Vom virtuellen Winde verweht

oder

Ein mediales Exkrement namens Margarethe Schreinemakers

Ein Nachruf von Christian Barduhn

 

„Im Leichentuch des Virtuellen ist der Leichnam des Realen für immer unauffindbar.“
(Jean Baudrillard)

Rein von der Logik her, müßte mit dem Ansteigen der Fernsehsender auch die Anzahl der Programm-Highlights in die Höhe schnellen. Aber dem Medium Fernsehen ist mit der Logik nicht beizukommen. Zäumen wir das Pferd mal von hinten auf. SAT.1 präsentiert uns mit Dieter Wedels DER KÖNIG VON ST. PAULI schon im Januar – laut Eigenwerbung des Senders – „das Fernsehereignis des Jahres“. Dabei ist Dieter Wedel ein Regisseur ohne visuelle Gestaltungskraft, der nicht in der Lage ist, das muffige Fernsehformat zu verlassen. Aus den knapp neuneinhalb Stunden seines letzten Werkes, DER SCHATTENMANN (D, 1995), blieb mir eine einzige Einstellung im Gedächtnis, die das Gefühlsleben der Hauptfigur des Charly Held (Stefan Kurt) in ein Film-Bild verwandelte. Das Jahr 1998 hat gerade erst begonnen, und es wird sicherlich noch den einen oder anderen Film geben, der das Desaster um den KÖNIG VON ST. PAULI, das schon nach dem zweiten Teil abzusehen ist, vergessen läßt.1

1997 gab es sage und schreibe zwei Sternstunden des Fernsehens. Da war zum einen DER SKORPION (D, 1997), der alles überragende Film von Dominik Graf. Ich höre schon die Einwände: „Aber da war doch noch DAS TODESSPIEL.“ Ja, es war da – leider. Denn Heinrich Breloers verlogenes zweiteiliges RAF-Dramolett ist nur eine manipulative Geschichtsbewältigung für das bourgeoise Feuilleton und das dummdeutsche Großbürgertum. DER SKORPION war all das, was ein Dieter Wedel niemals sein wird: kühn, mutig und mit einem kongenialen visuellen Konzept versehen, das sich zwingend aus der Handlung ergab und sich nicht wie z.B. in Friedemann Fromms SPIEL UM DEIN LEBEN (D, 1997) in aufgesetzt wirkenden Manierismen erschöpfte.

Zum anderen war da TALK 2000. Mit dieser achtteiligen Talk-Reihe versuchte Deutschlands enfant terrible, Christoph Schlingensief, den Beweis zu erbringen, daß jeder Mensch eine Talkshow moderieren könne. Der Beweis gelang ihm, und ganz nebenbei zertrümmerte Deutschlands intelligentester Filmemacher mit grimmiger Entschlossenheit das Talkshow-Prinzip für alle Zeiten. Nach TALK 2000 dürfte es eigentlich keine Talkshow mehr geben. Aber das deutsche Fernsehen nimmt seine Zuschauer nur im seltensten Fall ernst.

Kommen wir zum Jahr 1996 und damit zu der TV-Sternstunde, um die es mir eigentlich geht. Ein Ärgernis war die Sendung SCHREINEMAKERS LIVE schon immer. Ein abstruses Sammelbecken für Esoteriker, Zauberer, Wunderheiler und ganz normale Spinner. Stundenlang wischte die unkontrollierbare Tränendrüse, Margarethe Schreinemakers, den Bodensatz auf, den andere Sender nicht einmal mit der Klobürste zu berühren wagten. Woche für Woche leistete die mit einem manischen Sprechzwang Geschlagene aktive Lebenshilfe für Grenzdebile. Immerhin erreichte sie mit diesem Gebräu aus Anti-Aufklärung, Mob-Parolen, Budenzauber und BILD-Schlagzeilen runde sieben Millionen Zuschauer. Es folgte der Größenwahn und der – verdientermaßen – tiefe Sturz.

Da beweinte die Talkshow-Terroristin wochenlang in allen Medien, daß ihr der deutsche Fiskus angeblich etliche Milliönchen vorenthalte. Dickte die geschmacklose Soße noch mit abenteuerlichen Verschwörungstheorien an, wonach der Bundesfinanzminister Theo Waigel ihr höchstpersönlich, wegen eines Interviews mit seiner Ex-Frau, an den Hacken klebte. Großmäulig kündete sie an, diese „Affäre“ zum Thema in ihrer Sendung zu machen. In diesem Moment hätte jedem Zuschauer klar werden müssen, daß die saprophile Sauberfrau eigentlich auf ihre Klientel scheißt. Was hat sie von ihrer Fangemeinde, die zum größten Teil aus Hausfrauen, Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern bestand, erwartet? Mitleid dafür, daß sie mit Summen jongliert, die ihre Anhänger im ganzen Leben nicht aufs Konto hieven werden? Die Dreistigkeit dieser Aktion gipfelte ja dann darin, daß sie, die sich selber schon seit langem aus steuerlichen Gründen nach Belgien verirrt hatte, die Deutschen nun über Steuergerechtigkeit belehren wollte.

SAT.1 hatte den Wischmob der Ungerächten vorab gewarnt, ihr im Falle des Falles den Saft abzudrehen. Als Zuschauer war man also entsprechend präpariert. Es passierte tatsächlich: Die Paranoia-Prinzessin begann gerade ihr Schicksal zu begreinen – und der Bildschirm wurde ganz einfach dunkel. Aber die nächste Spaßattacke ließ nicht lange auf sich warten. SAT.1 oberster Programmverweser, Ulrich Meyer, der wohl unseriöseste Nachrichtensprecher im TV (naja, das Treppchen muß er sich schon mit Peter Hahne teilen), gab dann mit drohend zusammengezogenen Augenbrauen und finsterem Blick den Pausenclown. So gut kann Fernsehen sein. Spätestens hier hätte RTL ahnen müssen, daß mit der fleischgewordenen Fußgängerzone kein (Quoten-)Staat mehr zu machen ist. Zumal RTL eine andere, eine jüngere Zuschauerschaft anspricht. Deswegen sind bei dem Thoma-Sender auch die eigenproduzierten Filme, Serien und Talkshows immer einen Tick greller, bunter und lauter als bei der Konkurrenz. Aber da das Fernsehen auch ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, muß auch hier Lehrgeld bezahlen, wer nicht hören will.

Die Herrin des Sabbel-Terrors stürzte mit ihrer neuen Sendung SCHREINEMAKERS TV von Quotentief zu Quotentief und erreichte zum Schluß nicht einmal mehr drei Millionen Zuschauer. Weit entfernt von den vorgegeben vier Millionen wurde der leergelaufene Talkshow-Tamagotchi somit zum schwer entsorgbaren Sondermüll der TV-Geschichte. RTL zog mit sofortiger Wirkung die Notbremse und setzte die Kokolores-Königin kurzerhand vor die Tür. Am 18. Dezember 1997 hauchte der Herz-Schmerz-Saurier sein virtuelles Leben aus. Margarethe S. klagt jetzt gegen RTL, außerdem feilschen ihre Anwälte um eine Abfindung, die sich auf rund fünf Millionen Mark belaufen dürfte. Man kann nur hoffen, daß sie vor Gericht ein zweites Mal auf die Schnauze fällt. Aber selbst wenn die fünf Millionen Mark gezahlt werden müssen, sollte RTL das als Wohltat für die Fernsehnation verbuchen. Angesichts der Tatsache, daß man die Fratze dieses Fiesematenten-Furunkels vorerst nicht mehr auf der Mattscheibe sehen muß, spielt Geld nur eine untergeordnete Rolle.


1 Das einzige, das alle Filme von Dieter Wedel auszeichnet, sind die hervorragenden schauspielerischen Leistungen. So auch im KÖNIG VON ST. PAULI: der wunderbare Heinz Hoenig ist in Bestform und die Stemberger wirkt mal wieder herzerweichend zerbrechlich. Der größte Coup ist jedoch die Besetzung des Transsexuellen Karl-Heinz/Karin mit Florian Martens, der in der ZDF-Filmreihe EIN STARKES TEAM das Rauhbein gibt.


© Christian Barduhn, im Januar 1998    Index    Der Humanist