Wissenschaft: Philosophie - Epikur

Kurzbiographie

Epikur wurde um 342 v. Chr auf der Insel Samos geboren. Als Schüler lernte er die Lehren von Demokrit und Aristoteles kennen. 310 v.Chr begann Epikur in Mytelene auf Lesbos zu lehren, danach verschlug es ihn nach Lampsakos am Heelespont. 306 v.Chr ließ er sich schließlich in Athen nieder, wo er ein Haus erwarb und seine "Schule des Gartens" gründete. Er lebte bescheiden und philosophierte im engen Freundeskreis. Von seinen Schülern wurde Epikur wegen seiner Güte und Weisheit wie ein Gott verehrt. Er starb nach langem schmerzvollem Leiden um 271 v.Chr in Athen.

Werke:

Spruchsammlung

Katechismus

Brief an Herodotos

Brief an Phythokles

Brief an Menoikeus

 

SPRUCHSAMMLUNG

Es fehlen die Abschnitte die mit dem Katechismus übereinstimmen.

Nr. 10,30,31,47 und 51 stammen von Epikurs Schüler Metrodoros.

4. Jeder Schmerz ist leicht zu verachten. Bringt er intensives Leiden, so ist die Zeit kurz bemessen, hält er sich lange im Fleische auf, dann ist er matt.

7. Schwierig ist es, verborgen zu bleiben, wenn man Unrecht tut; sicher zu sein, daß man verborgen bleiben werde,ist unmöglich.

9. Ein Übel ist der Zwang, aber es besteht kein Zwang, unter Zwang zu leben.

10. Denk daran, daß du, von sterblicher Natur und über begrenzte Zeit verfügend, durch die Erforschung der Natur die Unbegrenztheit und die Ewigkeit erklommen hast und zu überblicken vermochtest «Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges»..

11. Bei den meisten Menschen ist die Ruhe nichts als Erstarrung und die Bewegung nichts als Raserei.

14. Wir sind ein einziges Mal geboren. Zweimal geboren zu werden ist nicht möglich. Die ganze Ewigkeit hindurch werden wir nicht mehr sein. Du aber bist nicht Herr des morgigen Tages und verschiebst immerzu das Erfreuende. Das Leben geht mit Aufschieben dahin, und jeder von uns stirbt, ohne Muße gefunden zu haben.

15. So wie wir unsere eigene Art hochschätzen, mag sie tüchtig sein und von den Menschen bewundert oder nicht, so muß man auch die Art der Nächsten schätzen, wenn sie anständig sind.

16. Keiner sieht ein Übel und wählt es, sondern man läßt sich täuschen, weil man es im Vergleich mit einem anderen noch größeren Übel für ein Gut hält, und wird eingefangen.

17. Nicht der Jüngling ist selig zu preisen, sondern der Greis, der gut gelebt hat. Denn wer jung an Jahren ist, wird vielfach vom Zufall hin und her getrieben und wechselt seine Gedanken. Der Greis aber ist ins Alter eingefahren wie in einen Hafen und hält die Güter, auf die er früher nicht zu hoffen wagte, in heiterem Gedenken sicher verschlossen.

18. Die Liebesleidenschaft löst sich auf, wenn der Anblick, das Miteinander-Sprechen und das Zusammensein aufhören.

19. Wer sich nicht an das Gute erinnert, das ihm geworden ist, ist heute schon ein Greis geworden.

21. Man soll der Natur nicht Gewalt antun, sondern sie überreden. Wir werden die notwendigen Begierden überreden, indem wir sie erfüllen, die bloß natürlichen, indem wir sie gewähren lassen, vorausgesetzt daß sie nichts schaden, die schädlichen aber, indem wir sie scharf anfahren.

23. Jede Freundschaft ist um ihrer selbst willen zu wählen. Ihr Ursprung freilich besteht im Nutzen.

24. Die Träume haben keine göttliche Natur und keine zukunftverkündende Kraft, sondern sie entstehen gemäß dem Einfallen der Bilder.

25. Die Armut, die ihr Maß hat am Endziel der Natur, ist ein großer Reichtum. Der Reichtum, der keine Grenze hat, ist eine große Armut.

26. Man muß beachten, daß eine lange und eine kurze Rede auf dasselhe herauskommen.

27. Bei den anderen Unternehmungen folgt der Lohn im besten Falle dann, wenn sie zu ihrer Vollendung gekommen sind, hei der Philosophie aher läuft die Freude von Anfang an mit der Erkenntnis mit. Denn der Genuß kommt nicht nach dem Lernen, sondern Lernen und Genuß sind gleichzeitig.

28. Man soll sich weder die Voreiligen noch die Umständlichen zu Freunden machen. Man muß allerdings auch etwas wagen um der Freundschaft willen.

29. Wenn ich als Naturforscher offen reden soll, so möchte ich lieber wie ein Orakel allen Menschen das zuträgliche verkündigen, ohne daß auch nur einer es verstünde, als den gangbaren Meinungen zustimmen und dahei das massenhafte Lob der Leute ernten.

30. Einige rüsten sich ihr ganzes Lehen hindurch zum Leben und bemerken nicht, daß uns allen das tödliche Gift der Geburt beigeschüttet worden ist.

3'. Dem anderen gegen über ist es möglich, sich Sicherheit zu verschaffen, aher im Hinblick auf den Tod bewohnen wir Menschen alle eine Stadt ohne Mauern.

32. Die Ehrfurcht vor dem Weisen ist ein großes Gut für den Ehrfürchtigen.

33. Die Stimme des Fleisches spricht Nicht hungern, nicht dürsten, nicht frieren. Wer das besitzt oder darauf hoffen darf, der könnte sogar mit Zeus an Glückseligkeit wetteifern.

34. Wir brauchen die Freunde nicht, um sie zu brauchen, sondern um die Gewißheit zu haben, daß wir sie brauchen dürfen.

35. Man soll nicht das Vorhandene beschmutzen durch die Begierde nach dem Nichtvorhandenen, söndern hedenken, daß auch das Vorhandene zu dem Wünschenswerten gehörte.

36. Wenn man das Lehen Epikurs mit demjenigen der anderen vergleicht, könnte man es um seiner Milde und Selbstgenügsamkeit willen eine Sage nennen.

37. Die Natur ist schwach gegenüber dem Übel, nicht gegenüber dem Guten; denn die Lustempfindungen bewahren die Natur, die Schmerzen lösen sie auf

38. Durchaus gering ist jener, der viele vernünftige Gründe zu haben glaubt, aus dem Leben zu scheiden.

39. Weder wer in allem nur den Nutzen sucht, ist ein Freund, noch der, der üherhaupt nie mit der Freundschaft den Nutzen verknüpft. Denn der eine verkauft sein Wohlwollen gegen Entgelt, der andere schneidet die zuversichtliche Erwartung des Künftigen ab.


40. Wer hehauptet, es geschehe alles nach Notwendigkeit, kann demjenigen keinen Vorwurf machen, der sagt, es geschehe nicht alles nach Notwendigkeit; denn er muß ja erklären, daß auch dies nach Notwendigkeit geschehe.

41. Man muß gleichzeitig lachen und philosophieren und sein Haus verwalten und alles übrige tun, was einem vertraut ist, und niemals aufhören, die Worte der wahren Philosophie hören zu lassen.

42. Das Entstehen des höchsten Gutes und der Genuß daran sind gleichzeitig.

43. Auf ungerechte Weise geldgierig zu sein, ist unfromm, auf gerechte Weise schmählich; denn es ist unpassend, schmutzig zu geizen, selbst wenn es ohne Ungerechtigkeit geschieht.

44. Auch wenn der Weise auf das Notwendige eingeschränkt ist, versteht er eher zu geben als zu nehmen. Einen solchen Schatz der Selbstgenügsamkeit hat er gefunden.

45. Die Naturwissenschaft macht die Menschen nicht zu geschäftigen Prahlern und Schwätzern und nicht zu solchen, die die von der Menge hochgeschätzte Bildung zur Schau stellen, sondern zu Selbstbewußten und Selbstgenügsamen, die nicht auf den Wert der äußeren Dinge, sondern auf ihre eigenen Güter stolz sind.

46. Die schlechten Gewohnheiten wollen wir wie schlechte Menschen, die uns lange Zeit sehr geschadet haben, vollständig vertreiben.

47. Ich habe dich, Zufall, überrumpelt und alle deine heimlichen Schleichwege verrammelt. Wir werden uns weder dir noch irgendeiner andern äußern Situation ausliefern. Sondern wenn uns das Geschick hinausführt, werden wir kräftig auf das Leben spucken und auf jene, die sinnlos an ihm kleben; wir werden aus dem Leben heraustreten mit einem schönen Lobgesang, verkündend, daß wir gut gelebt haben.

48. Man muß versuchen, den nächsten Tag immer besser zu machen als den vorangehenden, solange wir auf dem Wege sind; sind wir aber an die Grenze gekommen, dann in gleichmäßiger Freude zu sein.

51. Ich habe vernommen, daß bei dir die Bewegung des Fleisches nach dem Genusse der Liebe besonders heftig drängt. Wenn du nun den Gesetzen nicht zuwiderhandelst, die gute gegebene Sitte nicht verletzest, keinen von deinen Nächsten hetrübst, das Fleisch nicht aufreibst und das zum Leben Notwendige nicht verbrauchst, dann folge deinem Wunsche, wie du willst. Es ist allerdings undenkbar, daß du nicht an eine der genannten Schwierigkeiten stößt. Denn die Liebesdinge haben noch niemals genützt; man muß zufrieden sein, wenn sie nicht geschadet haben.

52. Die Freundschaft tanzt den Reigen um die Welt und ruft uns allen zu, aufzuwachen zum Preise des glückseligen Lebens.

53. Man soll niemanden beneiden. Denn die Guten verdienen den Neid nicht und die Schlechten schaden sich selber um so mehr, je mehr sie Glück haben.

54. Man soll nicht vorgeben zu philosophieren, sondern wirklich philosophieren. Denn wir bedürfen nicht des Anscheins der Gesundheit, sondern wirklicher Gesundheit.

55. Das Unglück muß man heilen durch die freudige Erinnerung an das Verlorene und durch die Erkenntnis, daß es nicht möglich ist, das Geschehene ungeschehen zu machen.

56. Der Schmerz des Weisen ist nicht größer, wenn er selber gefoltert wird als wenn sein Freund gefoltert wird.

57. Das ganze Leben dieses Menschen wird wegen seiner Unzuverlässigkeit zusammenbrechen und zerschlagen sein.

58. Befreien muß man sich aus dem Gefängnis der Geschäfte und der Politik.

59. Nicht der Bauch ist unersättlich, wie die Leute meinen, sondern die falsche Vorstellung von dem unbegrenzten Anfüllen des Bauches.

60. Jedermann geht aus dem Leben, wie wenn er eben erst gehoren wäre.

61. Etwas sehr Schönes ist auch der Anblick der Nächsten, wenn das erste Zusammentreffen zur Eintracht führt, oder auch, wenn es viel Mühe darauf wendet, zur Eintracht zu führen.

62. Wenn nämlich im Bezug auf die Pfficht die Erzeuger gegen die Kinder in Zorn geraten, dann ist es völlig sinnlos zu widerstreben und sich nicht zu bemühen, Verzeihung zu erlangen. Handelt es sich aber nicht um Pflicht, sondern um etwas Unvernünftiges, dann ist es durchaus lächerlich, durch Beharren im eigenen Unwillen die Unvernunft aufs äußerste zu reizen und nicht vielmehr zu versuchen, die Zürnenden in guter Gesinnung umzustimmen.

63. Es gibt auch in der Schlichtheit eine Vornehmheit. Wer sie nicht beachtet, erleidet ähnliches wie jener, der in die Grenzenlosigkeit des Genusses verfällt.

64. Das Lob der anderen muß von selbst folgen. Wir müssen uns nur mit unserer eigenen Heilung befassen.

6s. Einfältig ist es, von den Göttern zu erbitten, was einer sich selber hinlänglich beschaffen kann.

66. Wir wollen unser Mitgefühl für unsere Freunde zeigen nicht durch Klage, sondern durch Fürsorge.

67. Bei einem freien Leben kann man nicht viel Geld erwerben. Denn dies ist keine leichte Sache, wenn man sich nicht in die Knechtschaft des Pöbels oder der Gewalthaber begibt. Dafür aber hat man alles in dauernder Fülle; sollte man aber zufallig auch einmal viel Geld haben, dann läßt sich auch dies leicht so auft eilen, daß man damit die gute Gesinnung des Nächsten gewinnt.

68. Nichts genügt dem, dem das Genügende zu wenig ist.

69. Die Undankbarkeit der Seele macht das Lebewesen begehrlich nach unbegrenzten Raffinements der Nahrung.

70. Tue nichts im Leben, was dir Angst machen wird, wenn es dein Nächster bemerkt.

71. An alle Begierden soll man die Frage stellen: Was wird mir geschehen, wenn erfüllt wird, was die Begierde sucht, und was, wenn es nicht erfüllt wird?

73. Selbst die Entstehung gewisser körperlicher Schmerzen nützt, nämlich zur Vorsicht in ähnlichen Fällen.

74. Bei einer wissenschaftlichen Diskussion hat der Unterliegende mehr Nutzen, sofern er etwas dazulernt.

7~. Das Wort: Sieh auf das Ende eines langen Leben ist undankbar dem vergangenen Guten gegenüber.

76. In deinem Greisenalter bist du so, wie ich dich zu sein mahne, und du hast erkannt, was es bedeutet, für sich selbst und für Hellas zu philosophieren. Ich freue mich mit dir.

77. Der größte Lohn der Selbstgenügsamkeit ist die Freiheit.

78. Der Edle kümmert sich am meisten um Weisheit und Freundschaft. Davon ist diese ein vergängliches, jene ein unvergängliches Gut.

79. Wer in sich selbst beruhigt ist, der beunruhigt auch den anderen nicht.

80. Es ist der wichtigste Teil des Heils, die Jugend zu bewahren und sich zu hüten vor jenen, die alles mit ihren rasenden Begierden beflecken.

81. Lösung von der Unruhe der Seele oder eine nennenswerte Freude elzeugt weder der größte Reichtum noch die Ehre und das Ansehen bei der Menge noch irgend etwas anderes von dem, was aus unbegrenzten Ursachen herkommt.

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KATECHISMUS

Was glückselig und unvergänglich ist, hat weder selber Sorgen, noch bereitet es anderen solche. Es hat also weder mit Zorn noch mit Gunst etwas zu schaffen; denn alles Derartige gehört zur Schwäche.1

Der Tod geht uns nichts an. Denn was sich aufgelöst hat, hat keine Empfindung. Was aber keine Empfindung hat, geht uns nichts an.2

Grenze der Größe der Lustempfindun gen ist die Beseitigung alles Schmerzenden. Wo immer das Lusterzeugende vorhanden ist, da findet sich, solange es gegenwärtig ist, nichts Schmerzendes oder Betrübendes oder beides zusammen.3

Das Schmerzende verweilt nicht lange Zeit gleichmäßig im Fleische, sondern, sofern es aufs äußerste schmerzt, ist es nur ganz kurze Zeit gegenwärtig, sofern es aber das Lusterzeugende im Fleische bloß überwiegt, dauert es nicht viele Tage. Langandauernde Schwächezustände schließlich zeigen ein Überwiegen des Lusterregenden im Fleische über das Schmerzende.4

Es ist nicht möglich, lustvoll zu leben, ohne daß man vernunftgemäß, schön und gerecht lebt, noch vernunftgemäß, schön und gerecht ohne lustvoll zu leben. Wer dies nicht besitzt, der kann nicht lustvoll leben.5

Um vor den Menschen sicher zu sein, steht als ein naturgemäßes Gut Herrschaft und Königtum zur Verfügung, mit deren Hilfe man sich zuweilen jene Sicherheit verschaffen kann.6

Manche wollten berühmt und angesehen werden und meinen, sich auf diese Weise die Sicherheit vor den Menschen verschaffen zu können. Ist nun das Leben solcher Menschen tatsächlich sicher geworden, so haben sie das naturgemäße Gut erlangt. Ist es aber nicht sicher geworden, so besitzen sie nicht, wonach sie ursprünglich der Natur entsprechend strebten.7

Keine Lust ist an sich ein übel. Aber das, was bestimmteLustempfindungen erzeugt, bringt Beschwerden mit sich, die die Lustempfindungen um ein Vielfaches übersteigen.8

Wenn die gesamte Lust sich verdichtete nach Raum und Zeit und in der gesamten Zusammensetzung vorhanden wäre oder doch in den hauptsächlichsten Teilen der Natur, dann würden die Lustempfindungen niemals voneinander verschieden sein.9

Wenn das, was die Lustempfindungen der Schlemmer erzeugt, die Ängste des Denkens vor den Himmelserscheinungen, dem Tode und den Schmerzen verscheuchen könnte, und außerdem die Grenze der Begierden lehrte, dann hätten wir keinen Grund, sie zu tadeln, wenn sie nämlich allseitig nur von Lustempfindungen erflüllt wären und nirgendwoher Schmerzendes oder Betrübendes besäßen, worin allein das übel besteht.10

Wenn wir nicht beunruhigt würden durch den Verdacht, es möchten uns die Himmelserscheinungen und der Tod irgend etwas angehen, ferner durch die Tatsache, daß wir die Grenzen von Schmerz und Begierde nicht kennen, dann bedürften wir der Naturwissenschaft nicht.11

Es ist nicht möglich, sich von der Furcht hinsichtlich der wichtigsten Dinge zu befreien, wenn man nicht begriffen hat, welches die Natur des Alls ist, sondern sich durch die Mythen beunruhigen läßt. Es ist also nicht möglich, ohne Naturwissenschaft ungetrübte Lustempfindungen zu erlangen. Es nützt nichts, sich Sicherheit vor den Menschen zu verschaffen, während die Beunruhigung hinsichtlich der Dinge in der Höhe und unter der Erde und überhaupt im unbegrenzten Raume bestehen bleibt.13

Mag auch die Sicherheit vor den Menschen bis zu einem gewissen Grade zu erlangen sein durch eine fest gegründete Macht und durch Wohlhabenheit, so entsteht doch die reinste Sicherheit durch ein ruhiges und von der Menge abgesondertes Dasein.14

Der naturgemäße Reichtum ist begrenzt und leicht zu beschaffen, der durch eitles Meinen erstrebte läuft dagegen ins Grenzenlose aus.15

Nur in wenigem gerät dem Weisen der Zufall herein, das Größte und Wichtigste aber hat die Überlegung geordnet und tut es während der ganzen Zeit des Lebens und wird es tun.16 Das gerechte Leben ist von Unruhe am freiesten, das ungerechte aber ist voll von jeglicher Unruhe.17

Sowie einmal das Schmerzende des Mangels beseitigt ist, mehrt sich die Lustempfindung im Fleische nicht mehr, sondern wird bloß mannigfaltiger. Die äußerste Grenze der Lust, die das Denken erkennt, wird aber erreicht durch die Aufklärung eben jener Dinge, die dem Denken die größten Ängste beieiteten, und der damit verwandten Dinge.18

Die unbegrenzte Zeit umfaßt gleich viel Lust wie die begrenzte Zeit, wenn man die Grenzen der Lust durch Überlegung abmißt.19

Für das Fleisch liegen die Grenzen der Lust im Unbegrenzten, und es bedürfte unbegrenzter Zeit, um sie zu beschaffen. Das Denken aber, das die Einsicht in das Ziel und die Grenze des Fleisches erlangt und die Ängste hinsichtlich der Ewigkeit zerstreut hat, beschafft das vollkommene Leben und bedarf nicht mehr weiter der unbegrenzten Zeit. Doch flieht es weder die Lust noch endigt es, wenn die Ereignisse den Ausgang aus dem Leben zubereiten, so, als wenn ihm irgend etwas am vollkommenen Leben mangelte.20

Wer die Grenzen des Lebens begriffen hat, weiß, daß jenes leicht zu beschaffen ist, was das Schmerzende des Mangels beseitigt und das gesamte Leben zu einem vollkommenen macht. Darum bedarf er keiner Veranstaltungen, die Kämpfe mit sich bringen.21

Das bestehende Lebensziel muß man bedenken und jene ganze Evidenz, auf die wir die Meinungen zurückführen. Tun wir das nicht, so wird jedes Urteil unmöglich und alles voll von Unruhe sein.21 Wenn du alle Sinneswahrnehmungen bestreitest, so besitzest du nichts, worauf du dich beziehen kannst, um jene zu beurteilen, die du für falsch erklärst.23

Wenn du irgendeine Sinneswahmehmung scMechthin verwirfst und keinen Unterschied machst zwischen der Vermutung, die noch der Bestätigung bedarf, und dem, was bereits als Wahrnehmung oder Empfindung oder als vorstellende Tätigkeit des Denkens überhaupt gegenwärtig ist, dann wirst du durch dein leeres Meinen auch die übrigen Sinneswahrnehmungen in Verwirrung bringen und damit jede Möglichkeit des Urteilens ausschließen. Wenn du aber im meinenden Überlegen auch schon für gewiß hälst, was noch der Bestätigung bedarf, oder auch, was noch keine Nachprüfung erfuhr, zum Ungewissen rechnest, dann wird der Irrtum nicht ausbleiben, und jedes Urteil über richtig und unrichtig wird dauernder Diskussion unterworfen sein.24

Wenn du nicht in jeder Lage dein gesamtes Handeln auf das natürliche Endziel zurückbeziehst, sondern vorher abbrichst, indem du dein Streben oder Meiden auf etwas anderes richtest, so werden deine Taten nicht deinen Worten entsprechen.23

Alle jene Begierden, die nicht zu etwas Schmerzendem führen, wenn sie nicht erfüllt werden, gehören nicht zu den notwendigen, und das entsprechende Verlangen ist leicht wegzuschaffen, wenn es sich erweist, daß die Erfüllung schwer zu bewerkstelligen ist oder Schaden stiftet.26

Von allem, was die Weisheit zur Glückseligkeit des ganzen Lebens bereit hält, ist weitaus das Größte die Erwerbung der Freundschaft.27
Es ist dieselbe Erkenntnis, die uns zuversichtlich macht darüber, daß nichts Schreckliches ewig oder auch nur lange Zeit dauert, und die begreift, daß in eben den begrenzten Dingen die Sicherheit vor allem durch die Freundschaft vollendet wird.28

Von den Begierden sind die einen natürliche und notwendige, die anderen natürliche, aber nicht notwendige, die dritten weder natürliche noch notwendige, sondern auf Grund leeren Meinens entstehend.29

Wenn bei jenen natürlichen Begierden, die nicht zu Schmerzendem führen, wenn sie nicht erfüllt werden, dennoch das angespannte Bemühen bestehen bleibt, so sind sie aus leerem Meinen entstanden, und wenn sie sieh nicht auflösen, so liegt dies nicht an ihrer Natur, sondern am leeren Meinen des Menschen.30 Die natürliche Gerechtigkeit ist eine Abmachung über das Zuträgliche, um einander gegenseitig weder zu schädigen noch sich schädigen zu lassen.31

Für alle jene Lebewesen, die keine Verträge darüber schließen konnten, einander gegenseitig weder zu schädigen noch sich schädigen zu lassen, gibt es keine Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Ebenso auch bei den Völkern, die Verträge, einander gegenseitig weder zu schädigen noch sich schädigen zu lassen, entweder nicht schließen konnten oder nicht wollten.32

Es gibt keine Gerechtigkeit an und für sich, sondern sie ist ein im gegenseitigen Verkehr an den beliebigsten Orten und Zeiten geschlossener Vertrag, einander gegenseitig weder zu schädigen noch sich schädigen zu lassen.33

Die Ungerechtigkeit ist nicht ein Übel an sich, sondern nur durch die rnißtrauische Angst, es möchte nicht gelingen, den dazu bestellten Züchtigern verborgen zu bleiben.34

Wer heimlich sich vergeht gegen den Vertrag, einander gegenseitig weder zu schädigen noch sich schädigen zu lassen,der wird sich nie darauf verlassen können, daß er verborgen bleiben werde, auch wenn er im Augenblick tausendmal verbergen bleibt. Denn ob er es auch bis zum Tode bleiben wird, ist ungewiß.35

Im Bezug auf das Gemeinwesen ist die Gerechtigkeit für alle dasselbe; denn sie ist ja das Zuträgliche in der gegenseitigen Gemeinschaft. Dagegen ergibt sich je nach den Verschiedenheiten des Landes und der sonstigen Bedingungen nicht für alle dasselbe als gerecht.36

Was unter dem, was für gerecht gehalten wird, sich auch tatsächlich als zuträglich erweist für die Bedüffnisse der gegenseitigen Gemeinschaft, das nimmt den Ort der Gerechtigkeit ein, mag es für alle dasselbe sein oder nicht. Erläßt aber einer ein Gesetz, das nicht als zuträglich für die gegenseitige Gemeinschaft wirkt, dann hat dies nicht mehr die Natur der Gerechtigkeit. Und wenn das im Sinne des Zuträglichen Gerechte sieh verändert, aber doch eine Zeit hindurch jener Vorstellung entsprach, so war es eben nichtsdestoweniger für jene Zeit gerecht für alle jene, die sich nicht durch leere Worte selbst verwirren, sondern auf die Tatsachen schauen.37

Wo, ohne daß die Verhältnisse sich geändert hätten, das für gerecht Gehaltene in der Ausführung selbst sich als jener Vorstellung nicht entsprechend erweist, da ist es faktisch nicht gerecht. Wo aber nach Veränderung der Verhältnisse dieselben Rechtssätze nicht mehr zuträglich sind, da waren sie damals gerecht, als sie der gegenseitigen Gemeinschaft der Bürger zuträglich waren. Später aber waren sie nicht mehr gerecht, als sie nicht mehr zuträglich waren.38

Wer sich gegen das Bedrohende in den äußeren Verhältnissen am besten zu rüsten versteht, der macht sich das, was er kann, zu Verbündeten; was er sich nicht zu Verbündeten machen kann, das macht er sich wenigstens nicht zu Fremden; was er nicht einmal so weit bringt, damit tritt er überhaupt nicht in Beziehung und stützt sich auf das, was zu solchem Tun nützlich ist.39

Wer die Möglichkeit hat, sich die Zuversicht vor allem den Nachbarn gegenüber zu verschaffen, der lebt mit den Seinigen zusammen auf die lustvollste Weise unter der sichersten Bürgschaft. Und wenn sie die vollste Vertrautheit gewonnen haben, jammern sie nicht über das vorzeitige Ende eines Abgeschiedenen, als ob er Mitleid verdiente.40

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Brief an Menoikeus

EPIKUROS GRÜSST DEN MENOIKEUS

Wer jung ist, soll nicht zögern zu philosophieren, und wer alt ist, soll nicht müde werden im Philosophieren. Denn für keine ist es zu früh und für keinen zu spät, sich um die Gesundheit der Seele zu kümmern. Wer behauptet, es sei noch nicht Zeit zu philosophieren oder die Zeit sei schon vorübergegangen, der gleicht einem, der behauptet, die Zeit für die Glückseligkeit sei noch nicht oder nicht mehr da. Darum soll der Jüngling und der Greis philosophieren, der eine, damit er im Alter noch jung bleibe an Gütern durch die Freude am Vergangenen, der andere, damit er gleichzeitig jung und alt sei durch die Furchtlosigkeit vor dem Künftigen. Wir müssen uns also kümmern um das, was die Glückseligkeit schafft: wenn sie da ist, so besitzen wir alles, wenn sie aber nicht da ist, dann tun wir alles, um sie zu besitzen.

Wozu ich dich andauernd gemahnt habe, das tue auch und kümmere dich nicht darum und begreife es als Elemente des guten Lebens.

Erstens halte Gott für ein unvergängliches und glückseliges Lebewesen, so wie die allgemeine Vorstellung von Gott im Menschen angelegt ist, und hänge ihm nichts an, was seiner Unvergänglichkeit fremd oder seiner Glückseligkeit unangemessen wäre. Glaube vielmehr von ihm alles, was seine Glückseligkeit und Unvergänglichkeit zu sichern vermag. Götter nämlcih existieren; denn die Gotteserkenntnis hat sichtbare Gewissheit. Sie sind aber nicht so, wie es die Leute meinen. Denn die Leute halten gar nicht die Gedanken über die Götter fest, die sie haben. Gottlos ist nicht der, der die Götter der Menge beseitigt, sondern der, der den Göttern die Ansichten der Menge anhängt. Denn die Aussagen der Menge über die Götter sind nicht Vorahnungen, sondern falsche Vermutungen. Darum entstehen von den Göttern her die grössten Schädigungen für die Schlechten und auch Förderungen [für die Guten]. Denn da die Götter durch und durch mit ihren eigenen Tugenden vertraut sind, akzeptieren sie nur Wesen, die ihnen ähnlich sind; doch alles, was nicht derart ist, schliessen sie aus als fremd.

Gewöhne dich an den Gedanken, dass der Tod uns nichts angeht. Denn alles Gute und Schlimme beruht auf der Wahrnehmung. Der Tod aber ist der Verlust der Wahrnehmung. darum macht die rechte Einsicht, dass der Tod uns nichts angeht, die Sterblichkeit des Lebens genussreich, indem sie uns nicht eine unbegrenzte Zeit dazugibt, sondern die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit wegnimmt. Denn im Leben gibt es für den nichts Schreckliches, der in echter Weise begriffen hat, dass es im Nichtleben nichts Schreckliches gibt. Darum ist jener einfältig, der sagt, er fürchte den Tod nicht, weil er schmerzen wird, wenn er da ist, sondern weil er jetzt schmerzt, wenn man ihn erwartet. Denn was uns nicht belästigt, wenn es wirklich da ist, kann nur einen nichtigen Schmerz bereiten, wenn man es bloss erwartet.

Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr. Er geht also weder die Lebenden an noch die Toten; denn die einen geht er nicht an, und die anderen existieren nicht mehr. Die Menge freilich flieht bald den Tod als das ärgste der Übel, bald sucht sie ihn als Erholung von den Übeln im Leben. Der Weise dagegen lehnt weder das Leben ab noch fürchtet er das Nichtleben. Denn weder belästigt ihn das Leben, noch meint er, das Nichtleben sei ein Übel. Wie er bei der Speise nicht einfach die grösste Menge vorzieht, sondern das Wohlschmeckendste, so wird er auch nicht eine möglichst lange, sondern eine möglichst angenehme Zeit zu geniessen trachten.

Wer aber dazu mahnt, der Jüngling solle edel leben und der Greis edel sterben, der ist töricht, nicht nur weil das Leben liebenswert ist, sondern auch weil die Sorge für ein edles Leben und diejenige für einen edlen Tod eine und dieselbe ist.

Noch viel schlimmer steht es mit dem, der sagt: "Das beste ist, nicht geboren zu sein - wenn man aber geboren ist, so eilig als möglich zu den Toren des Hades zu streben." Wenn er das nämlich aus Überzeugung sagt, warum scheidet er dann nicht aus dem Leben? Dies steht ihm ja frei, wenn er wirklich zu einem festen Entschlusse gekommen ist. Wenn es aber blosser Spott ist, so ist es ein einfältiger Spott bei Dingen, die Spott nicht vertragen.

Es ist ferner zu bedenken, dass die Zukunft weder vollständig in unserer Gewalt ist noch vollständig unserer Gewalt entzogen. Wir werden also niemals erwarten, dass das Künftige sicher eintreten wird, noch daran verzweifeln, dass es jemals eintreten werde.

Ferner ist zu beachten, dass die Begierden teils natürliche, teils nichtige sind. Von den natürlichen wiederum sind die einen notwendig, die anderen bloss natürlich. Von den notwendigen endlich sind die einen notwendig zur Glückseligkeit, die anderen zur Ungestörtheit des Leibes, die dritten zum Leben überhaupt. Eine unverwirrte Betrachtung dieser Dinge weiss jedes Wählen und Meiden zurückzuführen auf die Gesundheit des Leibes und die Beruhigtheit der Seele; denn dies ist die Erfüllung des seligen Lebens. Um dessentwillen tun wir nämlich alles: damit wir weder Schmerz noch Verwirrung empfinden. Sobald einmal dies an uns geschieht, legt sich der ganze Sturm der Seele. Das Lebewesen braucht sich dann nicht mehr aufzumachen nach etwas, was ihm noch fehlte, und nach etwas anderem zu suchen, durch das das Wohlbefinden von Seele und Leib erfüllt würde. Dann nämlich bedürfen wir der Lust, wenn uns die Abwesenheit der Lust schmerzt. Wenn uns aber nichts schmerzt, dann bedürfen wir der Lust nicht mehr.

Darum nennen wir auch die Lust Anfang und Ende des seligen Lebens. Denn sie haben wir als das erste und angeborene Gut erkannt, von ihr aus beginnen wir mit allem Wählen und Meiden, und auf sie greifen wir zurück, indem wir mit der Empfindung als Massstab jedes Gut beurteilen. Und eben weil sie das erste und angeborene Gut ist, darum wählen wir auch nicht jede Lust, sondern es kommt vor, dass wir über viele Lustempfindungen hinweggehen, wenn sich für uns aus ihnen ein Übermass an Lästigem ergibt. Wir ziehen auch viele Schmerzen Lustempfindungen vor, wenn uns auf das lange dauernde Ertragen der Schmerzen eine grössere Lust nachfolgt. Jede Lust also, da sie eine uns angemessene Natur hat, ist ein Gut, aber nicht jede ist zu wählen; wie auch jeder Schmerz ein Übel ist, aber nicht jeder muss natürlicherweise immer zu fliehen sein. Durch wechselseitiges Abmessen und durch die Beachtung des Zuträglichen und Abträglichen vermag man dies alles zu beurteilen. Denn zu gewissen Zeiten gehen wir mit dem Gut um wie mit einem Übel und mit dem Übel wiederum wie mit einem Gute.

Wir halten auch die Selbstgenügsamkeit für ein grosses Gut, nicht um uns in jedem Falle mit Wenigem zu begnügen, sondern damit wir, wenn wir das Viele nicht haben, mit dem Wenigen auskommen, in der echten Überzeugung, dass jene den Überfluss am süssesten geniessen, die seiner am wenigsten bedürfen, und dass alles Naturgemässe leicht, das Sinnlose aber schwer zu beschaffen ist, und dass bescheidene Suppen ebensoviel Lust erzeugen wie ein üppiges Mahl, sowie einmal aller schmerzende Mangel beseitigt ist, und dass Wasser und Brot die höchste Lust zu verschaffen vermögen, wenn einer sie aus Bedürfnis zu sich nimmt. Sich also zu gewöhnen an einfaches und nicht kostspieliges Essen verschafft nicht nur volle Gesundheit, sondern macht den Menschen auch unbeschwert gegenüber den Notwendigen Verrichtungen des Lebens, bringt uns in eine zufriedenere Verfassung, wenn wir in Abständen uns einmal an eine kostbare Tafel begeben, und erzeugt Furchtlosigkeit vor den Wechselfällen des Zufalls. Wenn wir also sagen, dass die Lust das Lebensziel sei, so meinen wir nicht die Lüste der Wüstlinge und das blosse Geniessen, wie einige aus Unkenntnis und weil sie mit uns nicht übereinstimmen oder weil sie uns missverstehen, meinen, sondern wir verstehen darunter, weder Schmerz im Körper noch Beunruhigung in der Seele zu empfinden. Denn nicht Trinkgelage und ununterbrochenes Schwäremn und nicht Genuss von Knaben und Frauen und von Fischen und von allem anderen, was ein reichbesetzter Tisch bietet, erzeugt das lustvolle Leben, sondern die nüchterne Überlegung, die die Ursachen für alles Wählen und Meiden erforscht und die leeren Meinungen austreibt, aus denen die schlimmste Verwirrung der Seele entsteht.

Für all dies ist der Anfang und das grösste Gut die Einsicht. Darum ist auch die Einsicht noch kostbarer als die Philosophie. Aus ihr entspringen alle übrigen Tugenden, und sie lehrt, dass es nicht möglich ist, lustvoll zu leben ohne verständig, schön und gerecht zu leben, noch auch verständig, schön und gut, ohne lustvoll zu leben. Denn die Tugenden sind von Natur verbunden mit dem lustvollen Leben, und das lustvolle Leben ist von ihnen untrennbar.

Denn schliesslich, wen könntest du höher stellen als jenen, der über die Götter fromme Gedanken hat und der hinsichtlich des Todes ohne Furcht ist, der das Endziel der Natur begriffen hat und der verstanden hat, dass die oberste Grenze des Guten leicht zu erfüllen und leicht zu beschaffen ist, dass aber die oberste Grenze des Übels entweder der Zeit oder dem Schmerze nach nur schmal ist?

Die Botwendigkeit aber, die einige als Herrin von allem einführen, [verwirft er als leere Meinung]. Denn besser wäre es, sich dem Mythos von den Göttern anzuschliessen, als sich zum Sklaven der Schicksalsnotwendigkeit der Naturphilosophen zu machen. Denn der Mythos deutet die Hoffnung an, dass die Götter durch die ihnen erwiesenen Ehren beinflussbar seien; das Schicksal aber hat eine unerbittliche Notwendigkeit.

Den Zufall aber hält der Weise weder für eine Gottheit, wie es die Menge tut - denn Gott tut nichts auf ungeordnete Weise -, noch hält er ihn für eine unstete Ursache; denn er glaubt nicht, dass durch ihn Gutes und Übles zum glückseligen Leben des Menschen gegeben werde, wohl aber, dass er den Ausgangspunkt grosser Güter und Übel bilde. Für besser hält r es, mit vernünftiger Überlegung Unglück zu haben als ohne Überlegung Glück zu haben. Denn schöner ist es, wenn beim Handeln der rechte Entschluss [nicht zur rechten Erfüllung kommt, als wenn ein unrechter Entschluss] durch den Zufall zu rechter Erfüllung gelangt.

Dieses und was dazu gehört, überdenke Tag und Nacht in dir selber und zusammen mit dem, der deinesgleichen ist. Dann wirst du niemals, weder im Wachen noch im Schlafen, beunruhigt werden, und du wirst unter den Menschen leben wie ein Gott. Denn keinem sterblichen Wesen gleicht der Mensch, der inmitten unsterblicher Güter lebt.


Copyright © 1999, Der Humanist
erstellt von
Frank Welker