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News - Leserbriefe - Reviews

Die Erinnerung der Black Panther
Review zu "Public enemy" (29.10.99, ARTE)

In der Dokumentation von Jens Meurer erinnern sich vier ehemalige Black Panther, die radikale, militante Organisation in den USA, die für die Rechte der Schwarzen kämpfte. Wer über dreißig war, galt als alt, so auch ihr Anführer  Eldridge Cleaver, den sie „Papa rage“, Papa Zorn, nannten. Die Bilder von damals zeigen die Black Panther, wie sie  mit ihren schwarzen Uniformen und Baretts paradieren - jung, stolz und zornig. Die Frauen trugen selbstbewusst ihren Afrolook, glätteten nicht mehr ihr Haar.

Die Bewegung der Black Panther war der militante, der radikalste Teil der Bürgerrechtler. Die Partei bestand nur aus 800 Mitgliedern, hatte aber viele Sympathisanten. Für den FBI-Chef Edgar Hoover waren sie die gefährlichste Bedrohung der inneren Sicherheit. In Erinnerung geblieben ist uns das Bild der schwarzen Sportler bei den olympischen Spielen in München, die die US-Hymne mit der erhobenen Faust quittierten - ein Skandal.

Der Film erzählt aber nicht die politische Geschichte, sondern aus Sicht der Erinnerungen der Beteiligten. Vier Black Panther ziehen Bilanz: Die Juraprofessorin Kathleen Cleaver, damals ranghöchste Frau in der Organisation; das einzig überlebende Gründungsmitglied Bobby Seale; der Misiker Niles Rodgers; der Theaterschriftsteller Jamals Joseph, der zehn Jahre im Gefängnis saß. Die vier berichten, was aus den Träumen von damals wurde, wie die Bewegung heute zu beurteilen ist. 

Niles Rodgers bewertet die Geschehnisse als "revolutionäres Poem“, als "sehr romantisch.“ Bobby Seale, der heute oft Vorträge über die Black Panther hält, erinnert sich, „wie verdammt gesetzestreu“ sie sich damals verhielten. Obwohl bewaffnet, hielten sie sich streng ans Gesetz. Aber trotz aller Romantik, letztendlich ging es um Leben und Tod. Der unerbittliche Hoover machte Jagd auf sie. Und er setzte den gesamten Staatsapparat ein. Black-Panther-Führer wurden verhaftet, verurteilt, ermordet. Noam Chomsky erinnert sich an das Cointell-Programm, mit dem das FBI die Black-Panther-Party infiltrierte und die Familien führender Mitglieder zerstören wollte: „Dagegen war Watergate ein Teekränzchen.“ Kathleen Cleaver vergleicht ihre Empfindungen mit einem Posttrauma, ähnlich dem der Vietnam-Veteranen.

Der Film zeigt Bobby Seale in einer Kneipe. Auch heute ist er noch ein begnadeter Agitator und Rapper. Kriegsveteranen erinnern sich. Da gibt es allerdings keine Wehleidigkeit, auch keine Bußfertigkeit. Sie wollten Südafrika befreien, damals. Sie lachen. Mit an der Bar sitzt ein schwarzer Mann, der damals für das FBI arbeitete. Er will heute darauf aufmerksam machen, welche Opfer Bobby Seale gebracht hat, „damit wir sind, was wir heute sind“.

[Quelle: SZonNet, 29.10.99]


Solange das Kreuzzeichen üben, bis es sitzt
Review zu "Fit für Jesus - Wie Pfarrer predigen lernen" (23.10.99, WDR)

Aufgegabelt hatte Thomas Kabel die kleine WDR-Reportage bestimmt bei der großen "Wort zum Sonntag"-Zusammenkunft in Ludwigshafen, wo der Enthusiast den TV-Predigern vorbetete, wie sie in ihren samstagabendlichen Weltanschauungswerbeclips nicht nur was für ihre Religion, sondern gefälligst auch für die Quote tun können.

Kabel ist nämlich  Deutschlands einziger Pastorentrainer. Sein Programm heißt "liturgische Präsenz" - den Begriff hat er sich übrigens schützen lassen. Dabei macht auch Kabel eigentlich nichts anderes als seine Kollegen Managementtrainer in den Führungsetagen mittelständischer Betriebe - nur dass seine Kursteilnehmer eine Firmenpräsentation schlicht "Gottesdienst" nennen.

Doch weil Kabel so herrlich unkonventionell durch Kirchenschiffe schwadronieren und die Gottesmänner und -frauen immer wieder kräftig in Verlegenheit bringen kann, hatte der TV-Reporter Gelegenheit, jede Menge ungewöhnlicher Szenen mitzuschneiden: Wer wollte schließlich nicht mit ansehen, wie die Nachwuchsprediger Bibeltexte herausschreien und dabei vorm Altar unter 30 Talaren begraben liegen, in ein Klavier hineinkriechen, rennen oder tauziehen müssen und so lange das Kreuzzeichen üben, bis es sitzt?

Für den auf Jahre ausgebuchten Workoholic Kabel ist der Altarraum eben eine Bühne, der Pastor ein Alleinunterhalter und selbst eine Beerdigung bloß Show.

[Quelle: taz, 25.10.99]


Nichts Neues in der Kirche
Review zu "Tacheles: Arbeit rund um die Uhr" (20.10.99, Phoenix)

"Ein Tabu wird gebrochen!" Und das "in der Kirche"! Aber dann doch keine heißen Enthüllungen, sondern noch viel größeres, von Pastor Jan Dieckmann locker verkündet: "Es wird erstmals in der 650-jährigen Geschichte der
Marktkirche in Hannover" Tacheles geredet. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland startet nämlich "eine Kampagne", und da Werbung alles ist, wird "nicht nur plakatiert", sondern - laut Presseankündigung - "auf
eine neue Streitkultur gesetzt".

Die sieht in der Kirche so aus: Man nimmt ein Thema - "Arbeit rund um die Uhr: Abschied vom Sonntag" -, stellt einen ovalen Tisch auf ein Podest, sammelt daran "prominente" Männer und eine Frau aus dem Volk, dazu eine Frau und einen Pastor als Moderatoren, die Stichworte geben und vorzüglich zu allem lächeln - und lässt alle zusammen drauflos reden. [...]

Das Neue? Vielleicht die rote Plastikdecke auf dem Tisch, die volle Kirche mit Beifall klatschenden Bankreihen. [...] Aber sonst: uralte Hüte. Mit gravitätischen Gesten warfen die Männer ihre abgedroschenen Phrasen in die Luft, von wegen Stammtischhoheit! Frau Grahl aus Leipzig hielt tapfer und diszipliniert dagegen, mit dem Erfolg, dass sie in der zweiten Hälfte der Diskussion gar nicht mehr zu Wort kam. [...] Die Technik war katastrophal. Es hallte und rumpelte. Nichts Neues in der Kirche also. 200 000 Mark zum (Kirchen)Fenster hinausgeworfen. Soviel kosten laut Pressetext die 90 Minuten "Tacheles".

[Zit. aus: Frankfurter Rundschau, 22.10.99]


Vom Leib gehalten
Review zu dem Porträt "Beate Uhse wird 80" (24.10.99, N 3)

Etwa zur Zeit der Währungsreform 1948 begann im Norden der damaligen Westzonen eine der bemerkenswertesten Frauenkarrieren der Nachkriegszeit. Konsequent revolutionierte und optimierte Beate Uhse das kaufmännische Geschäft mit sexuell stimulierenden Waren. Diese unvergleichliche Laufbahn konnte sie nur als Frau machen, nicht als Mann: "Bei dem hätte es immer geheißen, was für ein Dreckschwein." Schwierigkeiten hatte sie auch so genug. Dutzender von Strafprozessen musste sie sich erwehren. Die allermeisten hat sie gewonnen: "Ich biete nur an, was in Deutschland legal ist."

Sie wird jetzt 80 Jahre alt. [...] Mittlerweile hält auch der Arbeitgeberverbandsvorsitzende von Flensburg große Stücke auf die Unternehmerin, was nicht immer so war: Nicht nur, dass die Dame die Deutschen mit Artikeln versorgte, die nach Vorstellungen christlicher Politiker nie in deutsche Schlafzimmer hätten Einzug halten dürfen. Nein, sie legte sich nach ihrer Scheidung auch noch einen erheblich jüngeren Liebhaber zu - zudem einen schwarzhäutigen Amerikaner. So weit, so persönlich.

Aber ein Porträt? Leys Film ist keine Auseinandersetzung mit einer Person, die vermutlich mehr patriarchale Bastionen zum Einsturz hat bringen können als viele andere, die dies offen proklamiert haben. Sein Beitrag zeigt viel weitschweifiger als nötig diverses Material aus den Uhseschen Shops und Katalogen. [...] Was unbekannt ist - und leider auch bleibt -, ist die Person Beate Uhse.

[...] Der Film trägt insgeheim noch die kulturkonservative Kritik der Achtundsechzigergeneration in sich - die, was die geistige Liberalität anbetrifft, sich unangenehm unterscheidet vom smarten Pragmatismus einer Beate Uhse ("Wenn es den Leuten gefällt"). Als Stichwortgeber dürfen Günter Amendt und Oswalt Kolle zu Wort kommen. Und die singen, wer hätte das gedacht, das hohe Lied von der Liebe, die vom Kommerz zerstört werde. Aber ist nicht gerade Beate Uhse selbst das beste Beispiel dafür, dass unternehmerische Unabhängigkeit am ehesten dafür sorgt, dass moralische Lasten abgetragen werden können? Wer hätte denn sonst die Spießigkeit in den Sechziger- und Siebzigerjahren hinwegfegen können - wenn schon von der Politik keine Impulse ausgingen? Immer das gleiche Lied: Geld stinkt doch, beim Sex am meisten. [...]

Nein, der Film hat keine Fragen aufgeworfen, auch nicht gestellt. Am wenigsten an Beate Uhse. Stattdessen hat sich Raymond Ley, handwerklich ja durchaus gelungen, das Objekt seiner Beschreibung derart vom Leibe gehalten, dass er keine Chance mehr hatte, die Dinge ohne ein recht dickes Brett vor dem Kopf zu prüfen.

[Zit. aus: taz, 23.10.99]


Großprojekt im ZDF: 2000 Jahre Christentum

Mit einem im deutschen Fernsehen einzigartigen Großprojekt startet das ZDF am 27. November 1999 in das Kirchenjahr 2000: An der sage und schreibe 60-teiligen Gottesdienstreihe "Wurzeln und Visionen", einer Gemeinschaftsproduktion von ZDF und ORF, sind zum ersten Mal in der Geschichte der Gottesdienstübertragungen katholische, evangelische, orthodoxe und freikirchliche Theologen beteiligt. Man will nun offensichtlich das Jubeljahr mit vereinten Kräften nutzen, um aus der Krise herauszurudern.

Gemeinsam werfen sie alle einen Blick auf die 2000-jährige Geschichte des Christentums, suchen nach den Wurzeln in der Vergangenheit und entwickeln Visionen für ein lebendiges Christentum im neuen Jahrtausend. Leider ist nicht anzunehmen, dass sie sich bei diesem Projekt von dem profilierten Kenner in der Christentum-Historie, dem Autor der "Kriminalgeschichte des Christentums", Karlheinz Deschner, beraten lassen.

[Quelle: ARD/ZDF-Videotext, 23.10.99]


Noch mehr Mission im Kabel

Der Evangeliums-Rundfunk (ERF) will ab Januar uns nun auch bundesweit durch Fernsehprogramme über den Privatsender NBC-Europe beglücken. Den Sender können etwa 40 Millionen Zuschauer in Deutschland sehen. Es ist auch in Österreich und der Schweiz zu empfangen. Beabsichtigt ist ein Programm, dass dem Glaubensfernen - sofern er denn überhaupt zuschaut - Glaubens- und Lebenshilfe anbietet.

[Quelle: idea, 20.10.99]


"Body Horror"-Spezialist mit Humor
Review zu "Kino - Unsere Zeit: David Cronenberg" (20.10.99, ARTE)

Die Szenerie lässt frösteln. Zwei Männer, zwei Monitore, ein karger, verlassener Kellerraum. Der französische Autor André S. Labarthe trfft hier auf David Cronenberg und hat für seine Annäherung an den kanadischen Filmregisseur ein überraschend puristisches Ambiente gewählt. Keine Inszenierung, keine Dramatisierung bestimmt diese Dokumentation - es ist ein Frage- und Antwortspiel, während im Hintergrund Sequenzen aus Cronenbergs Filmen laufen.

Die sehr langsam kreisende, bisweilen unbewegliche Kamera schafft eine besondere Intimität zu einem Menschen, der in seinen Filmen die Extreme sucht. Cronenberg gilt als Wegbereiter des sogenannten "Body Horrors": Er versinnlicht Körpererfahrungen, Trans--formationen und Mutationen. Doch er inszeniertist kühl und präzise, fast wie ein Experimentator seziert er Körper und Innenleben seiner Figuren.

Der Zuschauer versteht, was Labarthe mit seiner ungewöhnlichen Dokumentation erreichen will, nämlich den "reinen" Cronenberg zeigen und hinter die Oberfläche eines oft missverstandenen - und im Gespräch fast schüchteren - Künstlers zu blicken. Das tiefgründige Gespräch der beiden vermittelte den "organischen" Prozess von Cronenbergs Art zu filmen; es driftete oft ab ins Philosophische, etwa zu existenziellen Fragen und Problemen der gesellschaftlichen Moral.

Enorm spannend ist diese Entdeckungsreise in den Kosmos von David Cronenberg geworden - und offenbarte nebenbei eine unbekannte humorige Facette des Regisseurs: "Warum", meinte er, "gibt es eigentlich keine Schönheitswettbewerbe für innere Organe wie Nieren oder Leber?" Der Körper - für Cronenberg ein ewiges Faszinosum.

[Zit. aus: DIE WELT online, 22.10.99]


Konkurrenz der religiösen Sender

Die Kirchen wetteifern medial um die Kunden in Paris. Jeder will der erste mit seiner frohen Botschaft sein. Der Weihbischof von Paris, Jean-Michel di Falco, hat angekündigt, dass der neue katholische Fernsehsender "K.T.O." bereits ab November sein Programm im Kabelnetz der Hauptstadt ausstrahlen wird. Durch
den frühzeitigen Sendestart will man Projekten US-amerikanischer Fernsehevangelisten zuvorkommen.

[Quelle: Radio Vatikan, 28.09.-02.10.99]


Tödliche Gefühle
Review zu "Mord in der Schule" (7.10.99, ARD)

Ein Kind wird zum Killer. Ein bis dahin unauffälliger 14-Jähriger stiehlt die Waffe seines Stiefvaters und schießt damit auf Menschen. Warum? Jedesmal, wenn Kinder töten, sucht man nach Erklärungen. Die Ursache wird in der Gewalt in den Medien gesucht, in den Waffengesetzen der USA. Mit der Kritik soll auch das Entsetzen gebannt werden über eine letztlich unbegreifliche Tat.

Christel Priemer hat in ihrer Dokumentation über den Mörder Kristofer Hans sich an der Suche nach Erklärungen beteiligt. Zum Schluss bleibt das Unverständnis, das trotz Spurensuche bleibt, das aber nicht ausgeblendet wird, sondern im Film akzeptiert wird. Vorgestellt wird ein freundlicher, intelligenter Mann von 27 Jahren, der vor 13 Jahren eine Lehrerin erschossen, einen Lehrer und mehrere Schüler verletzt hat und dafür zu 230 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Man kann sich kaum vorstellen, dass Mörder und Gefängnisinsasse ein und dieselbe Person sind.

Die Gespräche mit Familie und Freunde geben Aufschluss, erklären aber nicht alles. Hat die Mutter die zunehmende Wut des Sohnes, die durch Selbstverwundungen sichtbar wurde, wirklich nicht bemerkt? Hat der Vater, ein Schulpsychologe, den Sohn durch „inquisitorische“ Familienkonferenzen verstört? Im Film kommt er nicht zu Wort. Am aufschlussreichsten ist letztendlich die Aussage des Täters, Gefühle seien für ihn bis heute eine Katastrophe: „Als sie einmal herauskamen, war das Resultat der Tod eines Menschen.“

Die Fragen zwischen den Aussagen der Angehörigen und Freunde muss sich der Zuschauer selber beantworten. Hilfreich sind dabei auch ein paar Bilder des ländlichen Montana: Filme von David Lynch zeigten uns, was in diesen Gegenden unter der spießbürgerlich-idyllischen Oberfläche brodeln kann.

[Quelle: SZonNet,  09.10.99]


2.500 Jahre Infamie
Review zu "Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz" (06.10.99, 3 SAT)

Damals, als die Welt noch in Ordnung war und der Fernseher nach der "Sesamstraße" noch ungefähr fünf Minuten weiterlief, bevor das Zuschauen langweilig wurde, begann da nicht jede Lektion des "Telekollegs" irgendwie mit den Worten Die Ägäis; im Südwesten liegt die Insel Kos. Hier wurde im Jahre 460 v. Chr. Hippokrates, der Urvater der Medizin, geboren. Er lehrte im Asklepieion, dem Heiligtum des Gottes der Heilkunst, und beschäftigte sich mit zahlreichen Fragen der Medizin, darunter auch mit der Psyche des Menschen. Seine großen Erfolge erweckten Missgunst; Hippokrates wurde zweimal zu Unrecht angeklagt: er hätte Schriften verbrannt, um seinen Namen größer erscheinen zu lassen. Bis heute hat sich daran nichts geändert; das Böse begleitet den Menschen. Nur ein neuer Begriff für alte Verhaltensweisen bezeichnet die moderne Kriegsführung in der Arbeitswelt ...? Und untermalten damals nicht griechische Folkloreklänge, eine Hippokrates-Büste bzw. ein modernes Bürohochhaus das ausgewachsene Wiesoweshalbwarum?

Nein, derart bebildert und vertont begann eine total österreichische Doku, bloß weil der (O-Ton: "heuer verstorbene") Arbeitspsychologe und Wortdesigner Heinz Leymann, kurz nachdem die Welt noch in Ordnung war, das "Mobbing" erfand. Mobbing-Opfer Nr. 1, Hippokrates, kam heuer nicht zu Wort, dafür aber "Magister K. aus Orth a.d. Donau" und eine Menge österreichischer Experten wie die Stellvertretende Vorsitzende der GÖD Christine Gubitzer, Sozialministerin Hostasch, Dr. Karazman, Dr. Niedl, Prof. Roland Girtler u.v.a.m.; und wo immer das (ja, ja, auch volkswirtschaftlich bedenkliche) "Phänomen" partout nicht anschaulich wurde, mussten kläglich nachgestellte Szenen herhalten.

Außerdem gab's eine Menge Infos, wieso und weshalb gemobbt werde - und warum Gemobbte wie Holocaust-Opfer sind. Man muss schon verdammt betroffen sein, um länger als fünf Minuten zugeschaut zu haben.

[Zit. aus taz, 8.10.99]


Psychoterror am Arbeitsplatz
Review zu "Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz" (06.10.99, 3 SAT)

Mobbing, subtilste Demütigungen von Kollegen sind immer häufiger (ca. 10%) Ursache von Selbstmorden. Missgunst oder Angst um den eigenen Arbeitsplatz sind Gründe für dieses Verhalten. Der materielle Schaden der Volkswirtschaft beträgt allein in Deutschland an die 100 Milliarden Mark. Grund genug für die Unternehmen, die Dokumentation erläuterte dies am Beispiel von VW in Wolfsburg, Konzepte zu erarbeiten, wie die Diskriminierung am Arbeitsplatz eingedämmt werden soll. Zum Beispiel durch Vereinbarungen, an die sich vom Meister bis zum Manager alle halten müssen.

Die Mobbing-Opfer stehen vor Gericht allerdings in Beweisnot. Inhaltslose Aufgaben, schlechte Führung, ungelöste Konflikte, Unterminierung von Ruf und Leistung: Wie soll das der Betroffene juristisch nachweisen? Die Dokumentation zeigte anhand von Beispielen und Interviews von Geschädigten eindrucksvoll und symptomatisch die Problematik auf. Fazit: Eine besorgniserregende Dokumentation.

[Quelle: Die Welt online, 07.10.99]


Geschichtsverfälschung im Kinderkanal
Review zu "Verbotene Geschichten", 13-teilige Serie, Kinderkanal

"Sie glauben an einen König, der über dem Cesaren, dem Kaiser Nero, steht. Nachdem der die Stadt Rom in Brand gesetzt hat, schiebt er die Schuld auf die Christen und startet eine Kampagne, um sie auszulöschen. Familien werden getrennt, viele Kinder heimatlos zurückgelassen. Tausende in die Sklaverei verkauft oder den Löwen vorgeworfen."

So hieß es in den letzten 13 Wochen Sonntag für Sonntag im Kinderkanal. Es war Teil des Vorspanns der irischen Serie "Verbotene Geschichten". Die Verfolgung durch Nero dient hier als Hintergrund, in den einzelnen Folgen werden dann durch Nero verwaiste Kinder - aufgenommen in einer christlichen Untergrundorganisation - Geschichten von Jesus erzählt.

Schon allein der Titel "Verbotene Geschichten" ist eine Irreführung. Unter Nero war das Christentum keine verbotene Religion. Jeder konnte seine Religion ausüben und natürlich auch Jesusgeschichten erzählen, wenn er den unbedingt wollte. Aber in der Serie wird Nero als Christenhasser dargestellt. Die den Vorspann begleitenden Bilder sprechen für sich. Da wird ein wahnsinnig dreinschauender, voller Hass schreiender Kaiser gemalt. Auch seine Soldaten werden voller Hass und unbarmherzig gezeigt.

Nein, Nero hat Rom nicht in Brand gesetzt. Das behauptet heute kein seriöser Historiker mehr. Nur einige Lexika und die Medien tragen diese Mär weiter. Rom ist wahrscheinlich durch Zufall abgebrannt. Brände gab es auch vorher schon, auch in anderen Städten. Aber es gab Christen, die sich - womöglich im Märtyrerwahn oder weil sie das Ende der Welt erhofften - selbst des Brandstiftens bezichtigten. Nero blieb gar nichts anderes übrig, als diese wegen Brandstiftung - und nicht wegen ihres Glaubens - vor Gericht zu stellen.

Aber wollte Nero die Christen wirklich "auslöschen"? Hat er wirklich "Tausende" in die Sklaverei geschickt oder den Löwen vorgeworfen?

Die tatsächlichen Zahlen zeigen ein anderes Bild: Von den 3000 Mitgliedern der Christengemeinde wurden überhaupt nur 200-300 angeklagt. Es wurden auch nicht alle Angeklagten zum Tode verurteilt. Es gab auch Freisprüche und geringe Strafen. Die Art der Todesstrafe richtete sich nach den damals üblichen Gesetzen: Tod durch Verbrennen, den Hunden zum Fraß vorwerfen bzw. Kreuzigung für Sklaven und Nicht-Römer.

Von versuchter "Auslöschung" kann also wohl keine Rede sein. Auch ist den Historikern heute längst klar, dass die Katakomben den Christen nicht als Versteck dienten, wie in der Serie immer wieder dargestellt. Aber im Kinderkanal wird zur besten Sonntagmorgen-Sendezeit den Kids Blödsinn erzählt. Ein Sendetermin, der offensichtlich dem Kirchenfunk vorbehalten ist. Jetzt geht es auf gleichem Sendeplatz weiter mit einer wöchentlichen Talkshow "QuasselCaspers": Erstes Thema u.a.: Gibt es Gott?

Mehr über Nero und die angebliche "Christenverfolgung" finden Sie in unserer Rubrik "GESCHICHTE" unter "Texte". (H.J.)


"Kulturzeit" als beste Infosendung ausgezeichnet

Vergangenes Jahr haben die vier großen Fernsehanstalten ARD, ZDF, RTL und SAT 1 einen gemeinsamen "Deutschen Fernsehpreis" ins Leben gerufen. Als beste Informationssendung siegte dieses Jahr "Kulturzeit" von 3Sat, eine wirklich sehr gute Wahl. Die Sendung läuft von Montag bis Freitag täglich um 19.20 Uhr. Moderiert wird "Kulturzeit" von Catherine Ann Berger aus der Schweiz, Gert Scobel aus Deutschland und Ernst A. Grandits aus Österreich.

"Unsere Quoten wären sicherlich bei anderen Sendern ein Entlassungsgrund", sagte Gert Scobel bei der Preisverleihung in Köln. "Das macht aber nichts. ... Wir glauben, dass Kultur im Fernsehen eine Chance hat, solange es Leute gibt, die Sat1 mit 3sat verwechseln".

Kulturzeit wurde am 2. Oktober 1995 zum ersten Mal ausgestrahlt. In vier Jahren hat es die Sendung geschafft, zum dem Forum der Kulturschaffenden im deutschen Sprachraum zu werden. Die Sendung enthält immer wiederkehrende Formate wie Tipps und News. Fast täglich führen die Moderatoren interessante Interviews zu aktuellen, auch brisanten Themen. Regelmäßig werden Schwerpunkte gesetzt und bestimmte Themen über mehrere Sendetage oder auch -wochen verfolgt.

Kulturzeit mischt sich auch ein in grundsätzliche gesellschaftliche, kulturelle und kulturpolitische Fragen. So recherchierten die Redakteure im Frühjahr über die Nazi-Vergangenheit des Medienkonzerns Bertelsmann, der sich gerade als Widerstandsverlag präsentierte. Die Recherche wurde allerdings auf Bitten des Verlages an die Intendanten eingestellt. Der Humanist berichtete darüber.

[Quelle: ARD/ZDF-Videotext, 06.09.99; www.3sat.de, 06.09.99]


Mit viel Gefühl und selbstbewusst
Review zu "Pünktchen - Tagebuch einer Abtreibung" (28.09.99, Phoenix)

Die Dokumentation von der Filmemacherin Barbara Teufel lässt Frauen, die ein- oder mehrmals abgetrieben haben, selber erzählen. Außerdem kommen deren Partner zu Wort. Zwischen diesen Interviewausschnitten erzählt Barbara Teufel ihre eigene Geschichte von ihrer dritten Abtreibung - von anfänglicher Überzeugung, das einzig Richtige zu tun, über zwischenzeitliche Zweifel, ob sie jetzt nicht doch ein Kind will, bis hin zur letztendlich doch mit sicherem Gefühl durchgeführten Abtreibung.

Die acht Frauen und fünf Männer, die zu Wort kommen - ältere und sehr junge -, reden mit großer Selbstverständlichkeit über ihre Erfahrungen und ihre Gründe. Selbstbewusst stehen sie zu ihrer Entscheidung. Keine Spur von schwerer psychischer Belastung der Frauen.

Die älteren Frauen und Männer erzählen von der heimlichen illegalen Abtreibung in den frühen 60er Jahren mit der Schwierigkeit, einen Arzt dafür zu finden, über die von Frauenzentren organisierten Hollandfahrten in den 70er Jahren. Eine Frau berichtete von ihrer Einstellung, dass die Natur sehr verschwenderisch und im Überfluss mit der Frucht umgeht, es darum also kein Drama sei, ungewollte Schwangerschaften zu beenden. Als sie kurz nach der Abtreibung wieder schwanger wurde, hat sie das Kind ausgetragen. Jetzt wollte sie ein Kind, eine Entscheidung über den richtigen Zeitpunkt, die jede Frau mit solcher Selbstverständlichkeit treffen sollte.

Ein Schwangerschaftsabbruch ist medizinisch gesehen nur ein ganz kleiner Eingriff. Die meisten Frauen berichteten von Erleichterung nach dem Eingriff. „Das Post-Abtreibungs-Trauma ist ein Mythos“ (Titel vom „Journal der Amerikanischen Medizinischen Gesellschaft“).

Das bestätigte auch ein Artikel der WOCHE vom 27. Mai 1993. Daraus ein Auszug:

Der Überblick über einschlägige Studien zeigt: Eine legale Abtreibung, die unter sicheren medizinischen Bedingungen durchgeführt wird, verursacht in der Regel keine ernsten und anhaltenden psychischen Probleme. Schwere psychische Erkrankungen treten sogar fünfmal häufiger nach einer Geburt (1,7 Fälle von 1000) auf als nach einer Abtreibung (0,3 Fälle von 1000), das erbrachte eine großangelegte Studie in England.

Und eine Studie in den USA von 1992, bei der 5000 Frauen befragt wurden, kommt zu dem Ergebnis: Die Abtreibung allein hatte bei keiner Frau Einfluß auf ihr Wohlbefinden. Nur wenn mehrere negative Umstände zusammenkommen, ist eine Frau noch Jahre später durch die Abtreibung psychologisch belastet.

Generell kann man sagen: Je stärker der Druck von außen, desto schwerer verarbeitet die Frau den Abbruch. In amerikanischen Studien zeigte sich: Wo Abtreibung strafbar oder „Sünde“ ist, erhöht sich der Psycho-Streß für Frauen. ... Und wer Schwangeren ständig Hochglanz-Fotos von verstümmelten Föten vorhält, muß sich über Alpträume nicht wundern.

Deutlich wird der Zusammenhang zwischen Kriminalisierung und Psycho-Streß auch durch eine kanadische Studie. Dort wurden Frauen vor und nach der Legalisierung von Abtreibungen befragt. Nach der Legalisierung 1977 waren die psychischen Probleme deutlich gesunken. Fazit der Studie: Je mehr die Bevölkerung Abtreibung akzeptiert, desto leichter verarbeiten die Frauen den Eingriff. [Quelle: Die Woche, 27.05.93]

Insgesamt kann man den Film von Barbara Teufel aufklärerisch nennen. Sie dokumentiert nicht nur den genauen Ablauf und die Vorschriften für eine Abtreibung, sondern zeigt auch sachlich die Gefühle der Frauen und ihrer Partner. Die Moralkeule blieb im Schrank.   (H.J.)


Kinder brauchen Gott? In der BILD wird religiöse Kindererziehung für Kirchenferne erklärt

Auch in Familien, die nichts mit der Kirche im Sinn haben, stellen Kinder irgendwann die Frage nach Leben und Tod, wollen wissen, woher wir kommen und wohin wir gehen. Viele Eltern fragen sich: Wie soll ich mit meinem Kind über Gott reden? Bild sprach mit dem Hamburger Kinder-Psychologen Prof. Dr. Stefan Schmidtchen.

Er sagt: "Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig, daß Eltern sich die Mühe machen, ihren Nachwuchs mit dem christlichen Glauben vertraut zu machen. Je früher desto besser. Es ist sehr gut, wenn die Kinder lernen, daß es neben der Wissenschaft noch eine schöpferische Kraft gibt, die über dem Menschen steht. Wenn Kinder nichts darüber erfahren, sehen sie die Welt zu einseitig."

Ab wann kann ein Kind diese Zusammenhänge begreifen?

"Wenn es normal entwickelt ist und die Sprache versteht, kann man beginnen, einer/m Dreijährigen kleine Geschichten zu erzählen und abends vor dem Schlafengehen mit dem Kind gemeinsam zu beten. Zum Beispiel: Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein. Man kann mit dem Kind auch bei Tisch beten. Aber immer eingebettet in kleine Geschichten oder Erklärungen."

In was für Geschichten?

"Man kann den kleinen Menschen vor oder nach dem Gebet erzählen, daß der liebe Gott uns beschützt und uns den Weg weist. ER schickt uns seine Schutzengel, die über uns wachen. So verlieren Kinder auch die Angst, daß etwas Schlimmes passieren kann."

Aber es passiert doch so viel Schlimmes. Was soll man sagen, wenn das Kind zum Beispiel fragt: warum ist denn Tanjas Mama gestorben?

"Da sollte man das Kind auf den Schoß nehmen und liebevoll erklären, daß es leider auch Dinge im Leben gibt, die wir Menschen nicht begreifen können. Gottes Handeln ist nicht immer sofort für uns zu verstehen. Der liebe Gott bestimmt, wann und wo wir auf die Welt kommen, zu welchen Eltern. Er behütet unser Leben, schaut auf uns, bestimmt auch, wie lange wir leben. Manchmal läßt er uns auch unbeaufsichtigt. Da müssen wir selbst auf uns aufpassen. Und wenn wir das nicht tun, kann schon mal was passieren. Trotzdem können wir ihm vertrauen."

Wie können wir dem kleinen Kind Gott erklären?

"Indem wir Geschichten von Menschen und Tieren erzählen, wo Gott geholfen hat. Wenn er beispielsweise die Omi wieder gesund gemacht hat. Und Papa und Mama immer wieder gesund nach Hause gekommen sind."

Wenn die Eltern selbst nicht an Gott glauben?

"Das erschwert die Sache sehr! Kinder spüren genau, ob die Eltern überzeugt von etwas sind oder nicht. Das Vorbild und die innere Überzeugung sind wichtig! Sonst soll man es lieber lassen und warten, ob das Kind durch Kindergarten oder Religionsunterricht später herangeführt wird. Sie sollten nur einen Fehler nicht machen: Niemals behaupten (auch wenn Sie es denken): 'Es gibt keinen Gott'. Damit zerstören Sie das Wichtigste im Menschen: Glaube, Liebe, Hoffnung. Das sind Stützpfeiler unseres Lebens. Was ist ein Leben ohne Liebe und ohne Hoffnung. Nicht umsonst sind viele Kinder seelisch kaputt, flüchten sich in Drogen, werden zu 'Null-Bock-Kids'. Seelischer Halt durch Gott gibt jedem Menschen zusätzliche Kraft, die ihn vor vielem Bösen bewahrt."

Soll man mit kleinen Kindern in die Kirche gehen?

"Unbedingt! Es gibt ja den Kindergottesdienst. Vorher kann man schon mit ihnen auf dem Arm Kirchen besichtigen und erklären."

Soll man Kindern drohen mit Gottes Gericht: Wer gut ist, kommt in den Himmel, wer Ungutes tut, kommt in die Hölle?

"Auf gar keinem Fall! Das macht Kinder ängstlich und unsicher. Wir wollen doch das Gegenteil erreichen. Wenn die Kleinen mal etwas 'Unrechtes' getan haben, kann man es ins Gebet einschließen. Oder dieses Gebet beten:  Müde bin ich, geh` zur Ruh` schließe beide Äuglein zu. Vater, laß die Augen Dein über meinem Bette sein. Hab ich Unrecht heut` getan, sieh es lieber Gott nicht an. Eine Gnad` und Jesu Blut macht ja allen Schaden gut. Wenn Sie die richtigen Weichen stellen, kann sich ihr Kind am besten zu einem ehrlichen, selbstbewußten, positiven Menschen entwickeln."

[Zit. aus: Bild, Ausgabe: Nürnberg vom 18.05.1998]

Auf der Web-Site der Katholischen Kirche www.kath.de findet sich zur Bild-Zeitung übrigens folgender Satz:  "Die Bildzeitung behandelt, seitdem sie sich vom Boulevardblatt zu einem beratenden Lebensbegleiter entwickelt hat, häufiger religiöse Themen." Die Bild-Zeitung ein beratender Lebensbegleiter? (H.J.)


Kirche redet "Tacheles"

Bald gibt es noch eine Talkshow. Nein, diesmal kein Schmuddel-Talk: die erste bundesweite   Kirchen-Talkshow  hat am 20. Oktober Premiere. Der öffentlich-rechtliche Sender Phoenix bietet die Diskussionsreihe "Tacheles" an. Zu den 90-minütigen Streitgesprächen lädt sich die Kirche Prominente  aus   den eigenen Reihen, aber auch aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur eingeladen.

Man wolle in der Sache scharf und kontrovers diskutieren, dabei aber "verbale Tiefschläge" vermeinden, hieß es vom Veranstalter. Die EKD und die Hanns-Lillje-Stiftung stecken in die vorerst geplanten sechs Sendungen 200.000 DM. In der ersten Sendung werden der  Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Kock, der ehemalige  Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) und der Chef des Berliner Kulturkaufhauses, Peter Dussmann, über das  Thema   "Arbeit rund um die Uhr - den Sonntag abschaffen?" diskutieren. In den folgenden Sendungen soll es um Gentechnik sowie Ehe und Ehescheidung gehen.

[Quelle: Evangelische Zeitung, 24.10.99]


"Goldene Regel" vermisst
Review zu "Sabine Christiansen - Sind wir eine Gesellschaft ohne Moral" (29.8.99, ARD)

Bei der Diskussion über Moral habe ich sehr den Hinweis auf die „Goldene Regel“ vermisst, die von Konfuzius stammt und eine Grundlage der heutigen Menschenrechte darstellt:„Was du nicht willst, das man dir antut, das füg’ auch keinem andern zu.“

Die von Brandenburgs Sozialministerin Hildebrandt empfohlene humanistische Werteorientierung stieß seltsamerweise auf krassen Widerspruch von Bischof Dyba und Altbundesfinanzminister Waigel, welche das christliche Wertesystem als einzige Orientierung durchsetzen wollen. Zu Recht empfand dies Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin als heuchlerisch. Ich meine, das Christentum hat sich vor allem dadurch hervor getan, dass es auf unzählige eigene Bvorzugungen besteht, was zugleich mit Abwertung anderer Anschauungen und Fremdenfeindlichkeit einher geht und schon zur millionenfachen Ermordung Andersgläubiger geführt hat. [Reinhard Moysich, 26.09.99]


Mehr Verzweiflung als Nazi-Ideologie
Review zu "Der Skin und der Türke" (26.09.99, 3 SAT)

Der fünfzehnjährige Albert wird auf einem Fest von Skinheads angegriffen. Sebastian, einer der Skins, tritt auf den Liegenden mit Springerstiefeln ein. Würden nicht andere eingreifen, er schlüge den Jungen vermutlich tot, einfach so. Monate später sitzt Sebastian mit Alberts Familie zusammen und sagt: „Des war ned so arg gut.“

Das Opfer-Gespräch gehört zu dem verordneten Anti-Gewalt-Training, dem sich der 19-jährige Rechtsradikale unterzieht. Auch Erkan, ein gleichaltriger Türke, nimmt daran teil, selbst Opfer von Sebastian, aber auch er ein übler Schläger aus der türkisch-kurdischen Drogenszene. Als Trainer agiert ein Stadtjugendpfleger, der aggressive Jugendliche von der Gewaltkarriere abbringen will. Er therapiert nicht, sondern trainiert. Er konfrontiert Sebastian und Erkan mit ihren Taten und verlangt Selbstverantwortlichkeit. Ausreden gibt es nicht. Sebastian erzählt vom prügelndem Vater, rechtfertigt sich nur schwach damit: „Ich bin vielleicht weniger angenehm erzogen worden als andere.“

Der Dokumentarist Peter Schran hat die Beiden lange Zeit begleitet und den schwierigen Verlauf des Projektes dokumentiert. Sein Film beeindruckt durch Nähe. Die Kamera gerät so immer wieder in unvorhersehbare Situationen. Das läuft eben nicht wie in einem TV-Movie; das Ende ist offen. Erkan kann sich aus seiner Familie lösen, aber ist sein Frieden von Dauer?

Sebastian hat das Projekt aufgegeben und wieder zuhause beim Vater. Der hat, vor der Kamera befragt, natürlich nie geschlagen – und er hat Augen wie sein Sohn. Neben der authentischen Beschreibung der Lebens- und Denkwelten der beiden jungen Männer prägt sich nachdrücklich der tieftraurige, oft ins Leere rutschende Blick des Sebastian ein. Der will nicht zur körperlichen Gewalt passen, schon gar nicht zum rechtsradikalen Schläger, der offenbar mehr Verzweiflung im Kopf hat als Nazi-Ideologie. Man kann fast zusehen, wie einer versucht, nicht unterzugehen und herauszufinden aus seiner Traurigkeit.

[Quelle: SZonNet, 25.09.99]


Zum Entzug nach Nicaragua
Review zu "Bismuna" (24.09.99, ARTE)

Wer essen will, muss arbeiten. So einfach ist das in Bismuna, einem winzigen Ort in Nicaragua. Und doch so schwierig: Die Jugendlichen dort begreifen körperliche Arbeit als „Psychoterror“, Bismuna ist ihnen ein verhasstes Straflager. In der Dokumentation ging es aber nicht um Indios, sondern um Dieter Dubberts Schützlinge. Der bayerische Pädagoge betreut drogenabhängige Minderjährige aus Deutschland mittels Schocktherapie: „Die wissen hinterher, was Selbstüberwindung ist.“

Bismuna sei ein idealer Ort, meint Dubbert. Seine Jungs können nichts klauen, weil es nichts zu klauen gibt. Sie können nicht abhauen, weil die nächste Stadt weit entfernt ist. Damit ist ein großer Problemkreis bereits durchbrochen: die Kriminalität. Feuerholz hacken, Fische fangen, ein Haus bauen: Alles müssen die Patienten selber machen. Das zehrt an ihren von den Drogen ausgemergelten Körpern, kräftigt sie aber auch. Ein jeder der Jungs habe anfangs gedroht, ihn tot zu schlagen, erzählt Dubbert lachend. Und allen wurde er Respektsperson und Kumpel in einem. Dubbert geht keinem Konflikt aus dem Weg. Gelassen und hartnäckig setzt er seinen Willen durch, bestraft Rückfällige mit Fußmärschen und Arbeitsauflagen. Meistens erreicht er sein Ziel. Die Jugendlichen nehmen ihr Leben selbst in die Hand.

Brachial mutet Dubberts Methode an. Doch sie funktioniert. Uli Kick, der das Projekt dokumentiert hat und für diesen Film ausgezeichnet wurde, enthält sich eines Kommentars. Zu Wort kommen nur der Pädagoge und seine Jugendlichen. Kick hört ihnen zu, überlässt es den Zuschauern, sich ihre Meinung zu bilden. Auch das unterscheidet einen guten Film wie diesen von einem Zeigefinger-Film.

[Quelle:  SZonNet, 24.09.99]


Klans verdummen in eigenen Schulen
Review zu "Die Klan-Frauen" (22.09.99, ARTE)

Selten habe ich nach einer Dokumentation über die Dummheit der Menschen so den Kopf geschüttelt. Der Film berichtete über Klans in Amerika, die sich als Nachfolger des Klu-Klux-Klan sehen. Die Klan-Mitglieder, die Rassenwahn mit Christentum vermengen und für die Reinerhaltung der Rassen eintreten, bleiben in ihrer Freizeit innerhalb des Klans, schicken ihre Kinder ausschließlich auf Klan-eigene Schulen. Somit wird die mangelnde Bildung einschließlich aller Psychosen von Generation zu Generation weitergegeben.

Ein Priester eines Klans erklärte dem Fernsehteam sein ganz eigenes Geschichtsverständnis: Früher, als es nur Weiße in Amerika gab, herrschten paradiesische Zustände. Alle hielten sich an das Gesetz. Aber dann kamen die reichen Juden und holten aus Südafrika die Sklaven her. Und damit wurde alles schlechter.

Ein anderes Klan-Mitglied, gleichzeitig Geistlicher, meinte, dass Gott natürlich auch die anderen Rassen geschaffen hat, nur die weiße Rasse sei auserwählt. Als der neugierige Reporter wissen wollte, ob Gott die anderen Rassen denn nach Adam und Eva geschaffen habe, stutzte der Mann kurz, meinte dann aber selbstsicher: Nein, vorher, vorher hat er sie geschaffen. - Eine ganz neue Bibelauslegung: Es gab Menschen vor den ersten Menschen.

Ganz schlimm wurde es, als eine junge Frau den Reportern bewies, was sie im Aufklärungsunterricht an den Klanschulen gelernt hat: Wenn eine Weiße mit einem Schwarzen schläft und ein schwarzes Baby bekommt, später mit einem Weißen schläft, kann sie von dem auch ein schwarzes Baby bekommen.
Das Fernsehteam erstaunt: "Sie meinen, ihr Blut sei von dem Schwarzen sozusagen verseucht?"
Junge Frau: "Ja, das Blut kann verseucht sein."
Fernsehteam: "Und Sie meinen, dass ist wissenschaftlich bewiesen?"
Junge Frau: "Ja, das ist wissenschaftlich."

Erschreckend war eine weitere Szene, in der gezeigt wurde, wie Erziehung in den sektenähnlichen Klans funktioniert. Anwesend war eine junge Frau mit verhüllender Klan-Kapuze, ihr Mann, ihr ca. 2-jähriger Sohn und der Prediger. Der Prediger lobte die Frauen, die sehr zuverlässig seien, auch an der Waffe. Er würde immer sagen, wenn ihr auf einen Nigger schießt, macht ihn nicht bewegungsunfähig, sondern tötet ihn.
Während des Gesprächs öffnet er immer wieder sein Gewehr und lässt die Patrone herausfallen. Der kleine Junge hebt sie mehrmals auf und schiebt sie immer wieder in den Lauf. Bis er weiß, wie man ein Gewehr lädt. Dann erklärt der Prediger dem Jungen, wofür das Gewehr da ist: Damit schießt dein Papa die Nigger tot.
Und damit das Kind diese Lektion auch gut lernt, fragt der Klan-Chef nach ein paar Minuten noch mal nach: Was macht dein Papa mit dem Gewehr? Der Kleine überlegt, der geistliche Erzieher legt ihm das Wort in den Mund und flüstert ihm vor: Damit tötet dein Papa die Nigger.

Nach diesem Film kann man sich nur noch fragen, wie es möglich ist, dass in Amerika Psychopathen eigene Schulen führen dürfen. Die nächsten Amokläufer werden schon heranerzogen. (H.J.)


Verkartetes Spiel
Review zu "Gesucht wird ... Biedermanns Reich" (23.9.99, ARD)

Eigentlich müsste Andrej Burzawa längst "verkartet" sein. So nennt man beim Internationalen Suchdienst (ITS) im hessischen Arolsen jenen Vorgang, mit dem Antragsteller zu einem offiziell erfassten Fall werden, der bearbeitet werden kann. Aber Andrej Burzawa ist noch immer nicht verkartet. Obwohl der ehemalige Zwangsarbeiter und Häfling im KZ Dachau bereits 1994 beim ITS um die Zusendung der Unterlagen über sein erlittenes Unrecht nachgesucht hat.

Diese Unterlagen sind dank der akribischen Nazi-Bürokratie in Arolsen durchaus vorhanden. So wie 46 Millionen andere Dokumente über NS-Verbrechen, die den Opfern für Entschädigungen und Rentenansprüche eigentlich zur Verfügung stehen sollen. Aber Wartezeiten von über vier Jahren sind beim IST offenbar nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Zumindest stießen die WDR-Autoren Wilfried Huismann und Monika von Behr auf einige Fälle, in denen Betroffene seit Jahren auf Post aus Arolsen warten. Charles Biedermann, Leiter der vom Internationalen Roten Kreuz geführten und vom Bund finanzierten Behörde, verweist entschuldigend auf die Antragslawine aus Polen und Russland und die Überlastung seiner 400 Angestellten. Der polnische Sejm-Abgeordnete Miroslaw Podsiadlo sowie ehemalige Mitarbeiter des ITS werfen Biedermann hingegen vorsätzliche Verschleppung vor. Ein Spiel auf Zeit, bei dem man nur warten muss, bis aus Karteileichen echte Leichen werden.

Ein schwerwiegender Vorwurf, den die Autoren natürlich nicht beweisen können. Gleichwohl gelingt es ihnen, eine ganze Reihe Merkwürdigkeiten aufzudecken und für nervöse Betriebsamkeit in der Behörde zu sorgen. Denn der "Fall Burzawa" ist hier schlicht unauffindbar, steckt noch nicht einmal im "Stau" der beim ITS grob vorsortierten Anträge. Und die polnische Post, auf deren Schludrigkeit man in Arolsen gern verweist, kann diesmal auch nicht schuld sein. Denn Burzawa besitzt eine Bestätigung der Behörde für den Eingang seines Schreibens.

[Quelle: taz Nr. 5946 vom 23.9.1999]

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