Die christlichen Wurzeln des Nationalsozialismus


Millenaristische Bewegungen und das Reich Gottes - Teil 8

Die Kirchen bekennen sich zum Kampf gegen die Juden

Der Beginn antijüdischer Maßnahmen durch die Nationalsozialisten wird von Kirchenvertretern mit vorauseilendem Gehorsam beantwortet. Den nur im staatlichen Bereich geltenden Arierparagraphen will die Generalsynode der evangelischen Kirche der Altpreußischen Union durch entsprechende Paragraphen in ihrer Kirche ergänzen. Sie tagt am 5. und 6. September in Berlin und beschließt ein "Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Geistlichen und Kirchenbeamten":

"§1 (1). Als Geistlicher oder Beamter der allgemeinen kirchlichen Verwaltung darf nur berufen werden, wer die für seine Laufbahn vorgeschriebene Bildung besitzt und rückhaltlos für den nationalen Staat und die Deutsche Evangelische Kirche eintritt.
(2). Wer nicht arischer Abstammung oder mit einer Person nicht arischer Abstammung verheiratet ist, darf nicht als Geistlicher oder Beamter der allgemeinen kirchlichen Verwaltung berufen werden. Geistliche oder Beamte arischer Abstammung, die mit einer Person nichtarischer Abstammung die Ehe eingehen, sind zu entlassen. Wer als Person nichtarischer Abstammung zu gelten hat, bestimmt sich nach den Vorschriften der Reichsgesetze."

Der Gleichschaltungswahn der Deutschen Christen (DC) erreicht im Herbst 1933 ein solches Ausmaß, daß der Berliner Pfarrer Martin Niemöller am 21. September 1933 in einem Rundschreiben die deutschen Pastoren zu einem "Pfarrernotbund" aufruft. [...] Jedes Mitglied verpflichtet sich u.a. mit seiner Unterschrift, "daß eine Verletzung des Bekenntnisstandes mit der Anwendung des Arierparagraphen im Raum der Kirche geschaffen ist."

Das bedeutet jedoch nicht, daß Martin Niemöller, der seit 1924 stets die NSDAP gewählt hat, und die anderen Pastoren des "Pfarrernotbundes" die staatlichen Maßnahmen gegen die Juden mißbilligen. Es bedeutet nicht einmal Solidarität mit den ev. "nichtarischen" Gemeindegliedern.

Am 2. November 1933 veröffentlicht Niemöller "Sätze zur Arierfrage in der Kirche": Die Erkenntnis, daß die christliche Gemeinschaft die bekehrten Juden einschließe, "verlangt von uns, die wir als Volk unter dem Einfluß des jüdischen Volkes schwer zu tragen gehabt haben, ein hohes Maß an Selbstverleugnung." Deshalb werde man "von den Amtsträgern jüdischer Abstammung heute um der herrschenden 'Schwachheit' willen erwarten dürfen, daß sie sich die gebotene Zurückhaltung auferlegen, damit kein Ärgernis gegeben wird. Es wird nicht wohlgetan sein, wenn heute ein Pfarrer nichtarischer Abstammung ein Amt im Kirchenregiment oder eine besonders hervortretende Stellung in der Volksmission einnimmt."
[KS113ff]

Nur wenig später verwahrte sich der von Niemöller, begründete "Pfarrernotbund" gegen Vorwürfe mangelnder Loyalität gegenüber dem Führer. In einer Erklärung vom 13. November 1933 heißt es:

"Die Mitglieder des Pfarrernotbundes stehen unbedingt zu dem Führer des Volkes Adolf Hitler. Sie schämen sich, daß sie durch kirchliche Gegner genötigt werden, diese Selbstverständlichkeit überhaupt auszusprechen."
[BW23]

Im Jahre 1935 werden die sogenannten Nürnberger Rassengesetze verkündet, die in der offiziellen Sprachregelung "Reichsbürgergesetz" und "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" heißen. Im Reichsbürgergesetz wird Juden und anderen Personen "artfremden Blutes" die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Das andere Gesetz, auch als "Blutschutzgesetz" bekannt, verbietet Eheschließung und Geschlechtsverkehr "zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes" bei Androhung von Zuchthausstrafe.

In seinem nach dem Kriege verfaßten Buch "Bekennende Kirche", das der Entlastung ihrer damaligen Mitglieder dienen soll, schreibt Wilhelm Niemöller 1952:

"Als am 15. September 1935 das ... 'Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre' herauskam, fand es eine unvorbereitete Christenheit in Deutschland, der es unmöglich war, mit einiger Geschlossenheit der neuen Gesetzgebung Widerstand zu leisten. Das galt für alle Konfessionen."
[KS124]

Doch so unvorbereitet dürfte die Christenheit kaum gewesen sein. Nicht nur hatten Vertreter beider deutscher Kirchen der Rassenhygiene das Wort geredet, die Rassengesetze waren schließlich nichts anderes als Wiederauflagen der schon früher von der Kirche verfügten Eheschließungsverbote gegen Juden, wie sie etwa im Mittelalter üblich waren. Neu daran war nur das Vokabular. So schreibt am 1. November 1935 der Marburger Theologieprofessor Martin Rade, Herausgeber der "Christlichen Welt", einst "das wichtigste Organ des kirchlich theologischen Liberalismus in Deutschland" zum "Blutschutzgesetz":

"Damit ist für die Geschlechter, deren arischer Charakter unangefochten dasteht, die Reinhaltung der Rasse garantiert." Mit den "Volljuden" solle der Staat verfahren, wie er wolle, doch die getauften Juden hätten einen Anspruch auf Schutz. Sein Rat, die "Halbarier" betreffend: "Rettung (!) bietet ihnen allein die Auswanderung. Am sichersten gemeinsame Siedlung im fremden Lande."
[KS124]

Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, daß sich die angebliche Rassenlehre hier einmal mehr als Ausgeburt einer christlichen Theologie entpuppt, denn wie anders könnte ein getaufter Jude mit einem Mal zum "Halbarier" avancieren.

Unter dem Datum des 28. Mai 1936 verfassen die Leitungsgremien des "Dahlemer Flügels" der zerstrittenen Bekennenden Kirche eine für Hitler bestimmte Denkschrift, die am 4. Juni in der Reichskanzlei landet. Verantwortet wird die - geheime! - Denkschrift von der "2. Vorläufigen Kirchenleitung" und dem "Reichsbruderrat". [...] Berühmt wird später der Satz: "Wenn dem Christen im Rahmen der nationalsozialistischen Weltanschauung ein Antisemitismus aufgedrängt wird, der zum Judenhaß verpflichtet, so steht für ihn dagegen das christliche Gebot der Nächstenliebe." ...
Die NS-Stellen reagieren nicht. Um so größer die Überraschung, als die Auslandspresse im Juli die Denkschrift abdruckt. Die "2. Vorläufige Kirchenleitung" der BK bittet daraufhin die Gestapo, nach dem Schuldigen zu fahnden.
Die Bekenntnisgemeinden werden am 23. August in einer Kanzelabkündigung über den Vorgang informiert [...] Der Passus über den Antisemitismus - auf den man nach 1945 stolz sein wird, fehlt allerdings.
Der - bis heute unbewiesene! - Verdacht, die Denkschrift der Auslandspresse "verraten" zu haben, fällt auf Dr. Friedrich Weißler, den Kanzleichef der "Vorläufigen Leitung" [...] Er wird am 16. September von der BK vorläufig beurlaubt. Die Gestapo verhaftet ihn Anfang Oktober. Die Bekenntnisleitung distanziert sich Ende Oktober noch einmal von ihm: Sie entläßt den Mann, der in den Händen der Gestapo ist, ganz offiziell.
Friedrich Weißler stirbt in der Nacht vom 18. auf den 19. November im KZ Sachsenhausen an den Folgen schlimmster Mißhandlungen. Die Bekennende Kirche hatte ihn - den getauften Juden - nicht auf ihre Fürbittliste gesetzt. Für ihren ersten Märtyrer hat die BK nicht einmal gebetet.
[KS125f]

So kann es dann auch nicht mehr überraschen, daß sich auch im Fall des Massenmords an den Juden die Kirchen nicht so sehr für das Verbrechen selbst oder die Opfer interessieren, sondern allenfalls für Fragen der kirchlichen Liturgie und Praxis. Nur wenige Kirchenvertreter setzten sich für die verfolgten Menschen ein, und häufig wurden sie dann gerade deshalb von ihrer eigenen Kirche im Stich gelassen.

Im Spätsommer 1941 wird der Holocaust der deutschen Juden vorbereitet. Am 1. September 1941 kommt die "Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden.". Danach müssen alle Juden, die das sechste Lebensjahr vollendet haben, einen "Judenstern" tragen (verboten wird ihnen dagegen das Tragen von Orden und Ehrenzeichen)...
Das Hilfswerk beim Ordinariat Berlin (geleitet von Dompropst Bernhard Lichtenberg), zunächst als Beratungsstelle für jüdisch-katholische Auswanderer gedacht und seit dem Auswanderungsverbot im Sommer 1941 eine Zufluchtsstätte der Verzweifelten, berichtet am 5. September 1941: "Schon in den ersten drei Tagen nach der Verkündigung des Gesetzes richteten katholische und evangelische Nichtarier und Arier, Priester und Laien in großer Besorgnis ob der möglichen Auswirkungen dieser Verordnung im kirchlichen Leben folgende Fragen an uns:

1. Muß der Judenstern auch in der Kirche während des Gottesdienstes getragen werden?
2. Dürfen die Juden trotz der Kennzeichnung und Brandmarkung durch den Judenstern am allgemeinen Gottesdienst teilnehmen?"
...
In dem Bericht des Hilfswerks beim Ordinariat Berlin heißt es weiter: "Andererseits sind sie aber auch bereit, alle Verfolgung durch Nichtkatholiken auf sich zu nehmen, der sie sich durch den Kirchenbesuch aussetzen; sie erkennen darin eine ihnen von Gott geschenkte Möglichkeit, durch ihr allen Gefahren, aller Verfolgung zum Trotz unbeirrt treues, auch äußerlich erkennbares Sich-Bekennen zur Wahren Kirche Christi sühnen zu dürfen, was das Judenvolk an Christus (!) gesündigt hat. Auch ganz ruhig und nüchtern Denkende sehen in dieser Kennzeichnung die Vorbereitung zu einem Pogrom..."
Eine ebenso absurde wie weitverbreitete Vorstellung: der Massenmord als Sühne für Christi Kreuzigung!...

Die Verzweiflung der "jüdischen" Katholiken wird von [Kardinal] Bertram wenig ernst genommen. Am 17. November 1941 schreibt er wegen der katholischen "Nichtarier" an [den Münchener Kardinal] Faulhaber: "Nebenbei sind wir besorgt, es sei vordringlicher, daß der Episkopat darauf bedacht sei, seine geringen Einflußmöglichkeiten zunächst auf andere, kirchlich wichtigere (!) und weittragendere Belange zu konzentrieren, ganz besonders auf die immer dringender werdende Frage, wie eine christentums- und kirchenfeindliche Beeinflussung in der Erziehung der katholischen Jugend wirksam zu verhindern ist."
[KS143ff]

Offenkundig sind es nicht Verbrechen wie der Massenmord an den Juden, oder die von Teilen der deutschen Armee in den besetzten Ländern verübten Greueltaten, welche der Bischof als Folge einer "christentums- oder kirchenfeindlichen" Propaganda befürchtet.

[A]m 17. Dezember 1941, die Abtransporte reichsdeutscher Juden in den Osten sind im Gange, melden sich die nationalkirchlichen Kirchenführer von Sachsen, Hessen-Nassau, Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Anhalt, Thüringen und Lübeck mit einem Aufruf: Auch gegen evangelische Juden seien "schärfste Maßnahmen" zu ergreifen, auch sie seien "aus deutschen Landen auszuweisen". "Rassejüdische Christen", so die NS-gläubigen Kirchenführer, hätten in der Kirche "keinen Raum und kein Recht."
[KS148]

Nun soll nicht vergessen werden, um was es sich bei diesen "schärfsten Maßnahmen" handelte. Deshalb sei hier die Aussage eines Kriminalangestellten bei einem Grenzpolizeikommissariat des Distrikts Krakau über die Erschießung von Juden zitiert:

"Die Mitglieder des Grenzpolizeikommissariats waren bis auf wenige Ausnahmen gerne bereit, bei Erschießungen von Juden mitzumachen. Das war für sie ein Fest! Die sollen doch heute nicht so reden! Da hat keiner gefehlt ... Ich betone nochmals, daß man sich heute ein falsches Bild macht, wenn man glaubt, die Judenaktionen wurden widerwillig durchgeführt. Der Haß gegen die Juden war groß, es war Rache, und man wollte Geld und Gold..."
[KJ78]

Ein SS-Obersturmführer berichtet über die Erschießung etwa neunzig jüdischer Kinder, deren Eltern bereits ermordet worden waren, im August 1941:

"Die Wehrmacht (!) hatte bereits eine Grube ausgehoben. Die Kinder wurden in einem Zugkraftwagen angebracht... Sie wurden oberhalb der Grube aufgestellt und erschossen, so daß sie hineinfielen. Wo sie gerade getroffen wurden, wurden sie eben getroffen. Sie fielen in die Grube. Es war ein unbeschreiblicher Jammer. Diese Bild vergesse ich nie in meinem Leben. Ich trage sehr schwer daran. Insbesondere ist mir ein Erlebnis mit einem kleinen blonden Mädchen in der Erinnerung, das mich an der Hand nahm. Es wurde später auch erschossen."
[KJ145]

Im Reich wollte man davon freilich nichts wissen, obwohl bereits seit 1940 vereinzelt Berichte über die Greuel auch bis zu den Oberhirten gelangten. Nicht nur über die Ermordung der Geisteskranken wußte man Bescheid. Doch man wollte lieber nicht so genau hinsehen.

Am 10. April 1943 schickt [Kardinal] Bertram statt eines Protestes gegen den Holocaust Hitler Glückwünsche zum bevorstehenden Geburtstag: "Ihre Sorgen sind unsere Sorgen... Die Tiefe unserer Sorgen kann nur der ermessen, der das Unheil ahnt, das dem Vaterlande vom Bolschewismus droht, und der die Tiefe des Gegensatzes kennt, der zwischen Bolschewismus und katholischer Religion besteht."
...
Am 2. Februar 1944 schreibt der Freiburger Erzbischof Konrad Gröber Pius XII. einen längeren Lagebericht. Gröber - 1934 mit sechs weiteren Mitgliedern seines Ordinariats Förderndes Mitglied der SS geworden - gewinnt sogar der Bombardierung Mannheims etwas Positives ab. Tausende von Mannheimer Kindern befänden sich nun als Evakuierte in Baden. Die Trennung von den Eltern habe sich "nicht selten als eine Art Wohltat erwiesen, weil manche Kinder jetzt zum erstenmal in eine wirklich warme, katholische Umgebung kommen, denn Mannheim galt bis in die Gegenwart hinein als ein gefährliches Kommunistennest."

Der Freiburger Erzbischof referiert dem Papst seine Silvesterpredigt: "Ich führte... aus, daß die neue Volksidee das Wesen des Christentums verkenne. Es sei kein Judentum, wenn es auch im israelitischen Volke den Träger und Vermittler göttlicher Gedanken und Verheißungen erblicke. Wie sich Christus selber zu dem zeitgenössischen Judentum gestellt habe, beweisen seine Kämpfe mit Pharisäern und Schriftgelehrten und das Kreuz auf Golgatha. Durch die Apostelgeschichte stehe fest, daß der Haß der Juden die Christen in der christlichen Frühzeit verfolgt habe..."

Wo eine Predigt wider den Holocaust angemessen gewesen wäre, predigt Gröber von der Christenverfolgung durch die Juden.

Der Erzbischof von Freiburg weiß dem Papst sogar noch 1944 Positives über den Nationalsozialismus zu berichten: "Wir verkennen manches Gute der neuen Weltanschauung nicht. Wir finden aber bei näherem Zusehen, daß es in ihrem Besten Kopie des Christtums [sic] ist."
[KS157f]

Eine - vielleicht unfreiwillig - scharfsichtige Analyse, deren Treffsicherheit viele moderne Historiker in ihren Werken zum Nationalsozialismus bedauerlicherweise noch lange nicht erreicht haben.


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Nachweise
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