Offener Brief an die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes Prof. Jutta Limbach

von Reiner Moysich (vom 28.11.2000)



Verhältnis von Staat und Kirche

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

Zunächst freue ich mich sehr, dass Sie im letzten Jahr wiederholt in Karlsruhe und anderen Orten in Zusammenhang mit der 50-Jahr-Feier der Erklärung der Menschenrechte darauf hingewiesen haben, dass die "Goldene Regel" die Grundlage der Menschenrechte und des deutschen Grundgesetzes ist, ohne die kein gedeihliches Miteinander möglich ist.

Auf dieser "Grundlage" fußen zwar vollständig die Menschenrechte, bisher aber leider nur zum Teil das deutsche Grundgesetz. Mehrfach wird dort die "Goldene Regel" sogar eher mit Füßen getreten, indem die christliche Religion massiv bevorzugt wird! Auf mein Thema angewandt lautet nämlich die "Goldene Regel": "Was du nicht willst, was man dir antut (hier: benachteiligt zu werden), das füg' auch keinem anderen zu!"

Man braucht nur mal die Grundgesetz-Bevorzugungen der Christen aus der Sicht einer anderen - gleichberechtigten(!) - Religion umzuformulieren. Dann stünde dort z.B. "Buddha" statt "Gott" und "Buddhistische Religionssteuer" statt "Kirchensteuer". Sicher würden dann sehr viele Christen sich noch viel stärker gegen solch eine Bevorzugung einer anderen Weltanschauung zur Wehr setzen, als ich es jetzt tue; zumal, wenn sie noch zusätzlich bei Arbeitslosigkeit solch eine abstruse Steuer abführen müssten!

Von daher war ich sehr enttäuscht und verärgert, dass Sie sich in einem Interview dafür ausgesprochen haben, den Begriff "Gott" im Grundgesetz stehen zu lassen (dies steht für mich zu Ihrer Meinung zur "Goldenen Regel" genau so in einem unauflösbaren Widerspruch wie die Grundgesetzbevorzugungen der Kirchen zu anderen Grundgesetzartikeln und den Menschenrechten). Meinen Sie nicht auch, dass das Grundgesetz für alle in Deutschland lebenden In- wie Ausländer eine "Heimstatt" bieten soll - und nicht nur für jene egoistischen Christen, welche weiterhin auf alle andere benachteiligenden Bevorzugungen bestehen? Können Sie sich nicht in die Lage der vielen Millionen Nicht-Theisten in Deutschland hinein versetzen, welche mit dem Begriff "Gott" auch das millionenfache grausame Abschlachten Andersdenkender im Namen "Gottes" verbinden?

Ich hoffe, ich kann Sie mit meinen Argumenten, die ich in meinem beigefügten Schreiben an Bundeskanzler Schröder und noch mehr in der Broschüre dargelegt habe, davon überzeugen, dass alle Bevorzugungen der christlichen Kirchen baldmöglichst aus dem Grundgesetz entfernt werden sollten. Ich finde, nur dann trifft Ihr Satz aus Ihrem Buch "Im Namen des Volkes" voll zu: "es … ist zu berücksichtigen, daß das Grundgesetz sich für eine pluralistische Gesellschaftsordnung entschieden hat."

Schließlich: Im Focus (Nr. 38/2000) wurde berichtet, dass die "Zeugen Jehovas" beim Bundesverfassungsgericht kirchenähnliche Privilegien erreichen wollen. Die (inzwischen stattgefundene) "mündliche Verhandlung soll eine öffentliche Debatte auslösen, wie weit der Staat religiöse Gruppen überhaupt beurteilen darf. Am Ende könnte - nach amerikanischem Vorbild - eine schärfere Trennung zwischen Staat und Religion stehen, hoffen Verfassungsrichter."

Meine Broschüre ist auch ein Beitrag für diese gewünschte "öffentliche Debatte". Hoffentlich wird recht bald eine strikte "Trennung zwischen Staat und Religion" erreicht und somit sämtliche schädigenden Bevorzugungen der Kirchen wegfallen - zum sehr großen Nutzen aller Menschen, egal welcher Weltanschauung!

Ich bitte sehr darum mitzuhelfen, alle Kirchenprivilegien abzuschaffen. Außerdem wäre es nett, wenn Sie mir mitteilen könnten, ob Sie - nach Berücksichtigung meiner Gegenargumente - weiterhin den Gottesbegriff im Grundgesetz befürworten.

Mit recht freundlichen Grüßen
Reiner Moysich


Januar2001, Der Humanist
erstellt von
Heike Jackler