Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944

 

Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung

 

2. September bis 31. Oktober 1999 in Osnabrück

Ort: Altbau des Kulturgeschichtlichen Museums am Heger-Tor-Wall

Öffnungszeiten: Di. bis Do.12.00 bis 18.00 Uhr, Fr. 12.00 bis 20.00 Uhr, Sa. und So 11.00 bis 18.00 Uhr

Info unter Ausstellungsbüro Tel.: 0541-323-4524

Umfangreiche Infos zu Vorträgen, Seminaren, Kursen u.a. rund um die Ausstellung unter: http://www.osnabrueck.de/vernichtungskrieg

 

Die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" des Hamburger Instituts für Sozialforschung wurde im März 1995 in Hamburg eröffnet. Sie wurde von 1995 bis Mitte 1999 in 26 Städten in der Bundesrepublik (Hamburg (1995 und 1999), Berlin, Potsdam, Stuttgart, Freiburg, Mönchengladbach, Essen, Erfurt, Regensburg, Nürnberg, Karlsruhe, München, Frankfurt, Bremen, Marburg, Konstanz, Dresden, Aachen, Kassel, Koblenz, Münster, Bonn, Hannover, Kiel, Saarbrücken und Köln) und in 6 Städten in Österreich (Wien, Innsbruck, Klagenfurt, Linz, Graz, Salzburg) gezeigt. 860.000 Menschen haben sie (bis Ende Juli 1999) gesehen. 

Zum 1. August 1999 hat das Hamburger Institut für Sozialforschung die Ausstellung an den Verein zur Förderung der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" e.V. übergeben, der sich um die Präsentation der Ausstellung in den etwa 50 Städten in der Bundesrepublik und Österreich kümmert, die sie noch zeigen möchten. Erste Stationen sind Osnabrück (2.September bis 31. Oktober im Altbau des Kulturgeschichtlichen Museum am Heger-Tor-Wall), Braunschweig oder Luxemburg, Wiesbaden und Gießen. Die Urheberschaft der Ausstellung bleibt beim Institut. Für die Präsentation in den USA (erste Station ist die Cooper Union for the Advancement of Science and Art, Cooper Square, New York vom 3.12.99 bis zum 5.2.2000) ist das Institut der Ausstellungsgeber.  

Die Ausstellung war Teil eines umfangreichen Forschungsprojekts "Angesichts unseres Jahrhunderts. Gewalt und Destruktivität im Zivilisationsprozeß" des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Das Jahr 1995 schien – 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, 5 Jahre vor Ende des Jahrhunderts – geeignet, auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts zurückzublicken und zu thematisieren, was dieses Jahrhundert nicht bloß unter anderem charakterisiert, nämlich, daß es ein Jahrhundert zuvor unbekannter Destruktivität gewesen ist. Diese Überlegungen sollten mit unterschiedlichen Mitteln – zwei Ausstellungen ("200 Tage und 1 Jahrhundert" und "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944", Vorträgen, Lesungen, Konferenzen, Podiumsdiskussionen und wissenschaftlichen Publikationen - öffentlich in größerem Rahmen präsentiert werden.

Von der Beschäftigung mit der Wehrmacht – der größten Organisation des Dritten Reichs versprachen sich die Wissenschaftler wichtige Aufschlüsse über den Gewaltcharakter der NS-Gesellschaft und über die Entgrenzung des nationalsozialistischen Krieges.  

Statt eine globale Übersicht vorzulegen, entschieden sich die Ausstellungsmacher für drei Fallstudien:

– die ersten Monate des Partisanenkrieges in Serbien,
– der Vormarsch der 6. Armee durch die Ukraine in Richtung Stalingrad,
– die drei Jahre dauernde Besetzung Weißrußlands.

Für das amerikanische Publikum wurde die Ausstellung um einen Prolog "The German Army in The National Socialist State, 1933-1939" erweitert. In ihm wird die Entwicklung der Wehrmacht unter den Nazis und die systematische Vorbereitung eines Vernichtungskrieges seit 1933 und dessen Umsetzung 1939 in Polen gezeigt.

Die Beispiele, die verschiedene Frontabschnitte und unterschiedliche Perioden dokumentieren, lassen eine generelle Aussage über das Verhalten der Wehrmacht zumindest auf dem Balkan und in der besetzten Sowjetunion zu. Der Blick auf Fronttruppen und Einheiten der rückwärtigen Gebiete zeigt die Truppe bei der Zusammenarbeit mit Himmlers Einsatzgruppen und bei eigenverantwortlich durchgeführten Vernichtungsaktionen. Für die Präsentation in den USA wurde die Ausstellung um einen Prolog "The German Army in The National Socialist State, 1933-1939" erweitert.

Die Ergebnisse zeigen: Die Wehrmacht spielte eine aktive Rolle beim Holocaust, an der Ausraubung der besetzten Gebiete, beim Massenmord an der Zivilbevölkerung und an der Vernichtung der sowjetischen Kriegsgefangenen. Der Krieg im Osten und Südosten war kein "normaler" Krieg – er wurde als Rassen- und Vernichtungskrieg geplant und durchgeführt.

Die Ausstellung beschäftigt sich mit einer Institution – der Wehrmacht – und fragt nach deren Verantwortung. Sie kann und will nicht jeden ehemaligen Soldaten als Verbrecher bezeichnen. Abgesehen davon, daß ein solches Urteil nur der Justiz, nicht aber der Geschichtswissenschaft zukommt, wäre eine solche Feststellung, 50 Jahre nach Kriegsende, eine nicht zu billigende und nicht zu belegende Pauschalisierung. Allerdings lassen die in der Ausstellung gezeigten Dokumente wie Fotos und Feldpostbriefe sowie die Aussagen in Nachkriegsprozessen den Schluß zu, daß diese Großverbrechen nicht nur von einigen kriminellen Feldmarschällen zu verantworten sind oder unter Befehlsnotstand zustande gekommen sind. Die Truppe war – als Teil der nationalsozialistischen Gesellschaft und enthemmt durch Hitlers Vernichtungskrieg – intensiver und bereitwilliger als bisher angenommen an diesen Verbrechen beteiligt.  

Die Ausstellung ist als Wanderausstellung konzipiert. Sie besteht aus 104 Texttafeln sowie einer zentralen begehbaren Skulptur in Form des "Eisernen Kreuzes" von 2,60 Meter Höhe und 50 Quadratmetern Grundfläche. Die Besucher können durch die Hauptachsen des Eisernen Kreuzes, an dessen Wänden Fotografien angebracht sind, hindurchgehen. In der Ausstellung werden durchgehend sechs eigens für diesen Zweck hergestellte Dokumentarfilme gezeigt. Sie lassen die ehemaligen Soldaten selbst zu Wort kommen. Vier Alben mit faksimilierten Fotos und Dokumenten können eingesehen werden. In der amerikanischen Fassung wird die Skulptur, das "Eiserne Kreuz" nicht aufgebaut, die Fotos aus dem "Eisernen Kreuz" sind in der amerikanischen Katalog-Fassung zu sehen.  

An jedem Ausstellungsort gab es ein umfangreiches wissenschaftliches Begleitprogramm, welches die These der Ausstellung vertieft und sie in den Kontext der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus stellte.  

Niemals zuvor hat die westdeutsche Öffentlichkeit derart engagiert und andauernd über ihre Vergangenheit gestritten. Zeitweise wurde mehrmals täglich im Fernsehen und Rundfunk über die Ausstellung und die Auseinandersetzungen um sie berichtet. Es gab zahlreiche Talkshows, Hintergrundberichte und Übertragungen der Eröffnungsveranstaltungen wie z.B. aus der Frankfurter Paulskirche.  

Die Ausstellung wurde zum Gegenstand zahlreicher zum Teil bewegender Landtagsdebatten (in Bremen, München, Wiesbaden Hannover, Kiel, Saarbrücken, Hamburg). Dabei kam es im November 1998, als die Ausstellung in Hannover gezeigt wurde, im Niedersächsischen Landtag zu einer gemeinsamen Entschließung von SPD, CDU und Grünen, in der die Notwendigkeit der Ausstellung und der Auseinandersetzung mit ihr betont wurde. Im Mai 1999 stimmte die Hamburger Bürgerschaft einstimmig einem interfraktionellen Antrag zur Ausstellung zu, in dem es heißt: "Die Bürgerschaft betrachtet die Ausstellung (...) als einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung darüber, daß die Wehrmacht ein Instrument der nationalsozialistischen Eroberungs- und Vernichtungspolitik war und in ihrer Spitze sowie mit Truppenteilen in Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt war." Zweimal stand die Ausstellung im Zentrum von Debatten im Deutschen Bundestag. Die erste dieser Sitzungen, am 13. März 1997, wurde in der Presse als "eine der wenigen großen Stunden des Parlaments" bezeichnet. Über Parteigrenzen hinweg gelang den Abgeordneten eine differenzierte und sehr persönliche – an der eigenen Familiengeschichte – orientierte Debatte, in der, was ganz selten geschieht, die Abgeordneten einander zuhörten, statt Akten abzuzeichnen oder Zeitungen durchzublättern.

Die Ausstellung, geplant als Beitrag zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts, holt die Geschichte des Krieges zurück in die Familiengeschichte, sie erweist sich als bedrückender Kommentar der Geschichte nahezu jeder deutschen Familie. Viele Besucher kommen, um sich über die Verstrickungen der nächsten Angehörigen zu informieren. Viele wollen wissen, warum ihre Väter und Großväter, Onkel und Cousins nach dem Krieg anders waren als vorher, viele suchen ihre Verwandten auf den Bildern - manche finden sie auf der Seite der Täter und manche unter den Opfern. Zahlreich sind die Anfragen, die Verwandte ehemaliger Wehrmachtssoldaten an das Hamburger Institut für Sozialforschung richten, um Klarheit und Information über einzelne Truppenteile und Orte, an denen ihr Vater als Soldat gewesen sein könnte, zu finden.  

Besucher und Besucherinnen bestätigen, daß es so gewesen ist, wie auf den Texttafeln zu lesen und den Photos zu sehen – andere hingegen behaupten, daß nichts in der Ausstellung stimme. So kommt es in den Ausstellungsräumen immer wieder zu erregten Debatten zwischen den Generationen. Eindrücklich sind diese Auseinandersetzungen in dem Film von Ruth Beckermann "Jenseits des Krieges" zu sehen, der in der Ausstellung in Wien gedreht wurde und mittlerweile mehrfach im Fernsehen und in zahlreichen Kinos im Begleitprogramm in vielen Ausstellungsorten zu sehen war.  

Ein besonderes Dokument der Debatten sind die in der Ausstellung ausliegenden Gästebücher. In ihnen äußern sich zahlreiche Besucherinnen und Besucher der Ausstellung spontan, meistens direkt nach dem Rundgang. Sie sprechen über Gefühle, die bei ihnen ausgelöst wurden, über Erinnerungen, die zurückkommen – oft beziehen sie sich auf die vorherigen Kommentare, so daß die Gästebücher zum Diskussionsforum werden. Es scheint so, als wären viele Besucher froh, nun endlich nach so langen Jahren über die verschütteten Erinnerungen sprechen zu können. Sicherlich auch deshalb werden dem Hamburger Institut für Sozialforschung viele Nachlässe – Tagebücher und Photos – ehemaliger Wehrmachtssoldaten zugeschickt.

Die Ausstellung hat in der Bundesrepublik eine Diskussion um die Verbrechen des nationalsozialistischen Krieges und den Umgang der Nachkriegsgesellschaft mit diesem Teil der deutschen Vergangenheit ausgelöst. Die Diskussion um die Ausstellung, die überwiegend positiven Reaktionen, aber gerade auch die vehemente Abwehr, die sich immer wiederkehrender stereotyper Anwürfe bedient, zeigt, daß die Ausstellung einen Nerv getroffen hat und zu einem wichtigen zeitdiagnostischen Instrument geworden ist. Sie hat von den synchron verlaufenden Diskussionen um das Buch von Daniel Goldhagen und den Tagebüchern Victor Klemperers profitiert und sie hat zugleich deren Ergebnisse bestätigt. Es gibt keinen Schlußstrich unter die NS-Vergangenheit und keinen Übergang zur Normalität.  

Konzeption und Recherche:
Dr. Bernd Boll (Freiburg), Hannes Heer (Hamburg), Dr. Walter Manoschek (Wien), Christian Reuther (Würzburg), Dr. Hans Safrian (Wien)

Visuelle Konzeption und Gestaltung:
Christian Reuther (Würzburg) und Johannes Bacher (Offenbach)

Leitung:
Hannes Heer (Hamburger Institut für Sozialforschung)

Ausstellungskoordination und Presse und Öffentlichkeitsarbeit:
Dr. Petra Bopp (Verein zur Förderung der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" e.V.)

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit:
Hamburger Institut für Sozialforschung: Dr. Regine Klose-Wolf

Literatur

Hannes Heer/Klaus Naumann (Hg.) - Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Hamburg: Hamburger Edition, 1995, jetzt Frankfurt/M., Zweitausendeins, 1997, 703 Seiten, DM 30,-

Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.) - Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Ausstellungskatalog. Hamburg: Hamburger Edition, 1996, 296 Seiten mit ca. 800 Abbildungen, DM 40,-/ÖS 312,-/SFr 39,-

Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.) - Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944, Broschüre, Hamburg: Hamburger Edition, 1995, überarbeitete Fassung 1997, 23 Seiten, 4,- DM

Hannes Heer (Hg.) »Stets zu erschießen sind Frauen, die in der Roten Armee dienen.« Geständnisse deutscher Kriegsgefangener über ihren Einsatz an der Ostfront. Hamburg: Hamburger Edition, 1995, Broschüre, 80 Seiten, DM 10,-

Walter Manoschek (Hg.) - »Es gibt nur eines für das Judentum: Vernichtung.« Das Judenbild in deutschen Soldatenbriefen 1939-1944. Hamburg: Hamburger Edition, 1995, Broschüre, 80 Seiten, DM 10,-

Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.): Krieg ist ein Gesellschaftszustand. Reden zur Eröffnung der Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«, Hamburg: Hamburger Edition, 1998, 213 Seiten, DM 20,-/ ÖS 146,-/ SFr 20,-

Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.): Besucher einer Ausstellung. Die Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« in Interview und Gespräch. Hamburg: Hamburger Edition, 1998, 250 Seiten, DM 48,-/ ÖS 350,-/ SFr 46,-

Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.): Eine Ausstellung und ihre Folgen. Zur Rezeption der Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«, Hamburger Edition 1999, 322 Seiten, DM 42,-/ ÖS 307,-/ SFr 40,-

Theo Sommer (Hg.) - Gehorsam bis zum Mord? Der verschwiegene Krieg der deutschen Wehrmacht - Fakten, Analysen, Debatte. Zeitpunkte 3/95, Hamburg: Zeitverlag, 1995, 7,- DM

Walter Manoschek, (Hg.) - Die Wehrmacht im Rassenkrieg. Der Vernichtungskrieg hinter der Front. Wien: Picus-Verlag, 1996, 223 Seiten, DM 39,80/ ÖS 298,-

Hans Günther Thiele (Hg.) - Die Wehrmachtsausstellung. Dokumentation einer Kontroverse. Dokumentation der Fachtagung in Bremen am 26. Februar 1997 und der Bundestagsdebatte am 13. März und 24. April 1997. Bremen: Edition Temmen, 1997, 224 Seiten, 14,80 DM

H.Donat/A.Stohmeyer (Hg.) - Befreiung von der Wehrmacht? Dokumentation der Auseinandersetzung über die Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« in Bremen 1996/97. Bremen: Donat Verlag, 1997, 253 Seiten, 24,80 DM

Reinhard Kannonier/Brigitte Kepplinger - »Irritationen«. Die Wehrmachtsausstellung in Linz. Grünbach: Buchverlag Franz Steinmaßl, 1997, 230 Seiten, 42,- DM

Heribert Prantl (Hg.) - »Wehrmachtsverbrechen«. Eine deutsche Kontroverse. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1997, 344 Seiten, 28,- DM

Landeshauptstadt München, Kulturreferat (Hg.) - Bilanz einer Ausstellung. Dokumentation einer Kontroverse um die Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« in München, Galerie im Rathaus 25.2. bis 6.4.1997. München: Knaur, 1998, 307 Seiten, 10,- DM

 

Pressestimmen (Link zum Hamburger Institut für Sozialforschung)


Oktober 1999  Der Humanist
erstellt von
Heike Jackler