Matthias und Gülsüm - ein ganz normales Liebespaar

Der Humanist: Gesellschaft und Medien: Matthias und Gülsüm - ein ganz normales Liebespaar
Von
Timmy am Samstag, den 6. Mai, 2000 - 20:19:

Dieses soll der Ausschnitt aus einer tragischen Liebesgeschichte sein, die vor allem mit einigen Klischees aufräumen möchte. Die Handlung und auch die Romanfiguren sind rein fiktiv, allerdings habe ich einige Erfahrungen von mir mit in diese Story eingebaut u.a. die Liebe zu einer Türkin. Diese Geschichte soll aber auch doch unterschiedliche Lebensweise der Türken in Deutschland veranschaulichen und handelt von Türken, die halt sehr westlich leben, genauso auch von Türken, die noch sehr in ihrer Tradition verhangen sind. Insbesondere wird hier auch die Religion und Philosophie der Aleviten (eine islamische Glaubensrichtung und Philosophie in der Türkei, die als liberal gilt) angesprochen, da die Romanfigur Gülsüm dieser angehört.


Matthias und Gülsüm - Ein ganz normales Liebespaar

1. Das Totengebet

Ich war am Boden zerstört: Tieftraurig blickte ich auf das offene Grab und konnte den Schmerz einfach nicht begreifen. Der Iman sprach das Totengebet ganz nach alevitischer Tradition und alle Verwandten von Gülsüm und auch meine Eltern und Geschwister hatten sich nun um das offene Grab versammelt. Nur meine kleine Yasemin war nicht dabei gewesen, Birgit, eine alte Schulkameradin und Freundin von mir hütete sie.
"Gülsüm, wieso hattest du uns und mich verlassen,"....immer wieder stellte ich mir die gleiche Frage und bekam dann doch keine Antwort.
Es war der härteste Tag meines Lebens....was war passiert: Nun Gülsüm hatte sich auch ausgerechnet an diesem naßkalten Novembermorgen mit ihrer Harley-Davidson auf die Straße begeben. Draußen war es noch überall stockdunkel, aber irgendwie mußte sie ja nun zur Arbeit kommen, über die alte huckelige Landstraße.
Dabei wollte ich sie nun mit dem Auto hinfahren....jetzt bei dem gefährlichen Aqua-Planing.
Doch sie wollte einfach nicht hören. "Todesmutig" schwang sie sich auf die Harley und düste in die Dunkelheit.
1 Stunde später klingelte plötzlich bei mir das Telefon. Mit einem komischen Gefühl im Bauch näherte ich mich langsam dem Telefon, das nun unaufhaltsam klingelte. Irgendwie machte es mir Angst - dieses Klingeln wollte gar nicht aufhören zu klingen....es wollte mir unbedingt diese traurige Nachricht überreichen, die schlagartig mein Leben ändern würde.
Schlagartig würde das zerstört werden, wofür ich monatelang gekämpft hatte....für eine Liebe, eine ganz besondere Liebe....einer Liebesbeziehung zwischen einem Christen und einer Muslimin. Einer Liebesbeziehung zwischen 2 Kulturkreisen, die von Anfang an nicht von jedem gern gesehen worden war.
Nun nahm ich doch das Telefon ab....ich mußte mich der Wahrheit stellen. Am anderen Ende meldete sich eine etwas monotone Stimme mit den Worten: "Herr Matthias Heinrichs. Das sind Sie doch oder nicht ? Sind Sie nicht der Ehemann von einer Frau Gülsüm Heinrichs geborene Yildirim ?"
Wie in Trance erwiderte ich mit einem monotonen Ja.
" Ich muß Ihnen eine traurige Nachricht mitteilen," nun hob sich seine Stimme ein wenig und er fuhr fort: " Ihre Frau ist vorhin hier schwerverletzt ins St. Anna-Hospital eingeliefert worden. Doch wir konnten nichts mehr tun. Sie ist vor 5 Minuten an den schweren inneren und äußeren Verletzungen verstorben. Wir haben Sie draußen auf der Emser Landstraße vor einem Baum aufgegabelt. Sie muß mit Vollkaracho vor einen Baum geschleudert worden sein. Es tut mir sehr leid Ihnen dieses mitteilen zu müssen."
Dieser Augenblick sollte mein Leben prägen...alles war nun verloren, wofür ich die letzten 2 Jahre gekämpft hatte. Mein Leben machte keinen Sinn mehr und nun wieder kehrten meine Gedanken zurück an das Grab, wo Gülsüms Leichnam, in ein Tuch gehüllt, in die Erde gelassen wurde - der Iman sprach dazu immer noch das Totengebet aus dem Koran auf Türkisch.
Es waren insgesamt ca. 40 Leute, die sich um das Grab versammelt hatten. Erkan Yildirim, mein Schwiegervater, war ein alter Mann geworden und seine Frau Nuray stand dabei. Er hatte auf einen Schlag seinen ganzen Stolz verloren, seine kleine Gülsüm. Er hatte sie als einziges Mädchen immer verwöhnt und hatte ihr immer genauso viele Rechte eingeräumt, wie deutsche Mädchen sie auch hatten, auch wenn er damit manchmal bei strenggläubigen Arbeitskollegen aneckte.
Er wollte, das Gülsüm es besser haben sollte als er damals. Er, der vor 30 Jahren seine Heimat verließ, raus aus dem strengen Elternhaus ins liberale Deutschland.
Hier hatte er Nuray kennengelernt und hatte sie erst gegen den Willen seines strengen Vaters geheiratet. Sein Vater hatte eigentlich vorgesehen, das er als Vater seinem Sohn die passende Braut aussucht. Irgendwann dann hatten die Eltern es dann doch akzeptiert das ihr Sohn, die aus liberalem Elternhause stammende Istanbulerin Nuray heiratete.
Erkan wollte das seine eigene Tochter glücklich würde, mit dem Mann den sie wirklich liebte, egal ob dieser nun Kurde, Türke, Aramäer oder Deutscher war.
Erkan arbeitete auf einem Schlachthof mit vielen Nationalitäten zusammen, vor allen Dingen natürlich mit Türken. Viele von ihnen waren in Punkto Glauben sehr religiös und strenggläubig und hatten ganz andere Ansichten in Bezug auf Frauen, Erziehung und Glauben als Erkan.
Erkan war Alevit, ein westlichorientierter Türke, der den Gebotskanon des Koran in großen Teilen nicht ausübte wie z.B. das 5 malige Beten am Tag oder das Fasten im Fastenmonat Ramaddan. Lediglich einmal pro Woche ging er zusammen mit seiner Frau in das Versammlungshaus des alevitischen Kulturverein, wo er im Kreise der Aleviten betete und mit ihnen Gottesdienst abhielt.

2. Die Krankenschwester mit den schwarzen Locken

Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern: Es war an einem Frühlingstag vor über 2 Jahren gewesen, und ich mußte wie etwa jeder zweite deutsche Mann meinen Zivildienst ableisten.
Nun, meine Verweigerung hatte ich gut hinter mich gebracht und wurde schließlich einen Monat vor dem Antreten meiner Zivildienststelle als "Kriegsdienstverweigerer" anerkannt.
Zwar hatte ich an jenem Aprilmorgen nicht auf dem Kasernenhof zu erscheinen, aber wenn ich daran dachte im Sankt-Anna-Hospital anfangen zu müssen, um den Urinkellner zu spielen, war mir gar nicht nach Aufstehen zu Mute.
13 lange Monate Urinkellner und AOK-Schopper-Fahrer zu spielen, darin würden meine Aufgaben bestehen.
Naja, mit etwas miesepetrigen Gesicht ging ich also dem Tag entgegen.
Das Sankt-Anna-Hospital wirkte von außen etwas unfreundlich und wenig einladend. Nein, die großen Fenster und die nicht gestrichene Außenfassade machte dieses Krankenhaus zu einen unbeseelten und kalten Ort, wo man seine Krankheiten nicht in Ruhe auskurieren konnte, sondern froh war dieses Krankenhaus hinter sich zu lassen, ob nun tot oder lebendig.
Als ich das Gebäude betrat, wurde ich allerdings eines Besseren belehrt. Nicht, das ich noch nie in diesem großen, häßlichen Kasten gewesen war, doch klar, schließlich hatte ich mich hier beworben, allerdings ohne auf die Optik des Krankenhauses zu achten. Ich mußte ja schließlich innerhalb einer Frist von 6 Wochen eine Zivildienststelle suchen, nun ja und ich war bei der Auswahl nicht gerade sehr erfinderisch und nahm das an, was sich anbot.
Nachdem ich mich bei der Pflegedienstleitung vorgestellt hatte, führte man mich auf die Station 9, einer Station für Krebskranke. Hier sollte ich anfangen.
Diese Station wirkte auch gar nicht so abweisend und die Kranken, die hier lagen merkte es man nicht an, das sie vielleicht in ein paar Tagen ein paar Etagen tiefer lagen.
Man stellte mir das Team auf dieser Station vor: Da waren in der Frühschicht gerade Anke, Stefan, Marlene, Henrike und die junge Stationsärztin Dr. Bielefeld.
Ich kam mir ein wenig schüchtern vor und es fiel mir plötzlich schwer ein Wort rauszubringen. Aber so war ich manchmal, ein wenig zurückhaltend. Es war auch das neue Unbekannte, wo ich nicht wußte, was mich hier erwartete.
Vielleicht würde ich auch schönes erleben, ja aber mit Sicherheit würde ich Schönes erleben. Plötzlich dachte ich mir, wäre es ja doch nicht so schlecht hier meinen Zivildienst anzufangen, denn wie schon erwähnt machte die Station, aber auch das Personal einen freundlichen einladenden Eindruck auf mich, ganz anders als die Optik des Krankenhauses.
Marlene und Henrike waren schon so um die 40 - Frauen, die schon lange eine Familie gegründet hatten und deren Kinder nun dabei waren die Grundschule zu verlassen.
Marlene war etwas forscher und hatte auch kein Problem damit unverschämten Krankenhausbesuchern die Meinung zu geigen, aber nicht nur das auch die Pflegedienstleitung hatte doch recht viel Respekt vor ihr - sie war halt eine Frau, die sich nicht von der Pflegedienstleitung und anderen des Hauses herum kommandieren ließ.
Henrike dagegen war eher die Liebe, die oft die Arbeit für die Anderen tat, ohne sich dabei ausgenutzt zu fühlen.
Anke und Stefan waren ein paar Jahre älter als ich und hatten vor nicht allzu langer Zeit ihr Exam hinter sich gebracht.
Anke und Stefan waren eigentlich Personen, die man nicht groß beschreiben konnte.....sie hatten beide nichts markantes in ihrer Art, was sie von anderen auszeichnete.
Aber mit allen verstand ich mich wirklich gut, so war das mein Gefühl.
Vielleicht, so dachte ich mir, könnte ich mich auch ein wenig mit Anke und Stefan privat anfreunden, auch wenn sie vielleicht auf den ersten Blick etwas langweilig und schon zu "normal" waren. Aber je länger ich mit ihnen meine Arbeitszeit verbrachte, desto interessanter wurden sie, auch wenn immer noch keine markanten Charaktereigenschaften zum Ausdruck kamen......es waren eben keine extremen Menschen und das war ja auch etwas, was man durchaus schätzen konnte.
Nun neigte sich mein erster Arbeitstag dem Ende zu und man hatte mir fast alles schon gezeigt, was ich wissen sollte, aber natürlich doch wieder sofort vergaß (in der Beziehung hatte ich halt ein Gedächtnis von 12 bis mittags). Nun sollte wohl die Spätschicht kommen, auf die ich auch schon sehr gespannt war, denn ich würde auch mit den Leuten, die an diesem Tag die Spätschicht hatten, Dienst haben.
Es war 13.27 Uhr und der Schichtwechsel kam immer näher, wer mochten wohl die Leute sein, die jetzt Spätschicht hatten.
Und dann um genau 13.28 Uhr und 22 Sekunden kam die 3 Schwestern, die heute Spätschicht hatten, hereingeschneit und fast alle auf einmal:
Schwester Ursula, Schwester Hedwig - mir stockte fast der Atem - und ein Mädchen, kaum älter als ich mit schwarzen Locken, einem süßen Gesicht und einer Bombe von Figur. Sie machte einen sehr südländischen Eindruck.....doch wie mochte sie heißen....sie hatte ihr Namensschild noch nicht an den weißen Kittel befestigt.
Doch dann holte sie ihr Namensschild aus der Tasche des Kittels und machte es an ihrer Brust fest: GÜLSÜM YILDIRIM.
Sie guckte mich ganz erstaunt mit ihren wunderschönen braunen Rehaugen an und schien wie ich auch sprachlos zu sein.
Und wußte nicht was ich hervorbringen sollte außer ein schüchternes Hallo und ohne groß nachzudenken, flüchtete ich auch aus dem Raum Richtung Umkleide. Das Herz fing an wie wild zu pochen......Oh mein Gott, ich war verliebt. Wieso ausgerechnet jetzt ??


3. Eine hoffnungslose Liebe ???

Ich mußte jetzt erst einmal ganz ruhig werden, um meine Gedanken klar ordnen zu können. Es hatte mich nun wirklich erwischt und nun wo ich nach Hause fuhr, begann meine Sehnsucht diese Gülsüm wiederzusehen.
Ich dachte mir, das war doch eigentlich alles kein Problem. Vielleicht wäre es sogar möglich mit dieser Gülsüm eine Beziehung anzufangen. Aber ich glaube da dachte ich an jener Stelle schon zu weit.
Erst einmal mußte ich mir folgender Situation klar werden: Gülsüm, das war ein türkischer Name, da gab es gar keinen Zweifel.......eine Türkin, oha !!!!!!
Nein, ich war wirklich der Letzte der ausländerfeindlich war, ich kam wirklich mit Italienern, Polen und Spaniern gut zu recht, aber der Umgang mit Türken war schwierig....schon wegen ihrer Religion.
Ich erinnerte mich nämlich an die Schulzeit zurück....da war auch eine Türkin namens Fatma in meiner Klasse, wir waren damals vielleicht 16, 17.....Es war nach den Sommerferien gewesen: Fatma war ein irgendwie immer aufgeschlossenes und aufgewecktes Mädchen, aber jeder von uns wußte, daß sie zu Hause sehr kurz gehalten wurde. Außerhalb der Schule hatte kaum einer mit ihr Kontakt und auf Klassenfahrten und Parties durfte sie nur im Ausnahmefall.
Sie kam an diesen Morgen nach den Schulferien weinend in die Klasse. Als sie dann mit ihren Sorgen in der Schulpause herausrückte hieß es, sie sei in diesem Sommer in der Türkei verheiratet worden. Nun würde ihr Angetrauter bald nachkommen. Da stockte mir der Atem.
Obwohl ich natürlich auch wußte, das es den meisten türkischen Mädchen nicht so ergehen würde wie Fatma, so war mir doch klar, daß es auch heute nicht überall selbstverständlich ist, daß sich türkische Mädchen ihren Ehemann selber suchen.
Ich kam nach Hause, wo schon meine Mutter mit dem Essen wartete. Ja meine Mutter wartete mit dem Essen. Das tat sie immer, so nach alter Herrensitte, wie sie es die vergangenen 20 Jahre auch immer getan hatte. Irgendwie hatte ich mich immer etwas unterdrückt gefühlt - schon, daß sie auf mich wartete, damit ich und sie gemeinsam Essen konnten, war für mich ein Art Greuel. Andere in meinem Alter hatten schon eine eigene Wohnung und eine feste Freundin...ich dagegen hatte gerade mal mit Ach und Krach meinen Führerschein bestanden und Flirts waren die einzigste Erfahrung, die ich bis jetzt mit Mädchen hatte.
Aber das meine Mutter mit dem Essen auf mich wartete hatte auch einen guten Grund, denn meine Mutter konnte schlecht alleine sein, war seit 7 Jahren geschieden und hatte sonst keinen außer mir, der mit ihr zusammenlebte.
Meine beiden großen Schwester Sabrina und Merle waren seit 4 Jahren aus dem Haus. Merle, die Älteste von uns, hatte den Beruf der Lebenskünstlerin gewählt - erst sich hier und dort durchgebissen und sich anschließend mit einem Tattoo-Shop selbstständig gemacht.
Sabrina dagegen hatte eine richtige Ausbildung zur Hotelfachfrau absolviert und war deswegen auch einige Jahre im Ausland, hatte sogar mal 2 Jahre als Stewardess gearbeitet.
Mam war eigentlich nicht so spießig und hatte Sabrina, wie Merle gewähren lassen, doch seitdem mein Vater bei uns ausgezogen war, hatte sie in manchen Dingen etwas komische Ansichten. Auch bei mir, denn während meine Schwestern vor 4 Jahren ausgezogen waren, klammerte sie sich nun besonders an mich. Ich mußte ihr oft zuhören, viel mit im Haushalt helfen, so daß nicht viel Zeit für mein Privatleben blieb. Da sie mich oft von ihren Sorgen erzählte, wollte sie auch gerne immer alles von mir erfahren, so wie an diesem Mittag auch mal wieder.
"Na Jürgen, wie war es denn so im Krankenhaus heute ?? Hast du dort nette Kollegen ?" wollte sie wissen. Mit einem "Ja doch, es war nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt hatte," versuchte ich das Gespräch mit ihr möglichst kurz zu halten. Naja so ganz einfach war das natürlich nicht, aber irgendwie schaffte ich es durch eine gewisse Einsilbigkeit mich auf das Nötigste zu beschränken.
Auf gar keinen Fall wollte ich ihr von Gülsüm erzählen, aber wie sollte ich auch, außer einem netten Lächeln, hatte ich mit ihr ja noch nicht kommuniziert.

Dann fiel mir etwas auf....da lag die Zeitschrift Stern auf dem Küchentisch, aufgeschlagen. Was war den das für ein Artikel ? fragte ich mich. Er handelte über Ausländer in Deutschland - über so genannte Vorzeigetürken, wie es in der Überschrift hieß.
Meine Augen flohen flüchtig über die Zeilen, wo was von Cem Özdemir, Fikriye Selen oder auch Mehmet Scholl die Rede war. Der Artikel handelte über Ausländer, die sich in Deutschland integriert und was erreicht hatten.
Meine Mutter las solche Artikel ? fragte ich mich, oder hatte sie nur zufällig diese Seiten aufgeschlagen. Naja, wie auch immer, jedenfalls handelte der Artikel von Personen, bei denen die Integration wunderbar geklappt hatte. Aber wie sah es mit der Liebe aus, würden diese integrierten Menschen mal einen Deutschen oder eine Deutsche heiraten oder blieben sie unter sich, wenn es um die Partnerwahl ging ?
Gedanken um Gedanken kamen mir auf, aber was sollte das ? Ich müßte Gülsüm erst einmal kennenlernen und vielleicht würde sich dann bald automatisch was ergeben.
Ich grübelte noch den ganzen restlichen Abend über Gülsüm und lief eigentlich den gesamten Nachmittag und Abend nur nervös in der Wohnung hin und her, griff mal zu Fernbedienung des Fernsehers, zappte durch die Programme und blätterte gedankenlos in irgendwelchen Frauen-und Astrozeitschriften meiner Mutter. Auch in der Nacht konnte ich schlecht schlafen, denn erst gegen Morgen, wo es Zeit wurde aufzustehen, schlief ich tief und fest.
Das ging so die ganze restliche Woche, mehr oder weniger und auch meine Mutter fragte sich natürlich, was mir so durch den Kopf spukte.
Doch dann passierte etwas, was mich endlich ein wenig näher an Gülsüm ranbringen sollte.

4. Die Kette mit dem Schwert

Es passierte am Freitag Mittag und wir waren gerade dabei die Schicht zu wechseln, d.h. ich hörte gerade mit meiner Schicht auf und Gülsüm fing nun mit ihrer Schicht an. Man sagte sich Hallo und war dann auch schon fast verschwunden.
Dann war ich auf dem Weg zur Umkleide, die im Keller lag, wobei sich die Frauenumkleide neben der Männerumkleide befand. Ich mußte erst an der Frauenumkleide vorbeigehen, ehe ich die Tür der Männerumkleide erreichte, doch was entdeckten dort meine Augen vor mir auf dem Fußboden liegen: Es war eine Kette. Jemand hatte eine Kette verloren, doch das war noch nicht alles, denn an dieser Kette war ein Krummschwert befestigt, das von kleinen Sternen umrandet war. Ich hob die Kette auf und betrachtete sie nun im Licht der Neonröhre. Dann betrachtete ich nochmal dieses Krummschwert, was als Symbol an der Kette hing und so, daß dort der Name Gülsüm eingraviert war.
Einige Gedanken schossen mir durch den Kopf.
War das etwa Gülsüms Kette ? Was hatte diese Kette für eine Bedeutung, fragte ich mich, denn ich hatte nie zuvor jemanden gesehen, der eine Kette mit einem Krummschwert dran trug. Vielleicht war ja dieses Krummschwert ein islamisches Symbol, dachte ich mir. War etwa Gülsüm streng religiös ??

Nachdem ich mich also umgezogen hatte, ging ich also nochmals zur Station 9 herauf zu Gülsüm.
Ich betrat nochmals das Stationszimmer und siehe da, Gülsüm war gerade damit beschäftigt die Medikamente für die Patienten herzurichten und zu dosieren.
Sie war momentan die einzigste Person, die sich in dem Stationszimmer befand.
Erstaunt blickte sie auf, als ich das Zimmer betrat.
Stockend und ein wenig rot entgegnete ich ihr fragend: "Ähhh, ist das zufällig Deine Kette ?" "Ja," reagierte sie ein wenig verwundert. "Danke, habe ich die doch tatsächlich irgendwo auf dem Weg zur Umkleide verloren. Ich hatte sie mir noch nicht umgehängt. Aber woher wußtest Du denn, daß sie mir gehört ?" sah sie mich weiter fragend an.
"Nun," nun wurde ich noch roter und begann ein wenig zu stottern. " Dein, dein Name. Der war auf der Rückseite eingraviert. Gülsüm, so heißt du doch ?"
"Ja, klar. Ich heiße Gülsüm. Donnerwetter, das Du jetzt schon meinen Namen kennst, wo ich mich noch gar nicht vorgestellt habe." "Ja," erwiderte ich nun mit neuen Selbstbewußtsein und schon einer gewissen Vertrautheit. " Schöne Damen vergesse ich nicht so schnell. Schließlich hattest Du dir am ersten Tag, wo ich gekommen war gerade Dein Namensschild angeheftet." " Ja, tatsächlich?" fragte sie erstaunt und dachte nach.
Anschließend meinte sie doch, ich könnte mich doch noch einen Moment zu ihr gesellen, denn während sie nun in Ruhe die Medikamente vorbereitete, waren ihre beiden Kollegen unterwegs die Patienten aufs Klo zu bringen oder ähnliche Tätigkeiten auszuführen.
"Weißt Du diese Kette, die Du vor der Umkleide gefunden hattest, hat für mich halt symbolischen Charakter und symbolisiert meine Religion nach außen," versuchte sie mir zu erklären. "Ich bin Muslime, aber dieses Symbol ist gerade für mich besonders wichtig, nicht das ich jetzt sonderlich gläubig wäre oder so, aber die Gruppe Moslems, der ich angehöre, unterscheidet sich doch sehr in dem Praktizieren des Glaubens gegenüber anderen moslemischen Gruppen. Vielleicht weißt du, daß die meisten Moslems der Gruppe der Sunniten angehören. In der Türkei jedenfalls ist das so, daneben allerdings gibt es noch eine Gruppe, die sich allerdings in der Öffentlichkeit nicht so stark nach außen repräsentiert: Das ist die Gruppe der Aleviten, der in der Türkei vielleicht 1/4 der Bevölkerung angehört. Ich bin auch eine Alevitin und diese Kette ist Symbol meiner Religion. Hier in Deutschland soll dieses aber auch symbolisieren, daß wir Aleviten uns klar von den Vorstellungen radikaler Moslems trennen. Es ist das Zülfikar, das Schwert Alis, der Schwiegersohn des Propheten Mohammeds, der einen Märtyrertod gestorben war..." Interessiert lauschte ich ihren Erklärungen und sie schien darüber sehr erfreut zu sein. Anschließend fragte sie mich, ob ich nicht Lust hätte mit heute Abend zur Flirtparty ins SATURDAY NIGHT zu kommen, denn bisher hatte sie noch keinen gefunden, der mit wollte. Da konnte ich natürlich nicht widerstehen und wollte natürlich mit. Wir hatten beide am morgigen Tag Spätschicht und auch am Sonntag. Ich fand es nur Schade, daß ich in der kommenden Woche erst einmal 3 Wochen auf einen Zivilehrgang mußte.

5. (FRIDAY) SATURDAY NIGHT

Es war ein stürmischer und regnerischer Abend, denn nun zeigte sich der April nochmal von seiner launischen Seite. Es war Freitag gewesen, der Freitag nachdem ich meinen Zivildienst angefangen hatte und auch der Freitag, wo ich mich mit Gülsüm zusammen ins Saturday Night verabredet hatte.
Ich und Gülsüm hatten verabredet, daß wir beide einzeln kamen. Ich wußte nicht genau weswegen sie auf die Idee kam sich mit mir zusammen auf einer Flirtparty zu treffen. Wahrscheinlich hatte sie wohl keinen Kollegen gefunden, der mit ihr dort zusammen hin wollte, denn von unserer Station mußten die Jüngeren die Frühschicht übernehmen oder waren schon fest liiert.
Was aber war mit Gülsüm, hatte sie keinen Freund, oder durfte sie keinen haben, diese Frage hatte sie mir noch nicht beantwortet, statt dessen hatte sie mir das Symbol ihrer Kette erklärt, merkwürdig, wie ich fand.
Ich war zwar noch nicht im Saturday Night gewesen, aber das Saturday Night war nicht gerade dafür bekannt, daß hier viele Türken hinkamen. Naja aber wieso sollte sich Gülsüm nicht ins Saturday Night wagen.
An jenem Abend fuhr ich mit meinem klapprigen Golf, den ich erst ein halbes Jahr vorher erworben hatte zum Saturday Night, welche Disco etwa 15 km von mir weg lag.
Einsam und verlassen lag das Saturday Night an jenem stürmischen Freitag Abend vor mir, denn ich war nun einer der Ersten, die sich an diesem Abend hier hinwagten. Im Saturday Night wurde viel House und Dance-Floor gespielt, Musik, die ich mir nur ab und zu anhören konnte, aber naja viele Discos gab es ja nicht in der Umgebung, so nahm ich dieses dann auch in Kauf.
Es war 21.15 als ich die Pforten des Saturday Nights betrat, ein Partygirl, halb als Engel, halb als Glücksfee und halb als Gott Amor verkleidet, kam mir entgegen und heftete mir ein funkelndes Herz an meine Brust, dazu gab es, wie es bei solchen Flirtpartys ja immer so Sitte ist, einen Sektempfang. Oh-Gott, dachte ich, wo bin ich denn nur hier gelandet. Ist das nach Gülsüms Geschmack, fragte ich mich ?
Wenig später dann, als ich mich im Saturday Night ein wenig umgesehen hatte, kam mit einer Lederjacke bekleidet jemand bekanntes auf mich zu...es war Gülsüm.
Sie zog ihre Lederjacke aus, gab sie an der Garderobe ab und kam auf mich zu.
"Na, dann hast du Dich hier also hin gewagt ?!" stellte sie fest. "Normalerweise sind Techno-oder Flirtparties nichts für mich, aber es fand heute Abend nichts anderes statt, so daß ich hier mal vorbei schauen wollte. Ich bin sehr froh, daß du auch hierher gekommen bist. Wie du vor ein paar Tagen mich so angelächelt hattest, da dachte ich mir, du bist sicherlich sehr sympathisch."
Wir saßen uns erst einmal ruhig an einen Tisch und mein Herz klopfte natürlich ein wenig vor Aufregung. Irgendwann dann, wollte ich die Frage, die mir am meisten auf den Nägeln brannte doch stellen: "Sorry, wenn ich Dich, daß frage, aber Du bist doch Türkin und ähmm, Du scheinst ja recht liberal erzogen worden zu sein.....kommst hier alleine um diese Zeit hin, verabredest Dich mit mir. Ich finde Dich wirklich sehr sympathisch und Du hattest gleich eine magische Auswirkung auf mich, wenn ich das mal so sagen darf. Könntest Du dir eigentlich mal vorstellen, daß mehr aus uns werden könnte ?"
Erstaunt guckte sie mich an: " He, Moment mal. Wir kennen uns gerade mal von Ansehen und Du fragst gleich, ob mehr aus uns werden könnte ? Ich wollte Dich erst einmal in Ruhe kennenlernen. Ich fand Dich wie gesagt, auf den ersten Blick auch recht sympathisch, aber weißt Du Frauen mögen es nicht unbedingt, wenn man mit der Tür gleich ins Haus fällt. Ich weiß wohl, wie du es meinst, ich habe, denke ich eine gute Menschenkenntnis, aber so kommst du nicht unbedingt bei den Frauen an. Und um die erste Frage zu beantworten....ja natürlich bin ich Türkin...naja was heißt Türkin. Inzwischen habe ich den deutschen Paß, naja und meine Eltern haben mich schon ziemlich liberal erzogen, so daß es für mich wirklich kein Problem ist einen Freund zu haben oder abends auszugehen."
Dann fuhr sie fort: " Ich habe Dir doch heute Mittag erzählt, daß ich Alevitin bin, d.h. eigentlich kann man sagen, daß Aleviten meistens liberaler eingestellt sind, als andere türkische Moslems, wobei nicht jeder Türke, der nicht Alevit ist, seine Töchter verheiratet oder verbietet einen Freund zu haben, aber oft ist es schon so. Bei den Aleviten haben traditionell die Frauen eine andere Rolle als bei Sunniten: So ist es eigentlich so, das alevitische Frauen genauso am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wie Männer. Das spielte sicherlich auch eine entscheidende Rolle bei meinen Eltern, als sie mich groß zogen."
Den Rest des Abends dann redeten wir über was anderes, über das Krankenhaus, unsere Kollegen und mokierten uns über die Partygirls, die auf solch einer Flirtparty natürlich nicht fehlen durften.
Sie suchten natürlich auch nach Mr. Perfect und waren gegen sogenannte Anmache gut gefeit mit einem "Verpiß Dich". Wir aber ließen uns nicht stören von den Leuten um uns herum.
Ab und zu versuchte zwar jemand Gülsüm anzubaggern, aber derjenige wurde dann freundlich von ihr abgeblockt mit einem "Tut mir leid, ich unterhalte mich gerade. Ich wünsche Dir aber noch viel Erfolg für den Abend". Gülsüm hatte es nicht nötig sich mit einem schroffen "Verpiß Dich" von den Herren zu verabschieden.
Insgesamt allerdings lief der Abend wohl darauf hinaus, das sich Gülsüm und ich wie gute platonische Freunde unterhielten, was Gülsüm viel wichtiger schien, als über Beziehung, Gefühle oder wohl möglich über Sex zu reden.
Insgesamt merkte ich aber doch, daß wir beide ähnliche Vorstellungen vom Leben hatten, auch viele Interessen, obwohl wie charakterlich vermutlich so unterschiedlich waren wie Tag und Nacht, wobei ich vermutlich für den Tag stand und sie für die Nacht. ........

Geschrieben von Tim Riewe

Wer die ganze Geschichte zugeschickt bekommen möchte maile mir doch bitte.....


Von Anonym am Dienstag, den 6. April, 2004 - 14:53:

Mir gefällt ihre Geschichte sehr gut.Das kann daran liegen das ich eine Alevitien bin.Ich wollte fragen ob Ihre Geschichte als Buch gibt.


Von Yeliz am Freitag, den 18. Juni, 2004 - 13:50:

Hallo!
Die Geschichte hört sich bis jetzt interessant an, mich interessiert es auch, ob die Geschichte als Buch gibt. Wenn ja, wo krige ich das Buch her?


Von Anonym am Freitag, den 18. Juni, 2004 - 13:51:

Hallo!
Ich wollte wissen, ob die Geschichte nach einer Begebenheit basiert oder ob sie frei erfunden ist


Von PinaR am Donnerstag, den 15. Juli, 2004 - 16:13:

Die Geschichte ist wirklich toll..
Ich bin auch Alevitin..
Geht die Geschichte noch weiter ?


Von Franky am Montag, den 13. September, 2004 - 03:57:

Hey, die Geschichte ist klasse! Wie aus dem richtigen Leben. Aber das Ende (oder der Anfang) sind doch hoffentlich von euch beiden Glücklichen frei erfunden, denn wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute. Heisst es wenigstens im deutschen Märchen.


Eine Nachricht hinzufügen


Dies ist ein öffentlicher Bereich. Wenn Sie kein Benutzerkonto haben, geben Sie Ihren Namen in das "Benutzername"-Eingabefeld und lassen Sie das "Passwort"-Eingabefeld leer. Die Angabe Ihrer eMail-Adresse ist freiwillig.
Benutzername:  
Passwort:
eMail-Adresse:
"Anonym" senden