und schätzte natürlich besonders das von Teresa ausgelebte und propagierte mittelalterliche Frauenbild.

Doch das Wirken der alten Dame, die mit bürgerlichen Namen Agnes Gonxha Bojaxhio hieß, beschränkte sich nicht nur auf moralinsäuerliche Ratschläge.  Nein, sie errichtete in Indien eine Reihe von Hospitälern. Die Armut lag ihr schließlich sehr am Herzen, sie hielt sie für gottgegeben. Die medizinische Versorgung dort war denn auch eher dürftig. Amerikanische und britische Ärzte haben darauf hingewiesen, daß es dort keine schmerzstillenden Mittel gibt, die Ernährung der Patienten katastrophal sei und medizinisches Besteck nur mit kaltem Wasser gereinigt werde. Es ist doch immer wieder schön für den Herrn zu leiden.... Und so verwundert es nicht, daß sie einmal sagte: „Es ist etwas sehr Schönes, wenn man sieht, wie die Armen ihr Kreuz tragen. Wie die Passion Christi, ist ihr Leid ein großes Geschenk für die Welt.“ Auch der Tod vieler Patienten wird in den von ihr gegründteten Einrichtugen mit fatalistischen Gleichmut hingenommem und in einer von ihr betreuten Leichenhalle kann man die Inschrift „Heute komme ich in den Himmel“ bewundern.

Der britische Schriftsteller Christopher Hitchens untersuchte das Leben ihrer Heiligkeit und stellte in seinem leider nicht auf Deutsch erschienen Buch The Missionary Position: Mother Teresa in Theory and Praxis heraus, daß es Mutter Teresa vorrangig darum gegangen sei, „einen Kult zu begründen, der sich auf Tod, Leiden und Unterwerfung stützte.“ Der Autor verweist darauf, daß Betschwester Teresa sogar die Lepra als Geschenk des Herrn ansah und kommt zu dem Schluß, daß es sich bei ihr um keine Wohltäterin der Benachteiligten und Bedrängten handelte, sondern um eine besondere Geißel Gottes.

Für ihre Betätigung nahm sie was sie kriegen konnte und es störte sie nicht, wenn das Geld aus eher zweifelhaften Quellen stammte. 1,25 Millionen Dollar erhielt sie vom Betrüger Charles Keating, der die US-amerikanischen Sparkassen um 252 Millionen Doller beschwindelt hatte. Die Leidtragenden waren zumeist Kleinsparer. Im Prozess sagte sie zugunsten Keatings aus, den sie als engagierten Christen und Kämpfer gegen die Pornografie kennen- und schätzengelernt hatte. Einer Bitte der Staatsanwaltschaft, die aus dem Betrug stammende Spende doch zurückzugeben, mochte sie reinen Gewissens nicht nachkommen. Schließlich unterhielt Mutter Teresa nicht nur Hospitäler, sondern konnte mit Stolz darauf verweisen, daß sie über 500 Klöster gegründet hatte. Der Unterhalt dieser gottgefälligen Werke läßt sich ja auch nicht aus dem Nichts bestreiten.

Auch dem haitianischen Diktator Jean-Claude Duvalier fühlte sie sich verbunden und so reiste sie 1981 nach Haiti, um dort die höchste Auszeichnung des Landes entgegenzunehmen. Sie bedankte sich artig mit einer netten Rede, in der sie behauptete, Duvalier und seine Frau Michèle „würden“ die Armen lieben und diese würden ihn deshalb so „verehren“. Natürlich gab es auch hier eine kleine Geldspende, die sie dankbar annahm. Bei diesen gesellschaftlichen Kontakten ist es nicht erstaunlich, daß sie die „Theologie der Befreiung“ stehts mit Argwohn betrachtete und sich auch hier auf die Seite des Papstes stellte, der diese ablehnt und verdammt.

Alles in allem, sie hat sich ihren katholischen Heiligenschein redlich verdient und einer Vergöttlichung der alten Frau sollte nichts mehr im Wege stehen. Halleluja! (T.S.)

Quellen:
[Frankfurter Rundschau 06.08.1999]
[TAZ Nr. 5325 Seite 3 vom 08.09.1997]
[TAZ Nr. 5620 Seite 20 vom 28.08.1998]
[Le Monde diplomatique Nr. 5079 Seite 2 vom 15.11.1996]

 15. August 1999 · Religion: Tatütata, die Seele brennt, die Öler sind alarmiert!

Über die Missionierungspraktiken eifriger Pfaffen, die sich ihre Opfer neuerdings auch bei Verkehrsunfällen suchen, berichtete Norbert Dethof (1942 – 1999) in einem Rundfunkbeitrag, den wir jetzt für diese Seite überarbeitet haben. Dem Text vorangestellt ist ein Nachruf, der das verdienstvolle Leben und Wirken dieses Streiters gegen klerikale Verdummung und Ungerechtigkeit würdigt. (T.S.)

 14. August 1999 · Kultur: Update der Medientipps

Neue TV- und Radiotipps bis 21. August 99.
Für alle, die mehr über die Historie des Menschen Jesus wissen möchten, ein kurzfristiger Tipp: Morgen, 9.30 Uhr bei Phoenix, läuft in der Reihe "Himmel, Hölle und Nirwana - Die großen Erlöser" der Beitrag "Jesus von Nazareth - Rebell oder Messias?" Der Film nähert sich - lt. WDR.de - der historischen Gestalt Jesu und bringt Licht in das Dunkel der Geschichte. (H.J.)

 13. August 1999 · Religion: Noch ein Glaubenskrieger

Am Dienstag schoß der 37jährige Buford Furrow aus Los Angeles in einem jüdischen Gemeindezentrum auf fünf Menschen, darunter drei kleine Kinder. Eines von ihnen befindet sich nach wie vor in kritischem Zustand. Am Mittwoch stellte er sich dem FBI, er glaubte, die Kinder getötet zu haben. "Ihr sucht mich, ich habe die Kinder in Los Angeles umgebracht." Seine Tat sei ein "Weckruf an alle Amerikaner, Juden umzubringen." Furrow wird auch des Mordes an einem Postboten verdächtigt.

Der Rabbiner Marvin Hier vom Simon-Wiesenthal-Zentrum erkläre, in Furrows Fluchtwagen sei ein Buch einer amerikanischen Nazi-Gruppe gefunden worden, und zwar ein Buch von Richard Kelly Hoskins, Chefideologe der gewalttätigen Sekte "Christian Identity" ("Christliche Identität"), deren Mitglieder, ausschließlich Weiße, sich für das "wahre Volk Gottes" halten. Michael Reynolds vom Southern Poverty Law Center in Montgomery, Alabama, das rassistische Grupperiungen überwacht und eine Datei über Furrow wartet, sagte, Furrow sei offenbar ein Anhänger der "Priesterschaft des Phineas" gewesen, eine christlich-faschistische Gruppierung, die auch für Anschläge auf Abtreibungskliniken verantwortlich ist. Ihr Name entstammt dem Alten Testament, 4. Buch Mose (Numeri) 25. Dort wird beschrieben, wie ein Israelit eine ungesetzliche, weil nicht reinrassige Beziehung mit einer Frau von einem anderen Stamm hat, einer Midianitierin. Der Priester Pinhas (Phineas) durchbohrt beide mit einem Speer. Wörtlich heißt es in dem hoffentlich bald auf dem Index für jugendgefährdende Schriften landenden Buch:

25/1 Und Israel blieb in Schittim. Und das Volk fing an Unzucht zu treiben mit den Töchtern Moabs; 25/2 und diese luden das Volk zu den Opfern ihrer Götter ein, und das Volk aß und warf sich nieder vor ihren Göttern. 25/3 Und Israel hängte sich an den Baal-Peor. Da entbrannte der Zorn des HERRN gegen Israel. 25/4 Und der HERR sprach zu Mose: Nimm alle Häupter des Volkes und hänge sie dem HERRN auf vor der Sonne, damit die Glut des Zornes des HERRN sich von Israel abwende. 25/5 Und Mose sagte zu den Richtern Israels: Erschlagt [sie], jeder seine Leute, die sich an den Baal-Peor gehängt haben!

25/6 Und siehe, ein Mann von den Söhnen Israel kam und brachte eine Midianiterin zu seinen Brüdern vor den Augen Moses und vor den Augen der ganzen Gemeinde der Söhne Israel, als diese am Eingang des Zeltes der Begegnung weinten. 25/7 Und als der Priester Pinhas, der Sohn Eleasars, des Sohnes Aarons, des Priesters, das sah, stand er aus der Mitte der Gemeinde auf und nahm einen Speer in seine Hand; 25/8 und er ging dem israelitischen Mann nach in das Innere [des Zeltes] und durchbohrte die beiden, den israelitischen Mann und die Frau, durch ihren Unterleib. Da wurde die Plage von den Söhnen Israel zurückgehalten. 25/9 Und die [Zahl der] an der Plage Gestorbenen war 24 000.

25/10 Und der HERR redete zu Mose und sprach: 25/11 Der Priester Pinhas, der Sohn Eleasars, des Sohnes Aarons, des Priesters, hat meinen Zorn von den Söhnen Israel abgewendet, indem er in meinem Eifer mitten unter ihnen geeifert hat. So habe ich die Söhne Israel in meinem Eifer nicht vernichtet. 25/12 Darum sprich: Siehe, ich gebe ihm meinen Bund des Friedens. 25/13 Und ihm und seinen Nachkommen nach ihm wird ein Bund ewigen Priestertums zuteil werden, weil er für seinen Gott geeifert und für die Söhne Israel Sühnung erwirkt hat. - 25/14 Und der Name des getöteten israelitischen Mannes, der mit der Midianiterin getötet wurde, war Simri, Sohn des Salu, der Fürst eines Vaterhauses der Simeoniter; 25/15 und der Name der getöteten midianitischen Frau war Kosbi, Tochter des Zur; er war Stammhaupt eines Vaterhauses unter den Midianitern.

(Hervorhebungen natürlich nicht im Original.) Die Handlungen der Priesterschaft und damit auch das jüngste Attentat stehen also in langer biblischer Tradition. Daß sich christliche und faschistische Bewegungen so gut miteinander verstehen ist kein Zufall. Näheres hierzu im Text Die christlichen Wurzeln des Nationalsozialismus auf unserer Site. (EMÖ)

[Quellen: AP 11.8.99, Informationsseiten des Los Angeles County Sheriff Emergency Information Bureau über die Priesterschaft des Phineas, Die Bibel, revidierte Elberfelder Übersetzung (muß man nicht kennen).]

 12. August 1999 · Religion: Wie klerikalisiert man einen Staat?


"Toto, I have a feeling we're not in Kansas anymore." – Dorothy, Wizard of Oz

Wieder sind die USA dem Gottesstaat einen Schritt näher gerückt. Trotz gegenteiliger Empfehlungen eines 27-köpfigen Komitees aus Lehrern und Wissenschaftlern wurden gestern im US-Bundesstaat Kansas neue Schulrichtlinien verabschiedet, die es den 302 Schulbezirken des Landes erlauben, anstelle der Evolutionstheorie den Kreationismus zu unterrichten. Auch andere Bundesstaaten haben aufgrund des Drucks religiös-fundamentalistischer Pressure-Gruppen bereits vergleichbare Gesetze verabschiedet, so z.B. Alabama, wo Schulbücher mit der Evolutionslehre den Vermerk tragen müssen, daß es sich dabei "nur um eine Theorie" handle und es "andere ebenso zwingende Berichte" gebe (welche "Berichte" damit gemeint sind, kann jeder im Buch Genesis der Bibel nachlesen). Mark Looy von der Gruppe "Answers in Genesis" sieht in der Evolutionstheorie dann auch die Ursache für Mord- und Totschlag: "Sie erzeugt ein Gefühl von Sinnlosigkeit und Hoffnungslosigkeit, welches, denke ich, zu Dingen wie Schmerz, Mord und Selbstmord führt."

Wer sich näher über den Kampf um die Schöpfung informieren will, sollte einmal bei Ute's Own oder dem Archiv der Newsgroup talk.origins vorbeischauen.

Die Fundamentalisten in den USA sind milliardenschwer und exzellent organisiert. Sie sind sich darüber im klaren, welche Strategie wo funktioniert und welche nicht. In kleinen Schritten bemühen sie sich, das Schulsystem zu zersetzen, die Medien und die Politik zu infiltrieren sowie die Wissenschaft und progressive Gruppen zu diskreditieren. Ereignisse wie die Schulmassaker werden eingesetzt, um die eigenen Interessen zu rechtfertigen. Bei bestimmten Themenbereichen wie dem sexuellen Mißbrauch oder dem Kampf gegen Pornographie wird gezielt auf die Unterstüzgung "progressiver" Kreise wie z.B. radikale Feministinnen gesetzt. Auf diese Weise läßt sich bspw. die Dämonisierung von Sexualität auch außerhalb des konservativen Milieus realisieren. Extremistische Abtreibungsgegner bilden den terroristischen Arm und schrecken auch vor Bombenanschlägen und Todeslisten nicht zurück. Solche Gruppen können ohne weiteres dazu mobilisiert werden, Bibliotheken anzuzünden und Universitäten zu stürmen. Eine solche Entwicklung mag man auf die USA bezogen kaum für möglich halten, aber wenn man an die letzten Gesetzesveränderungen denkt, was Schulgebete, körperliche Bestrafung von Schulkindern, die Aushängung der Zehn Gebote und eben auch die Evolutionstheorie angeht (und das ist längst nicht alles), dann muß man eine solche Perspektive langfristig für möglich halten.

Sie scheint leider nicht nur möglich, sondern unausweichlich. Der Kurs ist festgelegt. Bis jetzt gibt es niemanden, der effektiv gegensteuert, und das obwohl Amerika derzeit den liberalsten Präsident hat, der zur Verfügung steht: Vize Al Gore verspricht die geistig-moralische Wende, und der Gegenkandidat ist ein gottesfürchtiger Republikaner, Georgie Bush Jr. Wissenschaftliche Gruppen wie das National Center for Science Education finden kein Gehör. Trotz vieler progressiver Medien (man denke an The Nation, Mother Jones, New York Times, Wired etc.) sind die etwa 40 Millionen Fundamentalisten des Landes und ihre Führer laut genug, um Gesetze zu verändern.

Angesichts dieser düsteren Perspektive bleibt nur zu hoffen, daß Europa vom Fundamentalismus verschont bleibt. Klar ist: Bereits mit Millionenbeträgen aus dem Ausland könnten Gruppen wie die Christliche Mitte oder die Partei Bibeltreuer Christen auch in Deutschland aktiver werden. Man würde eine Gruppe suchen, die bereit ist, sich ein etwas moderateres Image zu geben und sie mit entsprechender finanzieller Unterstützung ausstatten. Dann kämen zunächst die Broschüren an die Schulen, die Pressemitteilungen an die Medien, dann die gezielte Finanzierung von Pseudowissenschaftlern und "Experten", die persönliche Betreuung bestimmter Politiker ... schon nach wenigen Monaten würden sich erste Erfolge einstellen. Und wenn nicht Millionen, sondern Milliarden investiert würden, könnte es tatsächlich schon in wenigen Jahren ein "Deutschland nach Gottes Geboten" geben, wie die CM es sich wünscht. (EMÖ)
[Quelle: American Atheists Newsletter, 12.8.99]

 12. August 1999 · Kultur: Update der Medientipps

Neue TV- und Radiotipps bis 19. August 99.
Nun ist es doch nichts geworden mit dem Weltuntergang, Drittem Weltkrieg oder sonst was. Die Sternwarte Bochum meldete, die dritthäufigste Frage der Anrufer war die nach der Apokalypse. Obwohl - manche meinen ja, Nostradamus hätte mit "sieben Monate" den SEPTember... nein, ich will hier keinen auf dumme Gedanken bringen.
Heute abend, 23.00 Uhr, frönt die ARD noch einmal der nicht stattgefundenen Katastrophe mit der Dokumentation "Das Ende ist nah". Die Sendung untersucht die verschiedenen Prognosen notorischer Schwarzseher. (H.J.)

 12. August 1999 · Politik: Human Rights Violations against Children in the US Justice System?

Eine Gesetzesvorlage, die innerhalb der kommenden Wochen dem Kongreß der USA vorgelegt werden könnte, gefährdet die Sicherheit von Kindern und Jugendlichen, denen Straftaten zur Last gelegt werden. Auf der Grundlage dieser Vorlage wird es ermöglicht, Kinder gemeinsam mit Erwachsenen zu inhaftieren, was einen Verstoß gegen internationale Menschenrechtsstandards darstellt. Kinder, die zusammen mit erwachsenen Häftlingen inhaftiert sind, werden der erhöhten Gefahr körperlicher Mißhandlung und sexuellem Mißbrauch ausgesetzt.
Internationale Standards wie der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte und das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes berücksichtigen die Schutzlosigkeit von Kindern und legen explizit fest, daß Kinder, denen Straftaten zur Last gelegt werden, sowohl vor als auch nach der Verurteilung getrennt von erwachsenen Gefangenen in Gewahrsam gehalten werden sollen. Der nun anstehende Gesetzentwurf fällt hinter die gegenwärtige Gesetzeslage zurück, die ohnehin nur einen eingeschränkten Schutz vor Vorstößen gegen internationale Abkommen bietet.

Die anstehende Gesetzesvorlage ist in verschiedenen Versionen im Repräsentantenhaus (House of Representatives) unter der Bezeichnung H.R. 1501 und im Senat (Senate) unter der Bezeichnung S. 254 verabschiedet worden. Ein gemeinsamer Ausschuß aus Abgeordneten der beiden Parlamentskammern (Repräsentantenhaus und Senat) muß nun eine Vorlage aus diesen beiden Versionen erarbeiten, um sie dem Kongreß als Gesetzesvorlage zu Abstimmung vorzulegen. Der zeitliche Rahmen für die Erarbeitung dieser Vorlage steht noch nicht fest.

Abhängig vom begangenen Delikt können Kinder derzeit sowohl auf der Grundlage der US-Bundesgesetzgebung als auch gemäß den Gesetzen der einzelnen US-Bundesstaaten entweder als Jugendliche nach dem Jugendstrafrecht oder als Erwachsene nach dem allgemeinen Strafrecht vor Gericht gestellt werden. Nach der gegenwärtigen Gesetzeslage auf Bundesebene wird sichergestellt, daß Kinder, die auf Bundesebene oder in einem einzelnen Bundesstaat auf der Grundlage des Jugendstrafrechts vor Gericht stehen, von Erwachsenen getrennt werden. Der Gesetzentwurf H.R. 1501 würde diese Schutzmaßnahme untergraben, da durch ihn die Möglichkeit eröffnet wird, Kinder, die auf US-Bundesstaatenebene nach dem Jugendstrafrecht vor Gericht stehen, unter bestimmten Umständen gemeinsam mit erwachsenen Insassen zu inhaftieren.
Die gegenwärtige Gesetzeslage sieht auch einen Schutz für Kinder vor, die auf Bundesebene nach dem allgemeinen Strafrecht vor Gericht stehen. Auch diese Kinder dürfen derzeit nicht gemeinsam mit Erwachsenen in Gewahrsam gehalten werden. Der Gesetzentwurf H.R. 1501 läßt hier jedoch eine weitere Gesetzeslücke zu, die ermöglicht, daß sogar 13jährige Kinder zusammen mit Erwachsenen in Untersuchungshaft einsitzen.

Der Gesetzentwurf des Senats (S. 254) entbindet außerdem die US-Bundesstaaten von der Verpflichtung, gegen rassische Diskriminierung bei der Behandlung von Kindern vorzugehen, die in Konflikt mit dem Gesetz geraten sind. In den USA werden wesentlich mehr Kinder lateinamerikanischer und afro-amerikanischer Herkunft nach ihrer Festnahme inhaftiert als ihre weißen Altersgenossen. Auf der Grundlage der gegenwärtigen Gesetzeslage sind die einzelnen Bundesstaaten verpflichtet, zu beobachten und zu analysieren, inwieweit dieses Phänomen der "disproportionate minority confinement" (unverhältnismäßig hohe Zahl von Inhaftierungen Angehöriger ethnischer Minderheiten)auftritt, und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Im Gesetzentwurf S. 254 wurden alle Punkte ausgeklammert, die sich auf Angehörige von Minderheiten beziehen. Sollte das Gesetz in dieser Form verabschiedet werden, würden damit alle Bemühungen zunichte gemacht, gegen die unfaire Behandlung von Kindern, die ethnischen Minderheiten angehören, vorzugehen. Einer der Verfasser des Gesetzentwurfs soll dies damit gerechtfertigt haben, daß das US-Strafrechtssystem "farbenblind" sei. Diese Behauptung widerspricht jedoch den vorliegenden Beweisen, denen zufolge Kinder, die ethnischen Minderheiten angehören, härter bestraft werden als ihre weißen Altersgenossen. Selbst wenn nicht-weiße Kinder ähnliche Straftaten begehen und ähnliche Vorstrafenregister haben wie ihre weißen Altersgenossen, ist die Wahrscheinlichkeit bei ihnen wesentlich größer, daß sie eingesperrt und in Gefängnissen zusammen mit Erwachsenen inhaftiert werden.

Die doppelte Moral einer vermeintlich "volksdemokratischen" Gesellschaft mit "Wertvorstellungen" des christlichen Abendlandes:
- Verbotener Sex mit Minderjährigen wird anscheinend nur in der „guten Gesellschaft“ geächtet, im Knast dagegen ermöglicht.
- Einerseits versuchen religiöse Eiferer, teils offenkundig militant, Embryonen und Föten im Mutterleib zu schützen, andererseits aber verläßt sie ihr "Glaube" bei der gesetzlichen Todesstrafe sowie tödlichen Militäreinsätzen. (H.F.)

[Quelle: ai-index: AMR 51/112/99, eMail vom 16.07.1999}

 10. August 1999 · Politik: Fundi-Royal

Prinz Charles aus Großbritannien zweifelt an, dass es im Königreich überhaupt Bedarf für Genfood gibt und sorgt damit für internationale Verstimmung. Der britische Premier, Tony Blair, Befürworter von gentechnisch veränderten Lebensmitteln war über diese Äusserung „not amused“, respektive doppelt verärgert. Zum einen, weil es für Mitglieder der Königsfamilie nicht üblich sei, zu aktuellen Themen Stellung zu nehmen und zum anderen gilt die skeptische Haltung der Europäer gegen Gentechnik momentan als das größte Handelshemmnis mit dem Wirtschaftsriesen USA.

Der Kauf von nicht genmanipulierter Nahrung aus dem Öko-Shop scheint nicht nur eine Frage der Geisteshaltung sondern in naher Zukunft auch eine Frage des eigenen Kapitals zu sein. (H.F.)

[Quelle: natur & kosmos, August 1999]

 9. August 1999 · Politik: Auf Diskussionsversammlung Resolution verabschiedet

Die letzten Meldungen aus dem Kosovo über gezielte Racheakte einzelner Albaner und der UCK zeigen, dass die vorhandenen ethnologischen Probleme mit "humanitären Luftschlägen" nicht aus der Welt zu schaffen sind. Gewaltmaßnahmen haben weder die serbische Regierung an Menschenrechtsverletzungen gehindert noch die UCK zum friedlichen Einlenken gebracht.

Nach einigem parteipolitisch motiviertem Geplänkel des Verbandsvorsitzenden, der eine erste - noch neutral gehaltene - Resolution verhindert hat (man will der eigenen, kriegsführenden Partei ja nicht auf die Füße treten), haben jetzt Mitglieder des Humanistischen Verbandes Nordrhein-Westfalen auf einer Diskussionsveranstaltung am 27. Juli 1999 eine Resolution verabschiedet, in der die NATO-Angriffe verurteilt werden. (H.J.)

[Quelle: www.humanismus.de/hvd-nrw/ vom 09.08.99]

 9. August 1999 · Religion: Immer neue Sekten

Es besteht leider keine Hoffnung, dass nach der Sonnenfinsternis oder spätestens nach dem Jahr 2000 der Weltuntergangswahn ein Ende nimmt. Im US-Staat Georgia sorgt seit diesem Sommer eine neue Sekte, die Nuwabier, für Unruhe. Dwight York alias Malachi Z. York, Chef der Psychopathen, erwartet "erst" im Jahr 2003 die Ankunft von Raumschiffen. Und wie immer sollen 144.000 Menschen gerettet werden. (Wenn sie doch endlich einmal alle abgeholt würden...) Die Sektenmitglieder haben sich Pyramiden und eine Sphinx gebaut. Dort lagern sie in einem gläsernen Grabmal eine "außerirdische", glupschäugige Kreatur (Roswell lässt grüßen). Im April war es bereits mit der Bauaufsicht zu einer bewaffneten Auseinandersetzung gekommen. [1]

Auch die Nähe des Vatikans schützt nicht vor religiös-sektiererischem Wahn. Natürlich nicht. Nördlich von Rom wurden jetzt Grotten entdeckt, wo offensichtlich eine satanische Sekte schwarze Messen abgehalten hat. Die Polizei hat allerlei satanische Utensilien sichergestellt. Ein Aussteiger berichtete von einem Plan, auf die nahegelegene Station von Radio Vatikan einen Anschlag zu verüben. [2] (H.J.)

[1] Saarbrücker Zeitung, 29.7.99
[2] Stuttgarter Zeitung, 29.7.99

 9. August 1999 · Wissenschaft: Multi-Mondfinsternis?

Könnte man sich vorstellen auf dem Uranus zu leben, genösse man das Vorhandensein von mehreren Monden. Erst kürzlich gelang es Wissenschaftlern auf zwanzig Jahre alten Fotos der Raumsonde „Voyager“ zwei bisher unbekannte Uranus-Trabanten zu entdecken. Kanadische Astronomen der McMaster-Universität von Hamilton in Ontario konnten mittlerweile mit einem 3500mm-Spiegelteleskop die Nummer 19 und 20!! ausfindig machen. Lediglich als kleine Lichtpunkte waren die noch unbenannten Monde erschienen. In unserem Sonnensystem garantiert dies dem Uranus den Rekord mit der höchsten Mondanzahl eines Planeten. Die beiden zuletzt entdeckten Monde befinden sich etwa 25 respektive 10 Millionen Kilometer vom Uranus entfernt.

Alle paar Jahre eine totale Sonnenfinsternis - der Rummel wäre gar nicht auszudenken. (H.F.)

[Quelle: DIE ZEIT, Nr. 32/99]

 8. August 1999 · Religion: Sonnenfinsternis und hitzebedingter Hirnschwund

„What if the sun refused to shine?
what if the clouds refused to rain?
what if the wind refused to blow?
what if the seas refused to wave?
what if the world refused its turn?
what if the stars would hesitate?
what if what is isn’t true?
what are you going to do?
does that mean you’ve got to lose?“
(The Smashing Pumpkins: „Appels + Oranjes“)

Ist das schon mal jemandem aufgefallen? Kaum daß ein Ereignis ein etwas größeres Publikumsinteresse erregt, da stehen sie auch schon im Rampenlicht, die klerikalen Dummschwätzer, die niemand rief: Und da stehen sie dann und reden und reden, mit selbstgefällig-sonorer Stimme und geheucheltem Mitgefühl im Blick, und reden und reden. Nicht um den Menschen zu helfen, sondern mit dem alleinigen Zweck, das dreckig-desolate Image ihrer Kirche aufzupolieren. Mit geradezu unerträglicher Impertinenz drängeln sie sich in die Öffentlichkeit, in alle Medien, zu jedem Thema, vor jede Kamera, vor jedes Mikrofon, ungefragt, versteht sich. Immer mit einem viertelschlauen Spruch auf den Lippen, meist ohne Inhalt und am Thema vorbei. Und immer belanglos, harmlos, auf daß sich niemand so richtig dran stoße.

Aktuelles Beispiel: Die läppische Sonnenfinsternis am 11. August und die Auslassungen von Manfred Kock, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Kock: Natürlich erlebe ich nur einen bestimmten Ausschnitt, aber das Thema Weltuntergang hat tatsächlich Konjunktur. Viele Menschen sind verunsichert angesichts einer unübersichtlichen Welt, die in Unordnung geraten scheint. Und wenn dann ein beeindruckendes astronomisches Ereignis wie die Sonnenfinsternis eintritt, wenn es mitten am Tag dunkel wird, dann wird das schon als Zeichen gesehen. Dann kommen die vorhandenen Ängste erst richtig hoch. Wir, die aufgeklärten Menschen (Hervorhebung von mir – C.B.), lächeln darüber.

Warum nur, warum quäle ich mich jedes Wochenende mit diesem Schwachsinn herum?

Kock: Wir wollen den Menschen die Gewissheit vermitteln, dass Gott die Welt in den Händen hält und es daher keinen Grund zur Angst gibt.

Käpt’n Kock an Gott: Bitte den göttlichen Handschutzschirm aktivieren.

Kock: Viele meiner Bekannten fahren übrigens nach Süden, um die totale Sonnenfinsternis zu sehen. Vielleicht hilft es ihnen, Gottes Schöpfung zu preisen.

Sehr wahrscheinlich würde es helfen, wenn ihm und seinen Bekannten – nicht nur während der Sonnenfinsternis – einer die Birnen richtig reindrehen würde. (C.B.)

[Quelle: Süddeutsche Zeitung, 06.08.1999]

 6. August 1999 · Politik: Atombomben als Ohrringe

Ein Museum im US-Staat New Mexico vertreibt über das Internet ganz besonders geschmackvolle Schmuckstücke: kleine Nachbildungen der Bomben vom Hiroshima und Nagasaki. In Japan ist man zu recht empört über eine solch unsensible Umgangsweise mit der Geschichte. Am 6. August 1945 um 8.15 Uhr warfen die Amerikaner - völlig unnötig - die erste Atombombe ab. 140.000 Zivilisten kamen dabei auf bestialische Art ums Leben. Doch damit nicht genug, drei Tage später fiel eine zweite Bombe auf Nagasaki. 70.000 unschuldige Opfer waren das Ergebnis dieser weiteren verbrecherischen Tat. Diese beiden Atombombenabwürfe sind das größte Kriegsverbrechen aller Zeiten!1

Am heutigen Freitag gedachten in Japan 50.000 Menschen der Opfer dieses Massakers. In Amerika ist von derartigen Mahnveranstaltungen leider nichts zu sehen. Dort scheint man lieber kriegsverherrlichende Ohrringe zu tragen.

Der japanische Ministerpräsident Keizo Obuchi nutzte die Kundgebung in Hiroshima, um noch einmal eindrücklich für eine Welt ohne Atombomben zu plädieren. Insbesondere wies er darauf hin, dass im letzten Jahr einige neue Länder zum Kreis der Atommächte gestoßen seien. Diese Anspielung zielte offensichtlich auf die beiden neuen Atommächte Indien und Pakistan, die im letzten Jahr durch massive Atomtests aufgefallen waren. Beide Staaten stehen seit längerem an der Schwelle zu einem Krieg und lassen keine Zweifel daran, dass sie notfalls auch bereit wären Atomwaffen einzusetzen.(F.W.)
[Quelle: dpa, 6.08.99]
1: Karlheinz Deschner: Der Moloch – Eine kritische Geschichte der USA

 6. August 1999 · Kultur: Update der Medientipps

Neue TV- und Radiotipps bis 13. August 99. Am Sonntag, den 8. August um 16.30 Uhr, fragt der SWR in der Reihe Der Herr der Finsternis "Ist der Teufel tot? Das 20. Jahrhundert und der Teufel."

Johannes Paul II. weiß es da ganz genau. Der Heilige Geist muss ihm wieder etwas geflüstert haben. Der Papst, der so gerne von Religion und Vernunft spricht und sich (manchmal) mit Wissenschaftlern umgibt , hat wieder einmal Unglaubliches von sich gegeben: Nach seinen Worten gibt es nicht nur das Paradies und die Hölle, sondern für Unentschlossene auch noch das Fegefeuer. Dies sei aber kein realer Ort, sondern ein Seelenzustand nach dem Tod, sagte er. Es erwarte diejenigen, die im Moment des Todes zwar eine "Öffnung zu Gott" vollzogen, diese aber nicht vollständig erreicht hätten.
[Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 05.08.99]

Alles klar? Es gibt also das Paradies, die Hölle und das Fegefeuer. Die Angst davor dient dem Machterhalt der Kirche. Wer die übrigen Folgen der oben genannten Sendereihe (in verschiedenen Programmen) gesehen hat, weiß, dass der "Teufel" vor allem die Kirche selber war. Aber ... (Zähne-)Klappern gehört zum Handwerk. (H.J.)

 6. August 1999 · Politik: Bleifreie Kriege?

US-Militärforscher haben zwei neue Metall-Legierungen entwickelt. Statt dem umweltschädlichen Blei sollen diese nun bei der Öko-Projektilproduktion eingesetzt werden. Wolfram, das alternierend mit Zinn oder Nylon gemischt wird ist der Ausgangsstoff für diese Legierungen. Die erste Öko-Waffe soll das M-16 Sturmgewehr der US-Armee werden – Umweltschutz Kaliber 5,56.
Dabei ist der Hintergedanke der Militärs nicht etwa ein ökologisch korrekter Krieg oder ein bleifreies Schlachtfeld, sondern die Kostenersparnis. Um die ehemaligen bleiverseuchten Schießstände der US-Armee zu sanieren fallen bisher horrende Kosten an.
Kleiner Nebeneffekt. Die Wolfram-Geschosse fliegen noch exakter ins Ziel als die Bleikugeln. Eine wahrhaft bombige Sache und – ein Volltreffer für den Umweltschutz. (H.F.)

[Quelle: DIE ZEIT, Nr. 32/99]

 4. August 1999 · Geld: "Unnötig wie ein Kropf"

Nachdem etliche Politiker, u.a. der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Beck (SPD), in vorauseilendem Gehorsam mit dem Vorschlag vorgeprescht waren, die Kirchensteuer mit Bezug auf das Bruttoeinkommen umzustellen, wurden sie jetzt von der Kirche zurückgepfiffen. Beck, der - aufgeschreckt durch das Jammern diverser Kirchenvertreter - das Engagement der Amtskirchen sichern wollte, reagierte verwundert. Meinte doch gar der Vizepräsident des EKD-Kirchenamtes, Herrmann Barth, das Gerede über eine Änderung der Neuberechnung sei "unnötig wie ein Kropf". [1]

Offenbar will die Kirche das Thema Kirchensteuer klein halten, um nicht die Öffentlichkeit unnötig durch eine Umstellung der Berechnung aufzuschrecken. Bei dem eingespielten System achten die meisten Kirchensteuerzahler kaum noch auf die Abzüge. Das geht innerhalb der übrigen Posten für Sozialabgaben auf der Lohnabrechnung unter. So ist ihnen auch kaum aufgefallen, dass im Zuge der Steuerreform auch die Kirchensteuer - bei gleichem Hebesatz - effektiv niedriger wurde. Würde diese Abgabe jetzt wieder auf den alten Stand angehoben - oder gar eine komplette Umstellung der Bezugsgröße erfolgen -, würden doch etliche Zahler sich die Sache mit der Kirchenmitgliedschaft durch den Kopf gehen lassen. Schließlich besuchen die meisten schon längst keinen Gottesdienst mehr.

Was tut man also, um seine Finanzierungslücken zu schließen, aber nicht die Mitglieder zu verärgern? Man sucht heimlich, still und leise nach anderen Möglichkeiten, an Geld zu kommen. Und so trafen sich Mitte Juli erstmals nach der Steuerreform eine Arbeitsgruppe von Kirchen, Bund und Ländern, um über dieses Thema zu beraten. Die Politiker wurden offenbar von der Kirchenlobby weichgekocht. Denn nun verkündete z.B. der Bundestagsabgeordnete Peter Weiß (CDU), dass die Berechnung so bleiben müsse, denn eine Umstellung der Bemessungsgrundlage bedeute einen "riesigen Verwaltungsaufwand". Er forderte statt dessen den Staat auf, die Kirchen stärker zu unterstützen, da diese Dienste für die Gesellschaft erbrächten, die der Staat so effektiv und billig nicht leisten könne. [2]

Ins gleiche Horn blies auch Bundesfinanzminister Hans Eichel. Er erwartet von den Ländern, wie er am 25. Juli in einem Zeitungsinterview von sich gab, für den Kirchensteuerausfall gerade zu stehen, damit die Kirchen ihre sozialen Aufgaben weiterhin wahrnehmen können. [3] Dabei hat das Bundesfinanzministerium noch im April bemerkt, die Kirchen werden zweifellos für ihre finanziellen Probleme selbst eine sozialverträgliche Lösung finden. [4]

Besser Informierte wissen, dass die kirchliche Sozialarbeit kaum etwas mit der Kirchensteuer zu tun hat - auch nach kircheneigenen Angaben werden weniger als 10 % der Kirchensteuer für allgemeine soziale Aufgaben ausgegeben. Altenheime, Krankenhäuser und andere Einrichtungen der kirchlichen Sozialkonzerne werden wie Wirtschaftsunternehmen geführt und tragen sich, oft mit Gewinn, selber. Auch arbeitet die Kirche nicht effektiver und schon gar nicht billiger. Da die Kirchensteuer zu 100% beim Einkommenssteuerausgleich abgesetzt wird, aber nur zu maximal 10% der Sozialarbeit zugute kommt, zahlt der Staat sogar noch drauf - von den hohen staatlichen Zuschüssen für rein innerkirchliche Aufgaben ganz zu schweigen. Außerdem nimmt der Staat durch Übertragung sozialer Aufgaben an kirchliche Sozialkonzerne die rechtliche Schlechterstellung der Arbeitnehmer in Kauf.

Weniger gut informiert zeigte sich der hessische Ministerpräsident Koch (CDU), der sich ebenfalls für eine Lösung der kircheninternen Finanzprobleme stark machte. MIZ-Redakteur Rolf Heinrich fragte im April bei ihm an, wieviel Prozent der Kirchensteuereinnahmen für öffentliche soziale Zwecke verwendet werden. Weiterhin sollte er angeben, wie hoch in der Regel der nicht durch Fremdmittel gedeckte Eigenanteil der Kirchen an den laufenden Kosten der von ihnen getragenen Krankenhäuser, Altenheime und Kindergärten sei. Wer meint, die Sozialbetriebe der Kirchen seien bedroht, muss sich mit deren Finanzierung schließlich auskennen. Die Antwort der hessischen Staatskanzlei (Brief vom 21.4.99) bewies das Gegenteil: "Er [Ministerpräsident Koch] bedauert (...), dass er Ihre Fragen zur Aufteilung der Kirchensteuer auf die von den Kirchen getragenen Sozialeinrichtungen nicht beantworten kann, da darüber hier keine Daten vorliegen." [5] Und so wird weiter die Legende vom Konfessionslosen gepflegt, der sich aus der Solidargemeinschaft verabschiedet hat, weil er kirchliche Kindergärten und Krankenhäuser nutzt, ohne Kirchensteuer zu zahlen.

Das Bundesfinanzministerium hat übrigens jetzt festgestellt, dass die Verluste der Kirchen durch die Steuerreform nicht so dramatisch sind, wie bisher dargestellt. Für 2000 und 2001 seien mit Mindereinnahmen von 373 und 249 Mio. Mark zu rechnen. Ab 2002 wird das Minus auf 1,5 Milliarden jährlich geschätzt. Zuletzt betrug die Kirchensteuereinnahme insgesamt für beide Großkirchen 16,2 Milliarden Mark. [2]

Daten zur Kirchenfinanzierung und Aufteilung der Kirchensteuer findet man auf der Homepage der Landesarbeitsgemeinschaft "Trennung von Staat und Kirche" von Bündnis 90/Die Grünen .

Buchtipp: Horst Herrmann: "Die Caritas-Legende – Wie die Kirchen die Nächstenliebe vermarkten".

[1] ARD / ZDF-Videotext, 29.7.99
[2] idea, 29.7.99
[3] Radio Vatikan, 25.-27.7.99
[4] Radio Vatikan, 22.-24.4.99
[5] Materialien und Informationen zur Zeit (MIZ), 2/99

News-Archiv
6 | 5 | 4 | 3 | 2 | 1

Copyright © 1999, Der Humanist
Sie sind Besucher Nr. seit dem 11.8.1999.