Zurück zur Hauptseite

(aus: Galaxis, Stand: November 1997 -- Links sind veraltet)

Erik Möller

Melodien für Millionen

Mittels neuer Methoden zur Datenkompression werden ganze Musik-CDs über das Internet übertragen. Hat das Urheberrecht in seiner jetzigen Form angesichts ständig wachsender Möglichkeiten zur Vervielfältigung geistigen Eigentums überhaupt noch eine Existenzberechtigung?


Der MP3-Compressor macht Audiodaten klein.
Eine schnelle Internet-Anbindung mit ISDN ist kein Luxus mehr. Trotzdem dürfte fast jeder, der schon einmal versucht hat, ein Video live über das Netz zu sehen, aufgrund langer Wartezeiten und nervender Festplattenzugriffe das Experiment enttäuscht abgebrochen haben. Denn für etwas anderes als Briefmarken-Videoübertragungen sind die 8 Kilobyte pro Sekunde bei Nutzung einer ISDN-Leitung einfach nicht ausreichend. Und daran wird sich auch mit neuen fraktalen Kompressionsmethoden für Videodaten nichts ändern.

Ganz anders sieht es im Audiobereich aus. Während Windows-Anwender ihre Audiodaten meist als platzaufwendige WAV-Dateien speichern, spielt sich im Internet ein Kampf um die beste Kompressionsmethode ab.

Daten unter Druck

Daten komprimieren, das heißt, nach komplizierten Algorithmen unnötige Zeichenfolgen wegzulassen oder durch Makros zu ersetzen. Ein simples Beispiel: Man nehme eine Datei von 40 Bildschirmseiten Umfang, die nur Nullen enthält. Eine solche Datei ließe sich vereinfacht darstellen durch die Zeichenfolge »40 Bildschirmseiten mit Nullen«, die gerade mal eine halbe Zeile füllt. Der Entpacker (oder auch »Decoder«) muß diese Zeile lesen und eine Datei nach der Vorgabe erstellen, die exakt dem Original entspricht.

Die oben erwähnten WAV-Dateien sind erschreckend groß. Eine ganze CD mit der Soundkartze zu digitalisieren und als WAV auf der Festplatte zu speichern, ist selbst für Verschwender kaum denkbar. Das deutsche Fraunhofer Institut Integrierte Schaltungen (IIS) hat daher einen neuen Kompressionsstandard entwickelt: MPEG-Audio. Die jüngste Version, MPEG Audio Layer 3 (MP3), ist in der Lage, eine Minute Audiodaten in CD-Qualität auf ein MB Größe zu reduzieren (siehe Tabelle).

Qualität Kompressionsverhältnis

Telefon 96:1
Besser als Kurzwelle 48:1
Besser als AM-Radio 24:1
FM-Radio 26 – 24:1
Verdammt nah an der CD 16:1
CD-Qualität 14-12:1

Die Kompressionsverhältnisse der verschiedenen MPEG3-Qualitätsstufen im Überblick (Quelle: MP3 -FAQ des Fraunhofer Instituts Integrierte Schaltungen)

Das musikalische Netz

Somit ist die Audio-Übertragung per Internet in einen bezahlbaren Bereich gekommen. Tausende von Usern weltweit wissen das bereits zu schätzen. Sie digitalisieren Musikdaten von Audio-CDs und nutzen Encoder-Software, um diese nach dem MP3-Standard zu kodieren. Meist kommt hier nicht die Software vom Fraunhofer Institut zum Einsatz, denn die ist schrecklich langsam. Statt dessen werden Programme wie der »MP3 Compressor« verwendet [1]. Der ist ein illegaler Hack der »MP3-Producer« Software von Fraunhofer.

Zur Wiedergabe steht dem User dann eine große Auswahl an »Playern« zur Verfügung. Bei seinem Erscheinen hat sich der »Winamp« für Windows 95, ein uneingeschränktes Shareware-Produkt von Nullsoft, recht bald als neuer Standard etabliert [2].

Mit MP3 und ähnlichen Standards (auch das Real Audio Format ist gerade für Live-Übertragungen hochinteressant [3]) wird die Musikpiraterie ein bisher nie gekanntes Ausmaß annehmen. Fakt ist, daß es schon unzählige FTP- und Webseiten gibt, die sich mit MP3-Audio beschäftigen [4]. Und wie sich gezeigt hat, können solche Seiten nicht immer mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden.

Law and Order


Winamp, der beste MP3-Player für Windows 95
Denn die Konsequenz für den Betreiber besteht meist nur in einer Löschung vom Server, so daß er sich eine Alternative suchen kann. Zudem werden beliebte Seiten oft anderswo »gespiegelt«, also in identischer oder leicht veränderter Form auf einem anderen Server abgelegt.

Und schließlich kann selbst durch Sperrung aller MP3-Server die Verbreitung der Dateien nicht sicher unterbunden werden. Denn die »Person-to-Person«-Übertragung über IRC oder gar E-Mail entzieht sich völlig dem (offiziellen) Kontrollbereich der Behörden. Wenn eine Musikdatei einmal ins Netz gelangt ist, findet sie sich bald auf zahllosen Festplatten wieder.

Vorsicht, Utopie!

Angesichts dieser Tatsachen muß man eine oft tabuisierte Frage stellen dürfen: Macht es einen Sinn, ein Gesetz aufrechtzuerhalten, dessen Einhaltung trotz hoher Kosten nicht einmal annähernd sichergestellt werden kann? Das Urheberrecht zum Schutz geistigen Eigentums sieht eine Frist von 70 Jahren nach dem Tod des Autors vor, bis ein Werk frei kopierbar ist.

Würde man diese Frist aber auf 2 Jahre nach Erscheinen des Werkes reduzieren, könnte dies vor allem dem Nutzer zugute kommen. Denn es würde den Wettbewerb verschärfen, und neue, unkopierbare Service-Leistungen würden ins Angebot aufgenommen werden. Nach 2 Jahren kräht in der Regel ohnehin kaum ein Hahn resp. Buch- oder Musikhändler mehr nach den ehemaligen Bestseller.

In der Realität wird wohl statt dessen das illegale Kopieren munter weitergehen, und die daraus resultierende Strafverfolgung wird sich verstärken.

[1] http://www.linkline.be/~ced/mp3bench/ enthält einen Vergleich der besten MP3-Encoder und Player.
[2] Die Winamp-Homepage: http://winamp.lh.net.
[3] Die Homepage von RealNetworks, Hersteller des Real Audio/Video-Players: http://www.real.com.
[4] Eine Liste ausgewählter Seiten zum Thema MP3: http://www.mpeg3.org/sitelist/. Eine davon ist das »Smashing Pumpkins Audio Archive«, ein gigantisches MP3-Musikarchiv, das sich nur mit der Gruppe »Smashing Pumpkins« befaßt: http://www.starla.org/spaa/