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"Das gleiche Recht auch für Teenager"

Der Amerikaner Bennett Hasleton hat die Organisation "Peacefire" mit gegründet. Sie will Jugendliche vor der Zensur schützen

taz: Was ist Peacefire?

Bennett Hasleton: Wir haben Peacefire gegründet, um die Interessen von Kindern, Schülern und Studenten in der Diskussion über die Zensur des Internet zu vertreten. Als wir im August 1996 damit anfingen, gab es nur wenige, die sich gegen sogenannte Jugendschutzsoftware und Bewertungssysteme wehrten. Schließlich waren in erster Linie Erwachsene an der Diskussion beteiligt, und die gingen natürlich davon aus, daß solche Filter sie nie betreffen. Heute ist die Debatte etwas ausgeglichener, und auch die Interessen der Kinder werden offen angesprochen.

Filterprogramme wie Cyber Sitter werden auch in Schulen und Büchereien installiert. Lehrer oder Bibliothekare verstehen meistens nichts von Computern. Warum schalten die Jugendlichen das Zensurprogramm nicht einfach aus?

Es wird häufig übertrieben einfach dargestellt, die Filter zu umgehen. Die Behauptung, man müsse bloß die zum Programm gehörigen Dateien löschen, ist schlicht falsch. Aber es gibt natürlich bei den verschiedenen Filtern große Unterschiede. Bei manchen Programmen ist es schon recht simpel. Einige Schulen haben berichtet, daß die Schüler sie schon nach 15 Minuten zu umgehen wußten.

Die Mitglieder von Peacefire sind unter 21 Jahre alt. Sind Jugendliche besonders betroffen von der Zensur?

Der schwerwiegendste Fall von Internet-Zensur, den ich kenne, hatte gar nichts mit Filter-Software zu tun. Vor ungefähr zwei Jahren wurde ein Schüler namens Paul Kim von der Schule verwiesen, weil er - in seiner Freizeit! - eine Internet-Seite erstellt hatte, die eine Parodie seiner Schule darstellte. Die Schuldirektorin zog ihre Empfehlung für ein Stipendium und ein Empfehlungsschreiben an die Harvard-Universität zurück. Paul ging vor Gericht, um für sein Recht zu kämpfen, und wenn ich mich richtig erinnere, hat er gewonnen.

Kürzlich wurde ein weiterer Schüler verwiesen, da er eine Webseite erstellt hatte, auf der er seinen Musiklehrer kritisierte. Er verklagte seine Schule und wurde erfolgreich erneut eingeschrieben, jetzt verklagt er sie aufgrund des Vorfalls erneut auf Zahlung von 550.000 Dollar! Ich schätze, der Betrag ist idiotisch hoch, aber eindeutig handelt es sich bei solchen Fällen um die schlimmsten Fälle von Zensur überhaupt - wenn Minderjährige bestraft werden, weil sie Autoritäten kritisiert haben, die es verdient haben.

Der Communications Decency Act ist gescheitert. Manche fürchten, daß jetzt die Technik der Meinungsfreiheit engere Grenzen setzt als dieses Zensurgesetz. PICS, die "Platform for Internet Content Selection", geht noch über die bekannten Kindersicherungen hinaus. Sie macht es möglich, daß bestimmte Websiten schon beim Provider ausgesperrt werden.

Ich denke, daß das Ganze von der Politik gefördert wird. Dummerweise ist das einzige, was PICS stoppen könnte, der Hinweis, daß der Zugang von Erwachsenen zu Informationen ebenfalls blockiert werden könnte. Man denke nur an die Zensur auf der Serverseite oder gar bei den Suchmaschinen! Auf dieser Basis wurde PICS bisher kritisiert, es wird gesagt: "Diese Zensur betrifft alle, auch Erwachsene." Solche Begründungen passen uns natürlich gar nicht in den Kram. Demnach ist es also in Ordnung, wenn Jugendliche so behandelt werden. Die USA nehmen ihre Verpflichtung auf freie Meinungsäußerung verdammt ernst - auch Nazis, Rassisten oder überführte Kriminelle, die über ihre Sexualstraftaten schreiben, werden toleriert. Diese Leute sollen ja ihre freie Meinungsäußerung haben, aber dann ist es doch nicht zuviel verlangt, das gleiche Recht auch Teenagern zuzugestehen?

Offenbar schon. Auch in Deutschland herrscht die Meinung vor, daß bestimmte sexuelle Dinge Jugendliche gefährden.

Ich kann mich an keinen Tag in meinem Leben erinnern, an dem ich durch explizite sexuelle Inhalte verletzt worden wäre. Verwirrt, möglicherweise, aber nicht verletzt. Tatsächlich kann ich nicht nachvollziehen, wie irgend jemand, in irgendeinem Alter, durch Pornographie verletzt werden könnte. Ich vermute, wenn jemand sagt: "Das Kind wurde durch dieses oder jenes verletzt", meint er tatsächlich: "Die Eltern des Kindes fühlten sich angegriffen" - was natürlich nicht dasselbe ist.

Soll auch den Heranwachsenden Pornographie grundsätzlich frei zugänglich gemacht werden?

Nein, so weit würde ich nicht gehen. Ich denke einfach, daß es unrealistisch ist zu behaupten, es verletze die Konsumenten. Es ist eine Frage des guten beziehungsweise des schlechten und manchmal des sehr, sehr schlechten Geschmacks. Aber es ist keine Frage der Sicherheit.

Interview: Erik Möller

flagg@oberberg-online.de
Peacefire: www.peacefire.org

(Taz, 30. April 1998)